Bébé-Werkstatt

Bébé am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen
Zum ersten Mal seit sieben Jahren habe ich wieder ein Bébé gehütet.
Als das Kind „aus dem Gröbsten raus“ [1] war, bekamen meine Freunde und Bekannten auch Kinder oder sogar schon „das Zweite“ [2]. Trotz vielfach beschworenem Geburtenrückgang befand sich unsere Wohnung über Jahre in permanentem Baby-Zustand, ohne dass ich oder das Kind noch viel dazu beigetragen hätten. 1999 hatte ich dann die Nase voll die Geduld verloren. Ich schickte in bissigem Ton eine „Antwort an alle“, dass es bei mir weder Windelvorrat noch Strampelanzüge gäbe, dass Kinderwagen und Traggestelle samt Sonnenverdeck längst in anderer Hände gewandert seien, dass ich weder Schoppen noch Nuggis behalten hätte, dass ich nicht einmal für einen randlosen Löffel im Haushalt garantieren könne und dass ich ab sofort keine Babys mehr hüten würde. Weil ich wirklich verständnisvolle Freunde und Bekannte habe, akzeptierten sie klaglos und überliessen mir ihre Kinder erst wieder, als diese am Tisch essen konnten, ihre Reservekleidung im Griff und ganz allgemein die Vernunft entdeckt hatten [3].
Jetzt habe ich wieder Nerven für die kleinen Würmer jenseits des Lesealters und natürlich quatsche ich sie mit Büchern voll. Diesem hier habe ich von Rodolfo erzählt, dem Gestalter mit dem schwierigsten Auftrag der Welt, der erst noch besonders unter Druck stand, weil bereits das erfolgreiche Design des Regenbogens aus seiner Familie stammte. Von Rodolfos Suche nach der wahren Schönheit und Leichtigkeit, die ihn durch Täler und über Berge, durch Wetter und Wälder und auch in verwirrende Sitzungen mit seinen Auftraggebern führte. Von dem Hadern im Schaffen und von Rodolfos Freude, nachdem er das Wesen erfunden hatte, das alle Kriterien des Auftrags erfüllte: Den Schmetterling. Ich erzählte auch etwas über den Hammer Verlag, die Autorin Gioconda Belli und den Illustratoren Wolf Erlbruch. Das Bébé sang ein wenig zu meinen Ausführungen und so unterhielten wir uns prächtig ohne gegenseitig Schaden zu nehmen.

[1] Ein stehender Ausdruck der bedeutet, dass das Kind keine Windeln mehr braucht, überall essen kann und nicht mehr denkt, man sei endgültig aus seinem Leben verschwunden, wenn man kurz um die Ecke geht.
[2] Eine stehender Ausdruck im Berndeutsch, „ds Zwöite“ ausgesprochen. Er bedeutet das zweite Kind und die Vervollständigung einer Familie. Einzelkinder haben nicht nur in der Schweiz einen schlechten Ruf (vgl. Murakami, Gefährliche Geliebte), aber hier ist eine Familie ohne „ds Zwöite“ nicht komplett. Es wird häufig davon ausgegangen, dass ein Einzelkind aus einer früheren, gescheiterten Beziehung resultiert.
[3] Über Kinderbetreuung gab es in neuster Zeit einige schöne Blogbeiträge in Deutschland, zum Beispiel bei der Kaltmamsell und bei wasweissich, dort auch noch mit passender Buchbesprechung.

2 Gedanken zu „Bébé-Werkstatt“

  1. Köstlich! Das Bébé wird sicher u.a. ein guter Kunde vom Hammer Verlag und ein treuer Leser von Gioconda Belli.
    Ich habe meiner kleinen Tochter in Windeln immer „Pankraz, der Schmoller“ erzählt. Ob sie Godi Keller noch liest, weiss ich nicht, aber für Seldwyla in jeglicher Form hatte sie schon immer ein Herz 😉

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