Unwetterbericht

Gab’s heute in der Schule. Neuigkeiten aus Thun: Der Krebser steht im Wasser. Die Buchhändlerinnen meinen es gut, aber Bücher kann man lange in die Höhe stellen, das ändert überhaupt nichts, Feuchtigkeit ist jedes Buches Ende. Ob es nun unter Wasser steht oder die Seiten von der feuchten Luft gewellt werden, macht keinen Unterschied. Einmal feucht heisst für immer futsch.
Rechte Berichterstattung aus der Stadt Bern gibt’s anderswo.

Beitrag #254.

Kammerjäger kommt
Schlüssel an Hauswart
Papierabfuhr
Kopierkarte?
Hausordnung?
Geburtstag A.
Einladung austeilen
Videogerät testen
Wäsche
Gitarrenstunde Kind
Agenda Kind abgleichen
Schülerduden Kind
Sitzung Abteilungsleiter
Anmeldung Weiterbildung
2. Stundenplan holen
Termine Frankfurter Buchmesse

Im watenden Tempo wegen Stom- und Zug- und Ausfall ganz allgemein.

Mahlzeit

-Welches ist dein Lieblingsbuch?
Kann ich nicht sagen. Viele.
-Welches ist dein Lieblingsautor?
Dürrenmatt.
-Welches ist dein Lieblingskomponist?
JC.
-Welches ist dein Lieblinsinterpret?
JC. Also dem sein Gesamtwerk würde ich auf die Insel nehmen. Und welches ist dein Lieblingsbuch?
„Der Roman eines Verbrechens“, die klassischen 10 Bände der schwedischen Kriminalliteratur. Von Maj Sjöwall und Per Wahlöö.
-Welches dein Lieblingsautor?
Dürrenmatt und Goethe (und Andrew Vachss).
-Welches dein Lieblingskomponist?
Mozart.
-Welches dein Lieblinsinterpret?
Freddie Mercury. Frag mich noch, wie die erste Schulwoche war.
-Ich frage dich hiermit.
Schnell. Sehr schnell.

ausgepackt

Die Packerin hat aufgehört, heute nehme ich sie schweren Herzens von der Blogrolle. Mir schien oft, wir hätten nicht den selben Beruf. Und so ist es auch. Die Arbeit vorne an der Front unterscheidet sich wesentlich von der Arbeit im Reduit.
Zur Derniere kommt aus dem Packraum noch eine letzte Knacknuss:

Präsens
Wenn ich ein Buch auswähle, habe ich ein ganz einfaches Kriterium: ich lese nichts, was im Präsens geschrieben ist. Das sind nämlich entweder
a) langweilige, hochliterarische Werke oder
b) heitere Romane für frustrierte Hausfrauen oder
c) im Eigenverlag erschienene Ergüsse

Ich habe viele Proben aufs Exempel gemacht und es gibt Ausnahmen. Aber Buchhändlerinnen müssen in Schubladen denken und da taugt die Faustregel erstaunlich gut. Wegen solchen Sachen und Erinnerungen an Urzeitkrebse und wegen der Design freien Zone und auch wegen der bissigen Verteidigung von Blogcontent, werde ich den Packraum vermissen.
Wenn etwas aufhört, muss ja etwas anderes anfangen: Zum Beispiel die Antithese zum Weltjugendtag: Werbung für Aufklärung mit Herr Schmidt-Salomon.

Lese ex.

Es geht weiter mit Ferienlektüre in Form von Lesexemplaren (=unfertige, kostenlose Bücher, die der Verlagsvertreter dem Buchhandel vor dem Erscheinungstermin zur Verfügung stellt):
-Joey Goebel, Vincent
Immer die gleiche Geschichte von Begabten und so, mochte ich nicht lesen.
-Stephen Clarke, Ein Engländer in Paris
Hab ich von anderen lesen und dann erzählen lassen, was sich als sand- und strandfeste Variante ausgezahlt hat. Es geht um einen Engländer, der eine Teehaus-Kette in Frankreich ankicken soll. Zwischen den beiden Ländern Frankreich und England gibt es genügend Gräben, die ein pfiffiger Schreiber mit Anekdoten füllen kann und dieser Clarke scheint so einer zu sein. Und wenn man wie ich noch in Frankreich selber sitzt, stets um Hundehaufen zirkelt und nicht weiss, ob jetzt ein guter Nachmittagsschluss „bon fin d’après-midi“ gewünscht werden soll oder schon ein guter Abend „bon soir“, dann ist das halt einfach passend.
-Tariq Ali, Der Sultan von Palermo
Ich hatte keine Lust auf dieses Buch, sorry. Es kann nichts dafür.
-Azar Nafisi, Lolita lesen in Teheran
Gute, subjektiv gefärbte Dokumentationen haben es mir angetan, ich lese politische Ereignisse am liebsten in dieser Form. Also war das genau das Richtige für mich. Ein Feuerwerk von Erlebnissen, Argumenten, Frauengedanken. Azar Nafisi ist im Iran aufgewachsen, studierte in England und Amerika und kommt zurück nach Teheran als Khomeini die Macht übernimmt und das Land mit entsprechenden Schergen und perfiden Methoden von der Moderne wegkatapultiert. Er baut in dieser Diktatur am Faschismus, wie es schon so oft gemacht wurde und immer wieder gemacht werden wird. Der Titel des Buches bezieht sich auf Nafisis Lese- und Diskussionsgruppe, die sie bei sich daheim mit ihren Studentinnen macht. Mein Nachteil bei der Lektüre war, dass ich mich nicht so gut mit original englischer Literatur auskenne, das aber genau das Thema ihrer Seminare war. Ich kam mir also ein wenig dumm vor. So oder so ist das ein Buch, das ich kaufen, nochmal lesen und ausführlicher besprechen werde.
-Kjell Eriksson, Die grausamen Sterne der Nacht (altes Leseexemplar, bereits erschienen.)
Da bin ich (trotz nordisch Krimi) dran geblieben, weil jemand der Müga das Buch schlecht fand. Mir gefiel die Kriminalgeschichte im Grunde gut, und die Kommissarin Ann Lindell ist in Ordnung. Als Leserin verfolgte ich hauptsächlich die ziemlich irre geleitete superintelligente Tochter eines verschwundenen Petrarca-Experten. Und dagegen hatte ich wirklich nichts, das war packend. Das Mordmotiv blieb mir jedoch irgendwie verschlossen und die Übersetzung war wohl noch nicht ganz fertig.
Die Verlage können auch nicht zaubern und haben jetzt schon Mess-Stress.

On

Passend zu Beruf und Berufung starte ich mit den Büchern (in a Nutshell) aus meinen Sommerferien:
-Haruki Murakami, Untergrundkrieg
Das ist Murakamis Zeugnis zum Giftgasanschlag in der U-Bahn von Tokyo im März 1995. Murakami ist ein Autor, der nie etwas übereilt, eine Liebesgeschichte ebenso wenig wie eine Dokumentation. Ähnlich wie Alexijewitsch tastet er sich vor, recherchiert über Information und Desinformation, stellt zurückhaltend die passenden Fragen zum richtigen Zeitpunkt und macht einfach gute Arbeit als Autor wie als Relais.
-Primo Levi, Anderer Leute Berufe
Habe ich dann doch nicht gelesen. Es war zu sehr eine andere Welt. Vielleicht später.
-Anne Holt, In kalter Absicht
Habe ich auch nicht weiter gelesen, soll aber spannend sein. Nordische Krimiautorinnen tendieren zunehmend zu Brutalitäten, die ich nicht brauche. An Eltern zurückgeschickte Leichenteile entführter Kinder, nur weil das grad noch niemand sonst schreibt? Die Krimischreibenden stehen einander im Norden zu sehr auf den Füssen rum.
-Plina Daschkowa, Nummer 5 hat keine Chance
Ein sehr kurzes und sehr feines Stück russischer Literatur. Immer an der Grenze zur Tradition russischer Klassiker, schleicht die Novelle den Ungerechtigkeiten im heutigen Russland nach. Aus alter Bauernfängerei wird neue und zuletzt verliert eine freundliche Lehrerin vom Land ihr ganzes Geld für den Rollstuhl ihrer Tochter im Spielcasino. Nein, das ist noch nicht ganz der Schluss, die Bösen büssen.
-Inger Frimansson, Die Treulosen
Nicht gelesen, siehe Holt.
-Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon
Habe ich während der Ferien ausgeliehen, lese ich später. Ist aber 1000 Mal besprochen und lobend dazu.
-Kaspar Wolfensberger, Glanzmann
(M)Eine Neuentdeckung! Der Protagonist Zangger, der Psychologe und geforderte Familienvater fast erwachsener Kinder, ist eine sehr gelungene Figur, auf die ich in jedem Buch warte, sie aber selten finde. Hier hat ein Autor geschliffen, an Personen und Situationen, hier kippen weder Geschichte noch Charaktere ins Konstruierte. Denn das ist oft die Gefahr, wenn eine heutige Geschichte in Schweizer Familien und erkennbaren Schweizer Städten spielt. Dieser Zangger lässt sich auf Grund beruflicher Verpflichtungen in einen Fall verwickeln, in dem auch die Zürcher Polizei ermittelt und gerät zwischen alle Stühle und Bänke. Ich werde noch den anderen Zangger-Titel von Wolfensberger lesen und die Bücher dann ausführlicher besprechen.
-Guido Bachmann, lebenslänglich
Ich habe selten jemanden gelesen, der so gelassen wie pointiert und selbstironisch vom Leder ziehen kann. Über die Eltern, die Lehrer, die Schweiz, sowohl im zweiten Weltkrieg als auch in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs. Aus dieser Autobiografie werden mir sehr viele Szenen im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel, als der Bub Bachmann endlich herausfindet, wo er ein Aufklärungsbuch hernehmen könnte, mit Herzklopfen in den Lesesaal der Stadtbibliothek vordringt, nichts als Kapseln mit gehefteten Katalogkarten aus dem Gestell zieht, diese aufschlägt, liest und wieder liest und weint.
-Qiu Xiaolong, Tod einer roten Heldin
-Qiu Xiaolong, Die Frau mit dem roten Herzen
Ich bereue, diese Bücher – trotz Empfehlung von zuverlässiger Seite – nicht schon lange gelesen zu haben. Die beiden Fälle für Oberinspektor Chen waren für mich als Leserin der Türöffner zum heutigen China samt Rückblick und Ausblick. Aber nie verliert sich der Autor in Reiseführerbeschreibungen, immer schafft er Zusammenhänge, kleine Erklärungen und wunderbar fremde Dialoge. Beide Fälle handeln im Kern von der Verletzung, als „zu gebildet“ „zu schön“ „zu dekadent“ deklariert zu werden und einer permanenten Umerziehung ausgesetzt zu sein.
Von den Büchern, die ich wiederholt lesen wollte, habe ich es nur bei Kafka getan. „Der Prozess“ ist sicher keine typische Ferienlektüre, aber dafür ein Meisterwerk an Beschreibung. Hat mich dieses Mal ein wenig an Kunerts Kurzgeschichte „Zentralbahnhof“ und an den Film „Dogville“ erinnert, die Bilder habe sich alle übereinandergeschoben. Markus Werners „bis bald“ habe ich weg gelegt. Ich denke, das Buch hatte mir damals viel bedeutet, weil ein Freund zu dieser Zeit an einem Herzinfarkt gestorben ist. Heute tendiere ich eher zur Bestätigung eines Kunden, der mir sagte, ich überschätzte dieses Buch Werners.