Das Leben beginnt im Banalen

Die Schweizer Werke, die ich liebe, sind meist kleine Würfe in den See deutscher Literatur, welche für mich alles bezeichnet, was in einer der vielen Facetten deutscher Sprache geschrieben worden ist. Autoren wie Beat Brechbühl („Kneuss“), Beat Gloor („staat sex amen“), Beat Sterchi („Blösch“), Pedro Lenz („Der Goalie bin ig“), Verena Stefan („Fremdschläfer“) sind weniger bekannt als Peter Bichsel, Fritz Dürrenmatt, Franz Hohler, Max Frisch (aber nur seine Fragebögen sind so richtig alltäglich), Jeremias Gotthelf, Ruth Schweikert, Urs Widmer. Jeder von ihnen zeigt die Brüche im Alltag, die feinen, unauffälligen ganauso wie die endgültigen:
Kochen erinnert mich. Beim Schälen von Knoblauch denke ich an meinen längst verstorbenen Freund Schmapi Gerwig. Als ich ihm mal sagte, dass sich Knoblauch besser schälen lässt, wenn man ihn halbiert, sagte er, dass das nur mit frischem Knoblauch funktioniert. Ich vergass mich zu wehren – es funktioniert auch mit altem Knoblauch. Und Schampi starb, bevor ich es ihm mitteilen konnte. (Max Frisch: „Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschen Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?“) Würde Schampi eines Tages plötzlich vor mir stehen, ich würde ihm sagen, dass ich ihm vergessen habe zu sagen, dass das durchaus auch mit altem Knoblauch gelingt.
Ja, das ist banal. Aber das Leben beginnt im Banalen.

Aus: Peter Bichsel „Die Linsen meiner Mutter“ (In: Über Gott und die Welt, Suhrkamp 2009)

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