Pause fürs Lesen & Schreiben & Singen

Wie sicher viele hier Mitlesende habe ich seit dem Schulstart im August fast nur gearbeitet. Müdigkeit ist nicht weiter schlimm, aber sobald ich nicht mehr richtig zum Lesen komme, wird’s schwierig, denn ich verliere die Orientierung. Von Zeitungsartikeln nur der Schluss, von Interviews nur die Zitate, von Blogbeiträgen nur einen Abschnitt, von Büchern gar nicht zu reden.
Meine Lernenden haben nun Schulferien, die Mitarbeitergespräche sind fürs ganze Jahr geplant, alle Sheets von allen Anspruchsgruppen von Geschäftsleitungen über Kantone bis zu den ODA sind ausgefüllt und versandt, die letzten Dispensationsgesuche bearbeitet, die Tests korrigiert, die nächste Ausgabe der Schulzeitung liegt beim Grafiker. Ich kann also eine Lesewoche einlegen und freue mich besonders auf zwei Frauen: Amélie Nothomb mit „Eine heitere Wehmut“ über ihre Wiederbegegnung mit Japan und Liliana Corobca mit „Der erste Horizont meines Lebens„, die Geschichte einer Zwölfjährigen, die in Rumänien einen Hof und ihre Brüder hütet, während die Eltern in Italien und Sibirien schuften.
Schreiben werde ich auch.
Zum Beispiel alle meine neuen Französischwörter der letzten Monate (gesammelt auf OneNote, Zetteln und Postkarten) ins Reine – à la main. So bleiben sie mir vielleicht besser, und Handschrifttraining ist ohnehin bitter nötig (seit PowerPoint mein Standard im Unterricht ist, blamiere ich mich regelmässig am Flipachart). Une pierre deux coups.
Und ein paar persönliche Mailings zu den Parlamentswahlen. Seit langer Zeit begleite ich Evi Allemanns politisches Wirken, mit welchem sie in der letzten Legislatur erstaunliche und schöne Erfolge erzielen, aber das Schlimmste – wie wir alle – nicht verhindert konnte. Nun denn, die Sozialdemokratie mit ihren Umwelt- und Bildungsanliegen und ihrem Anspruch auf Offenheit, wird hierzulande stets viel Arbeit machen. Aber da wir überhaupt nicht via Gleichschaltung funktionieren und viel diskutieren, ist es oft emotional und auch ganz lustig. Der harte Kern von Evi Allemanns Wahlteam ist schon ein Dutzend Jahre dabei. Mit gutem Grund.
Und das, was hier am Ende der Session im Parlament geboten wurde, lädt einfach zum Nachmachen ein. Wunderbar!

„Alles muss man dir erklären..“


Ich habe eine Schwäche für Aktionen die aus Kultur Politik machen und am Ende einfach ein unkompliziertes Fest werden. Unter-dem-Pflaster-liegt-der-Strand-Sachen halt.
History: Wikipediaeintrag
Original: Die Ärzte, 1993
Lyrics: Songtext bei genius
Hashtag: Twitter-News zur #AktionArschloch
Goldiesversion: Bei Frau Kaltmamsell am 10. September

Vier Stunden Merkel

Der Besuch von Angela Merkel hat Bern gut getan. Ich wusste bis zu diesem Moment gar nicht, dass sie hier so grossen Respekt geniesst. Aber die letzten Tage waren Menschen und Zeitungen des Lobes voll für die Bundeskanzlerin. Das Spröde, sehr Sachliche, das ihr beispielsweise DER SPIEGEL immer ankreidet, gefiel hier allen. Ob an der Uni oder im Kontakt mit Schaulustigen in der Altstadt: Merkel kam gut an. Die Schweiz mag es, wenn jemand den Zeitplan einhält, Tacheles redet und auf die Viersprachigkeit eingeht (was Merkel tat, indem sie sich in Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch für den Ehrendoktor bedankte).
Auch mich hat Merkels Visite beeindruckt. Sie tritt hochprofessionell auf und wirkt überhaupt nicht so provinziell, wie sie zuweilen in der deutschen Presse geschildert wird. Im Gegenteil. Und sie ist auch rhetorisch besser in der Lage als viele Politiker, auf den Moment zu reagieren. Auf die Frage eines Studenten, wie Europa vor der Islamisierung zu schützen sei, antwortete sie: «Angst ist kein guter Ratgeber. Wir sollten besser den Mut haben, uns wieder stärker mit den eigenen christlichen Wurzeln zu befassen.» Und am Ende der Runde bat sie darum, dass doch bitte noch eine Frau eine Frage stellen möge.
Hier, wo ja viele Menschen aus Deutschland leben, die sich je nach Stimmung im Lande einiges gefallen lassen müssen, hat die Bundeskanzlerin in kurzer Zeit viel unwegsames Terrain geebnet.

Wer werden sie?

Wer werden sie alle dereinst sein?
Mein Lehrling? Mein Taxifahrer? Mein Altenpfleger? Mein Arzt? Meine Reinigungsfrau? Meine Schwiegertochter? (Die eher nicht. Ich sehe wenig Frauen. Ich weiss nicht, ob sie weniger vorkommen oder weniger im Bild sind.)
Mein Schwager ist einer aus einer solchen Phase der Zuwanderung. Und meine Grossmutter galt auch als eine von denen – in der Schweiz geboren zwar, aber als Kind verdingt, eine von vielen, eine, die zu viel war.
Es ist leider so, dass die Wahrnehmung des Gegenübers als Individuum Entwicklungen wie Wohlstand und den Willen zu reflektieren, voraussetzt. Es ist uns Menschen nicht gegeben, die Neuen, Unbekannten als willkommene Ergänzung wahrzunehmen, denen wir von Anfang an ohne Misstrauen, ja, sogar auf Augenhöhe begegnen. Die Begegnung bleibt Mühsal auf beiden Seiten, es helfen nur Zeit und Erfahrung.
Das Engagement gegen das Sterben und für Nahrung und Schutz der Flüchtenden ist unabdingbar, doch das Bewusstsein für die Langwierigkeit der Auseinandersetzung ist genauso wichtig. Ich sass schon zu viel Zeit meines Lebens in Sitzungen, Kommissionen und Gremien, in denen schlicht keine sachliche Diskussion über Integration möglich war, weil zwischen dem Flüchtlingsstrom und der Klassengrösse kein Zusammenhang hergestellt wurde. Nicht Jahre, sondern Jahrzehnte! Jahrzehnte Streit über die Verwendung der Schriftsprache in Grundschulen. Wenn wir andere Kulturen hier integrieren, müssen wir unsere reduzieren. Und zwar auf das, was uns wirklich wichtig ist, auf das, was wir niemals kampflos aufgeben: Unseren Rechtsstaat, unsere Verfassung. Aber wir können vielleicht nicht die Kalenderblattschweiz mit so vielen Dialekten wie Kindergärten bleiben, wenn Menschen hier Deutsch lernen und mitarbeiten sollen.
Ich schreibe nicht weiter, das Thema ist mir unerträglich, auch wenn es in der Regel keine Toten gibt deswegen. Es sind bloss zwei, drei Generationen mit vielen tausend Menschen ohne Sprache, in der sie sich mündlich und schriftlich ausdrücken können, in der sie sich sicher fühlen. Natürlich, wir lernen sie ein Handwerk oder auch zwei oder drei, wir sind zu Recht stolz auf unsere tiefe Arbeitslosigkeit, gerade bei Migrantinnen und Migranten. Fast alle haben ein Auskommen und das ist gut. Aber das Schweigen, das Verharren in der anderen Welt, das ist schlecht.
Ich habe Hoffnung, dass dank Schock, Koordination und Politik weniger Menschen in Europa oder an dessen Aussengrenze ertrinken und ersticken werden. Aber sonst bin ich gerade sehr ernüchtert. Wütend. Traurig. Und habe zu viele Déjà-Vus.

Bildungsurlaub: Schlussbericht

Heute vor zwei Jahren wurde mein Bildungsurlaub genehmigt. Gestern habe ich meinen Schlussbericht dazu eingereicht. Er ist nicht besonders lang, ich habe ja das meiste in der Kategorie Séjour gebloggt. Es ging nun noch darum, die Zusammenhänge herzustellen und die Vorgaben des Kantons an die Berichterstattung zu erfüllen.
Ich bin zufrieden, ich habe alles gelernt, was ich lernen wollte oder musste: Die Diplome B1 und B2 Tout public habe ich gemacht, das innere und äussere Exil erlebt und zudem einige Lektionen in Demut erteilt bekommen, darunter die Prüfung zusammen mit eigenen Schülerinnen und Schülern bei den eigenen Lehrpersonen an der eigenen Schule.
Den Beteiligten habe ich den Schlussbericht zugestellt. Wenn ihn jemand hier Lesendes noch haben möchte, einfach melden.
Genehmigung Bildungsurlaub 30. April 2013

nja-news

Ich hatte eine schöne Ferienwoche in Sizilien. Ich mag diese Insel ungemein, sie bietet Unglaubliches und Überraschendes: Europäische Geschichte samt ihren Einflüssen aus Afrika und der neuen Welt. Ich habe getwittert, doch nicht allzu viel, denn wenig ist stabil in Sizilien, auch nicht das Internet.
Der Wiedereinstieg nach diesem kurzen, aber ergiebigen Unterbruch war steil, nicht nur der Arbeit wegen. Davon vielleicht ein anderes Mal, mit etwas mehr Distanz.
In der Schule geht es in bester Weise drunter und drüber, am Montag beginnt unsere Hochsaison, welche bis Juli dauert. Eigentlich sind es zwei Spitzenzeiten, die zusammenfallen: Die Qualifikationsverfahren der Abschlussklassen und Neuanmeldungen für den Start im Sommer. Beides ist ein enormer inhaltlicher und administrativer Aufwand ohne Fehlertoleranz.
Im Qualifikationsverfahren sind „meine“ Expertinnen und Experten sehr fleissig, sie stellen mir fast jeden Abend (denn erst, wenn sie ihre Buchhandlungen geschlossen haben, beginnt die Zeit fürs Ehrenamt) kluge Fragen, die von grosser Sorgfalt bei der Vorbereitung zeugen. Und die Vorbereitungen für so eine Prüfung sind wahrlich anspruchsvoll! Besonders in unserer Branche, wo kein Stein auf dem andren bleibt und manche Prüfungen sogar in halb geräumten Buchhandlungen stattfinden müssen. Ich habe das Amt der Chefexpertin für die praktische Arbeit seit 2001 inne und es immer gern ausgeübt. Aber ich bin auch froh, dass die 15. nun meine letzte praktische Prüfung in dieser Funktion ist. Meine Nachfolge ist geregelt und wird im nächsten „Pegasus“ (Nr. 118) vorgestellt. Prüfungsleiterin Buchhandel für acht Kantone werde ich bleiben.
Heute morgen hat mich die Lektüre eines Gespräches mit Didaktikforscher Labudde erfreut. Ihm kann es zwar egal sein, aber ich bin natürlich stolz zu lesen, dass er zu ähnlichen Erkenntnissen kommt. Und es ist schön bestätigt zu bekommen, dass das Schulbuch didaktisch noch absolut nicht überholt, sondern im Gegenteil viel mehr ein Erfolgsfaktor ist. Ich frage mich oft, warum sich Mathematiklehrer/innen weniger mit-verantwortlich fühlen für die Noten ihrer Schützlinge? Ausser den Sportlehrpersonen sind sie die einzigen, die Notendurchschnitte für normal halten, für welche ich mich als Lehrerin in Sack und Asche hüllen würde. Aber ich verstehe wenig von Mathematik und bin deshalb froh, gibt es Didaktikforscher.

Fremde Welt

Werktätigkeit Anfang Siebziger
Wenn ich meine Welt betrachte, so erscheint sie mir manchmal fremd. So viele gute Seiten die Entwicklung auch hat, sie ist mir zu schnell. Mein Leben ändert sich durch Logins, Gadgets und besonders durch die omnipräsente technologische Aufrüstung, die Denken, Didaktik und Budgets prägt. Noch kann ich das Geforderte ohne grosse Not leisten, aber ich erkenne das Verfalldatum neuer Fähigkeiten schon während ihres Erwerbs und schaue mir täglich – verstohlen und etwas beschämt – beim Vergessen zu.
Glücklich all jene, welche Fertigkeit nicht mit Dauerhaftigkeit verbinden.

Januarjammer

Das war glaub ich mein schlimmster Januar, ohne dass (in meinem Umkreis) etwas Schlimmes passiert ist. Ich hatte Mittelohrenentzündung u.v.m. Und auch in der Schule waren Viren und Bakterien die Lebewesen mit der höchsten Präsenz. Viele Kinder von Kolleginnen haben Grippen, Lungenentzündungen und sogar RS-Viren kalt erwischt, was uns alle auch emotional beschäftigte. Und trotzdem musste das Semesterende irgendwie über die Bühne. Bei uns in der Berufsfachschule kommt zu den Noten und Leistungsausweisen noch eine komplizierte Handhabung der Absenzen hinzu*. Dafür kann niemand etwas, aber der Aufwand ist ungeheuerlich und hat mir dieses Mal fast den Rest gegeben. Ich hatte in der Sache so viele Anrufe, dass ich bisweilen alle Telefone ausschalten musste, um überhaupt den vorherigen Anruf noch bearbeiten zu können. Ich bin nachts regelmässig schweissgebadet erwacht, weil ich etwas vergessen zu haben glaubte.
Nun denn, jetzt bleiben mir ein paar Schulferientage, um dem Überblick zurückzuerobern, das neue Semester vorzubereiten und mich natürlich vollumfänglich zu erholen, damit ich das neue Semester voll genesen und fröhlich beginnen kann. (Ich höre oft „Ich möchte nicht mehr zwanzig sein“ und habe es bestimmt selber schon gesagt. Aber das sind die Momente, in denen es mir verdammt viel dienen würde, weniger Verantwortung zu haben und weniger Schlaf zu brauchen. Falls jemand einen Jungbrunnen kennt oder einen Wunsch zu vergeben hat: Nur her damit.)
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