Vom Suchen und Finden

Es ist Semesterende und ich bin am Korrigieren. Nicht nur Tests von Lernenden, sondern auch Begleitbriefe zu Zeugnissen oder Missverständnisse zu Notenabgaben.
Trotzdem will ich einen Rückblick auf die letzte Zeit tun. Wir hatten an unserer Schule am 8. Januar eine Veranstaltung „Wie weiter mit dem Islam“ zum Thema Radikalisierung von Jugendlichen. Der Zulauf war enorm und das Echo äusserst positiv. Der daraus entstandene Presseartikel hat über Facebook grosse Verbreitung gefunden. Und nicht nur das, es ist wirklich eine Argumentationsgrundlage für uns Lehrpersonen und auch für viele unserer Lernenden geworden. Ahmad Mansour half uns, in bester Weise mit den Stimmen umzugehen, die wir eigentlich nicht hören möchten, aber die es in den meisten unserer Klassen gibt:
Selber schuld; wer provoziert, muss mit Strafen rechnen; religiöse Gesetze sind mindestens so wichtig wie andere, wenn nicht wichtiger.
Wir müssen gemeinsam Lösungen für das Zusammenleben erschaffen und dürfen es auch sagen, wenn wir Angst haben, sie nicht zu finden. Die Schule ist dafür ein guter Ort.
Ich bin eigentlich froh, dass in Frankreich gerade dank den Problemen an Schulen endlich über die gesprochen wird, die sich eben nicht mit Charlie solidarisieren. Ich erachte es persönlich als völlig kontraproduktiv, wenn Länder sich hier etwas vormachen.
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JeSuisCharlie: Übersetzungsversuch.

L’art n’est pas à mes yeux une réjouissance solitaire. Il est un moyen d’émouvoir le plus grand nombre d’hommes en leur offrant une image privilégiée des souffrances et des joies communes. Il oblige donc l’artiste à ne pas se séparer ; il le soumet à la vérité la plus humble et la plus universelle.
Albert Camus in seiner Nobelpreisrede im Dezember 1957

Übers. sinngemäss: „Die Kunst ist kein einsiedlerisches Vergnügen. Sie verlangt vom Künstler, sich nicht abzukapseln. Sie ist ein Mittel, die grösstmögliche Zahl Menschen anzurühren.“

Ich kann verstehen, dass manche genug von #jeSuisCharlie haben oder finden, die Franzosen hätten schon nach der Anschlagserie im März 2012 aufstehen sollen, ganz besonders gegen Antisemitismus.
Dass Frankreich gerade diese Tat so enorm erschüttert und mobilisiert, hat viele Gründe: Die französische Revolution, die bis heute in jeder Schule gepaukt wird, die Verfassung, deren Präambel und 1. Artikel jedes Kind auswendig lernen muss:

La France est une République indivisible, laïque, démocratique et sociale. Elle assure l’égalité devant la loi de tous les citoyens sans distinction d’origine, de race ou de religion. Elle respecte toutes les croyances. (…) [Hervorhebung nja.ch]

Ein Vergleich mit uns Deutschsprachigen ist nicht ganz einfach. Familien hier abonnieren sicher nicht Zeitschriften wie „Fluide Glacial“, aber die „Harald Schmidt Show“ hat man auch in dessen schärften Zeiten gern zusammen mit Oma geguckt. Die Karikaturen der Franzosen sind unsere Satire und Polemik in Wort und Schrift. Hätten die Terroristen Dieter Hildebrandt (+), Harald Schmidt, Martin Sonneborn, Anke Engelke, per Zufall noch Fredmund Malik und Peter Schneider umgebracht, konzentrierten wir unsere Voten auch auf sie. Einfach, weil sie repräsentieren, was uns wichtig ist: Wortgewalt als Kunstform, Frechheit, Freiheit, Demontage jeglicher Autorität.
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Unser Möglichstes?

Bis jetzt war mein Weihnachtszeit wunderbar. Emsig und feierlich zu gleichen Teilen – so muss es sein. Ruhige Büro- und Backarbeiten und Treffen mit lieben Menschen machten mir diesen Dezember leicht. Zwei Einbürgerungen von jungen, vielseitigen, muslimischen Frauen waren mir eine besondere Freude.
Trotz allem machen meine Gedanken, was sie wollen und kreisen immer wieder um Elendes in dieser Welt. Der Angriff und die Morde in der Army Public School beschäftigt mich. Das hat mit meiner guten Erinnerung zu tun, die ich an die Grenzstadt Peshawar habe. Deren Einwohner haben uns als Familie – und ganz besonders mir als zehnjähriges Mädchen – viel geholfen. Unser Rückweg von Indien führte Ende Siebzigerjahre durch lauter Konfliktregionen; der Weg von Peshawar über den Khyberpass nach Kabul, in dem schon die ersten russischen Besatzer warteten, war besonders steinig. Und kalt. Wohlgesinnte, kriegskundige Paschtunen waren das Beste, was mir damals passiert ist.
am Khyber-Pass
(Bild: ich damals am Khyber).
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Anitautoritäre Erziehung 2

2005 habe ich mir offenbar vorgenommen, das Thema ad acta zu legen. Aber heute ist mir – sicher nicht zum ersten Mal seither – wieder eine haarsträubende Geschichte über ein vermeintlich antiautoritär erzogenes Kind aufgetischt worden. Zudem habe ich im Rahmen der „Kuschelpädagogik“ auch schon öfter Aufzählungen von Neills Irrtümern gehört.
Da ich im Moment häufig mit meinem erwachsenen, aber zumindest finanziell noch abhängigen Kind Meinungsverschiedenheiten pflege, rufe ich mir meine Prinzipien täglich in Erinnerung. Ich bin gezwungen, sie ständig auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen und mir erzieherische Fehlleistungen einzugestehen. Aber mit dem Versagen von Neill kann ich trotzdem nicht dienen. Das, was ich vor neun Jahren aufschrieb und umzusetzen versuchte, funktioniert nach wir vor. Mehr noch: Es verschafft uns in den schwierigsten Situationen Respekt voreinander. Aber wir sind trotzdem laut, Heuchelei ist keine Option. Und ja: Ich weiss nicht, ob’s gut kommt.
Wenn ich wieder so bescheuerte Geschichten von Kindern höre, die andere terrorisieren dürfen, weil ihre antiautoritäre Erziehung das erlaube, fällt mir diese Antwort von Neill ein:
Was soll ich tun, wenn mein neunjähriger Sohn Nägel in die Möbel schlägt?
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Unfertige Blogbeiträge

Offenbar soll es nicht sein, dass ich vor meinem Bildungsurlaub (der Countdown läuft) noch zum Bloggen komme. Aber das reale Leben und die Menschen darin sind wahrlich wichtiger.
Folgende Beiträge würde ich aber doch gerne demnächst beenden:

  • Laufbandberatung
  • Erstaunliche Ausreden
  • Ungeheuer Absenzenwesen
  • So long! Und tragt Sorge zueinander da draussen!

    Sommerlektüre

    Dieses Mal fahre ich weg, ohne eine Literaturliste zu hinterlassen. Wie Safranski sagt: es gibt heute Bilder statt Worte.
    Die Bücher zur Linken werden wohl mehr vom Mann gelesen, „Das doppelte Lottchen“ rechts ist zum Vorlesen für die Nichte. Clark werde ich bestimmt nicht ganz schaffen und Izzo habe ich bereits gelesen, möchte aber nochmal. Daneben werde ich mich hoffentlich endlich wieder mehr bewegen und ab und zu versuchen, die Schule zu vergessen. (Was etwas schwierig ist, weil man ja in den Ferien auch den eigenen Unterricht vorbereitet.) Mal sehen.
    Meine Sommerferienlektüre 2014
    Guten Juli liebe, treue Leserschaft! Möge allen die Sonne scheinen.

    Frühe Erkenntnis

    Wir haben ja praktisch keine Eidgenossen auf dem Fussballplatz. Wobei ich nie weiss, wer die überhaupt wären, weil alle, die den Begriff brauchen, diesen anders erklären. Sei’s drum. Gestern führte ich mit meinem fünfjährigen Neffen (Kind eines Migrationshintergrunds) folgendes Gespräch:
    Ich:
    Hast du das Spiel Schweiz-Honduras gesehen?
    Neffe:
    Nein, ich musste zur Halbzeit ins Bett.
    Ich:
    Aber du weisst, wer alle Goals gemacht hat?
    Neffe:
    Tscherddan Schatschiri. Aber sag Shakiri, wenn du mit Schweizern redest.