DAL VOSTRO FORNAIO

Mein Gipfeli-Säckli
VOTRE BOULANGER hat einen neuen Gipfeli-Sack. Naheligenderweise gesalterisch angelehnt an die schweizerische Plakatkunst. Doch nicht etwa an das wunderschöne WM-Plakat aus dem wunderbaren Jahr 1954, als die Schweiz (übrigens die Vermittlerin für die Wiederaufnahme des DFB in die FIFA) Austragungsort war und Deutschland das Wunder von Bern schaffte. Nein. IHR BECK bevorzugt den Stil des politischen Plakats der Zwanzigerjahre.
(Kurzer Prolog zur Swissness.)

Sobald die Schoten platzen

Chronistinnenpflicht: Zu meiner Sammlung warnender Bürgermeister heruntergekommener Ortschaften gesellt sich eine Neue, die Bürgermeisterin von Lübtheen, Ute Lindenau. Laut dem neusten SPIEGEL (Nr. 22 / 29.5.2006) wundert sie sich nicht,

„dass es gestandene Leute im Ort“ gibt, die sagen, „irgendwo hat der doch recht.“

Und damit meinte sie den NPD-Spitzenkandidaten Udo Pastörs. Der SPIEGEL (S. 41) schreibt weiter:

„Ein Alptraum“ sei wahr geworden, als das Angebot eines Malers aus dem Pastörs-Umfeld überbracht wurde, die Räume einer Kita gratis zu renovieren. „Wenn ich das akzeptiere“, so Lindenau, „macht die NPD damit Werbung, wenn nicht, lass ich alles verrotten.“ Jetzt will sie mit Eltern selbst zum Pinsel greifen.

Das ist vorbildlich. Nicht immer nur ungehörige Dinge wie unverrottete Kitas fordern, sondern selber anpacken. Und sollte das Geld nicht für die Farbe reichen, stellt sie der NPD-Maler sicher gerne zur Verfügung.
Endlich zeigt sich die positive Entwicklung jahrelanger Sparbemühungen im Sozial- und Bildungswesen. Selbstverantwortung macht frei.
Danke, danke, danke.

>5 Minuten

  • Postfach leeren
  • Auf der Post anstehen, Paket absenden
  • Mündliche Prüfungen noch einmal durchlesen
  • Mündliche Prüfungen nach Kandidatennummer ordnen
  • Kochen
  • Essen
  • Abwaschen
  • Mit dem Quartierzentrum mailen
  • Mit der Expertin telefonieren
  • Wäsche aufhängen
  • Kind in anderes Quartier begleiten
  • Mit Schwiegereltern unterhalten
  • Zwei Lektionen für meine Stellvertretung planen
  • 39 Aufgaben in Form von E-Mails an die Prüfungsbuchhandlung senden
  • Formular für eine Weiterbildung (Interdisziplinarität) ausfüllen
  • Buchpreisbindungs-Alerts lesen
  • Telefonat mit alleinerziehenden Freundin mit mehr Problemen, als ich je bewältigen könnte
  • Quartierrundgang mit Kamera
  • Alles andere hat weniger als 5 Minuten gedauert oder wurde parallel erledigt (z.B. Kaffee). Kein Wunder, lebt der Buchhandel zu einem wesentlichen Teil von Entspannungs- , Zeiteinteilungs- und Ego-Ratgebern. Ganz speziell für den weiblichen Teil der Bevölkerung.
    Quartierrundgang heute

    Tischgespräch [14]

    [Vater ist von Weiterbildung aus Deutschland nach Hause gekommen]
    Mutter:
    Erzähl doch ein paar Unterschiede!
    Vater:
    Deutsche lesen mehr Zeitung. Diese Riesigen – und erst noch am Frühstückstisch.
    Mutter:
    Ja, die können das bewundernswert gut.
    Vater:
    Aber nicht unbedingt Kleidung auswählen. Der Anblick der Referenten war schwer zu ertragen. Gemessen am Preissegment des Kurses billig und zerbeult. Einer hatte eine Bolotie mit goldigem Australien. Eigentlich repräsentierten alle mehr via Auto.
    Mutter:
    Und das Essen, wie war das?
    Vater:
    Sehr gut für eine Mensa. Und es gab immer dreimal so viele Desserts wie Menues. Zuerst dachte ich, die hätten sich verzählt. Dann habe ich gemerkt, dass die meisten mehrere Desserts nehmen, wenn das Essen inbegriffen ist. Das hätte ich mich aber nie getraut.
    Mutter:
    Und, was hast du in deiner Freizeit so gemacht?
    Vater:
    Einige Male war ich in der nächst grösseren Stadt, doch die S-Bahnstation lag ausserhalb und der Bus fuhr selten. Aber eine Buchhandlung gab es gleich in der Nähe.
    Mutter:
    Was für eine?
    Vater:
    Klassische Kleinbuchhandlung: allgemeines Sortiment, etwas zu alte Taschenbücher, vollgestopft bis unter die Decke, aber mit einem kundenfreundlichen Ordnungssystem und einer netten Buchhändlerin.
    Mutter:
    Inwiefern nett?
    Vater:
    Sie hat mich gefragt, ob ich mich zurechtfinde. Und ich habe gesagt, ja, sehr gut sogar, die Ordnung wäre einsichtig. Darauf antwortete sie, dass sie mir jetzt noch rasch die Kasse erklären würde. Da habe ich dann zugegeben, dass ich auch Buchhändler bin.
    Mutter:
    Pass bloss auf! Beim nächsten Mal drückt sie dir die Schlüssel in die Hand und fährt in den Urlaub.
    Kind [kommt dazu]:
    Und, was hast du denn in deiner Freizeit gemacht?
    Vater:
    Gelesen. Und einmal wollte ich ins Kino, aber das hat nicht geklappt.
    Kind:
    Weshalb nicht?
    Vater:
    Alle Filme waren synchronisiert.
    Kind:
    Was heisst das?
    Mutter:
    So, wie wir „Ein Königreich für ein Lama“ gesehen haben, weil du nur in die Kleinkindervorstellung durftest. Über die amerikanischen Stimmen der Figuren waren deutsche Stimmen gelegt worden, dafür gab es keine Untertitel.
    Kind:
    Aha! Wenn meine Freunde und ich mit den H&M-Gratistickets ins Kino gehen, ist es auch so.
    Vater:
    Dort schien das auch für Abendvorstellungen üblich zu sein und da liess ich es lieber ganz. Bei uns kommt ja alles mit Untertitel, auch die chinesischen Filme.
    Kind:
    Und die kurdischen!
    Mutter:
    Und die mongolischen!
    Vater:
    Wobei wir zugeben müssen, dass der mongolische Film sogar bei uns ein Schattendasein fristet.

    Laissez faire im Treppenhaus

    Türfalle Vers. 1
    „We jede für sech sälber luegt, de isch für alli gluegt,“
    Türfalle Vers. 2
    meint die Nachbarin kühl und nickt verächtlich zum gemeinsamen Nachbarn, der mit einem zu kleinen Lappen eine zu grosse Bierlache aufputzt.
    Türfalle Vers. 3
    Aber es ist nicht die unsichtbare Hand, sondern die eines Vaters, der kaum aufzusehen wagt vor lauter Scham über den Randalierer im Treppenhaus, der sein Sohn ist.

    Back To The Roots

    Bildungsartikel an- und damit wieder eine wichtige Hürde genommen. Dieser Abstimmungkampf ging ohne lautes Säbelrasseln vorbei, die Aktiven haben sich mit ihrer guten Vorbereitung das Resultat redlich verdient. Wie die PdA ihre Nein-Publizität stets genutzt hat, um die Klassengesellschaft anzuprangern, hat mir streckenweise auch gefallen.
    Trotz positiven Nachrichten waren in meiner persönlichen Polit-Biografie Veränderungen fällig. Ich habe im Regierungsrat zwar mit-gewonnen, beim Wähleranteil aber empfindlich mit-verloren; es war das schlechteste Ergebnis der SP seit 1986.
    Wenn ich mein Umfeld betrachte, stelle ich fest, dass viele die Arbeit der SP erst kritisch betrachten, dann vordergründig honorieren und zuletzt doch grün wählen. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, und Spekulationen sollte man lassen, ausser sie wären besonders schmeichelhaft.
    Meine abgemagerte Frusttoleranz hat mich veranlasst, in der Basispolitik eine Pause einzulegen. Nicht wegen der Sektion, sondern wegen der anspruchsvollen Nicht-Wählerschaft. Ein weiterer Faktor ist meine wachsende Unfähigkeit, auf den Konflikt mit anderen Linken zu verzichten. Dieser ist selten im Dienste der Sache, die Kantonswahlen haben es gerade wieder bewiesen. Es gibt dennoch Phasen, da habe ich keine Lust, mich mit Leuten zu verbünden, die erzählen, Kiffen sei wie Schokolade essen, nur weil ich irgendwo einen Veloweg möchte. Unvernünftig zwar, aber gefühlshaushälterisch nicht zu ändern (-> abgespeckte Frusttoleranz).
    Seit vergangenem Freitag mache ich meine Freiwilligenarbeit im Quartierverein, weil sich dort die Frage nach inter-linker Einigkeit nicht stellt. Das bedeutet neben Handarbeit hauptsächlich die Bearbeitung lupenreiner Sachfragen im Interesse der Quartierbewohnerinnen und –bewohner, die im Stadtteil wie im Leben oft benachteiligt werden. Es bedeutet auch Empörungskult und derbe gewöhnungsbedürftige Ausdrucksweise, aber Präsident ist zum Glück ein anderer. Dass es die Menschen hier interessiert, ob eine von der SP, von der SVP oder vom Blindenverband den Krempel erledigt, wage ich zu bezweifeln. Es ist bekannt, wohin ich gehöre und auch, dass ich hier eine klitzekleine Minderheit bin. Doch ausser meiner Wohndauer in diesem Quartier und meinem Beruf spielte für die Wahl in den Vorstand nichts eine Rolle.
    Natürlich gibt es noch einige intellektuellere Überlegungen für die Verlagerung meines Engagements. Dass sich parallel zur raumfüllenden Freiheitsdebatte die Gleichheitsdebatte verflacht hat, stört mich nämlich. Oft von der Liberalismusdiskussion überdeckt oder belächelt, wirkt sie inzwischen matt und langweilig. Weil Chancengleichheit in allen Verordnungen „gemainstreamt“ ist, werden zwar brav Schlagworte abgespult, doch nur, um am Ende wieder über den Freiheitsbegriff zu reden. Rütlischule und Banlieues sind gute Beispiele dafür, dass – trotz Bemühungen um eine differenziertere Berichterstattung – der Muslimanteil der Dauerbrenner der Wertedebatte bleibt. Und das ist mir einfach zu platt. Gespräche über Gleichheit beschränken sich allzuoft auf autonome oder populisitsche Kreise. Genau wie bei der Abstimmung von heute, von der ich unbestritten froh bin, dass nicht die PdA (samt Teilen der SVP) sie gewonnen hat.
    „Die Freiheit des einzelnen Menschen steht im Widerspruch zur Gleichheit aller Menschen,“ sagte der Bundespräsident in seiner 1. Mai-Ansprache. Freiheit und Gleichheit sind ein Zielkonflikt, an dessen Ausgleich sich die Sozialdemokratie immer wird messen müssen. Und auch die Quartierarbeit, da mache ich mir keine Illusionen.
    Aber ganz von der Freiwilligenarbeit zu lassen entspricht mir nicht und wäre auch peinlich für eine, die ständig die Bundesverfassung propagiert.

    Bundesverfassung Artikel 6
    Jede Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei.

    stressig, ist es nicht?

    Frau Kaltmamsell hat mich an einen Schwur erinnert: irgend einmal vor ein paar Jahren habe ich mir geschworen, endlich zu begreifen, dass „Stress“ meistens individuell vorkommt. Natürlich gibt es auch generellen Stress wie Unsicherheit, Hunger, Existenzangst oder Heimweh. Aber wenn auf der Strasse davon gesprochen wird, ist meistens der Individuelle gemeint.
    Im Lehrerzimmer ist die Akzeptanz des persönlichen Stresspegels besonders nützlich. Die einen lassen sich von Regeln stressen, die mich nicht einmal ein müdes Lächeln kosten, zum Beispiel, dass man E-Mails innerhalb von zwei Arbeitstagen beantworten muss. Die anderen können nicht verstehen, dass es mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt, wenn Schülerinnen einschlafen, weil das an ihnen schlicht abperlt.
    Mich stresst Unterrichtsvorbereitung für Klassen, mit denen ich Probleme habe – jede Gruppenarbeit wird zur Gratwanderung, jede Rückgabe schlechter Tests zur Blutschwitzerei. Im Buchhandel stresst mich die seit Jahren unsichere Situation mit der Preisbindung. Der Haushalt stresst mich aus Zeitgründen, aber wenn ich mal dran bin, bin ich schnell und zelebriere gerne Perfektionismus. Dagegen lerne ich vermehrt Männer und Frauen kennen, die einfach nicht mehr wissen, dass Geschirrtücher gebügelt besser in den Schrank passen, es sehr praktisch wäre, schon ein Baby aus der Nähe gesehen zu haben, bevor man eines bekommt und die deshalb in häuslicher Situation schnell in Stress geraten.
    Ich habe auch oft mit Leuten zu tun, die enorm gestresst werden, weil sie glauben, jede Erkenntnis brauche eine Sitzung und Sitzungen müssten zwischen 9.00 und 12.00 am Morgen oder zwischen 14.00 Uhr und 16.00 Uhr am Nachmittag stattfinden. Für mich hingegen ist eine effizienter Halbstünder beim Espresso um 7.00 nicht stressig und eine Telefonsitzung um 22.00 Uhr gut drin. Wenn’s um etwas mit Deadline geht, kann ich auch ab und zu um 24.00 Uhr telefonieren, das stresst mich sicher nicht mehr, als zu dieser Zeit durch ein bescheuertes TV-Programm zu zappen und den Zeitpunkt fürs Abschalten nicht zu finden. Aber wenn ich in der Nacht einen Anruf bekomme, dass eine Kollegin zusammengeklappt ist und ich sie am nächsten Tag vertreten muss, dann bin ich sofort völlig im Stress, während andere sich auf eine solche Stellvertretung, für die sie Dank und Lohn bekommen, richtig freuen.
    Doch professionell ist, wem man den Stress nicht anmerkt. Noch professioneller ist, wer weiss, wann er Ruhe braucht. Gemäss Arbeitszeugnissen bin ich beruflich professionell, gemäss Familienfeedback eher eine Niete. Jetzt weiss ich halt nicht, ob das schon für das Umgang-mit-Stess-Abzeichen „semi-professionell“ reicht.