Die Schnecke anschieben

Ich weiss nicht, wie das in anderen Ländern so läuft und ich sage das also, ohne einen fundierten Vergleich in petto: Die Schweiz ist in der Gleichberechtigung rückständig. Der Vorteil dabei ist ein guter Trainigseffekt, welcher sonst nur Minderheiten verbehalten ist. Der Nachteil ist der enorme Zeitaufwand, den Frauen in der Schweiz haben.
Fast achzig Jahre ist es nun her, dass die SAFFA-Damen die Frauenstimmrechtsschnecke geschoben und gezogen haben. Als meine Mutter das Frauenstimmrecht erhalten hat, war ich schon zwei Jahre alt, das war 1971. Heute gibt es zwar Frauen in der Politik, aber ihre Vertretung ist keinesfalls angemessen und die Beurteilung ihrer Arbeit ist nicht selten himmelschreiend sexistisch. (Dieses Wort auch nur einmal zu verwenden, macht einen in weiten Teilen der Schweiz und besonders in der Arbeitswelt zur Jutte-statt-Plasik-Feministin mit lila Latzhose, obwohl es die schon seit 25 Jahren nicht einmal mehr zu kaufen gibt. Kurz: Der Emanzipations-Schock sitzt hierzulande tief.)
Eine sehr beliebte Taktik bei der Kritik an Politikerinnen ist es, „polemisch“ zu sein. Sich mutig gegen die politische Korrektness zu stellen, die heute allen das ehemals lustige Leben vergrault. Dieses Rezept hat vergangenen Freitag auch G. Girardet angewandt, als er nach einer Woche SP-Debakel-Analysen in der Presse noch etwas schrieben durfte, bevor das Thema auch dem Hinterletzten über ist.
Sein Artikel wird nicht ewig online sein und das ist auch gut so. Zu solchem Anlass ist es schwierig zu entscheiden, ob eine Reaktion lohnt. Die Chancen stehen mittelmässig, dass ich jemanden z.B. mit einem Leserbrief umstimmen kann. Andererseits sind wir es unseren Vorfahrinnen, die uns das aktive und passive Wahlrecht erstritten haben, schuldig, den Mist von den jungen Nachfolgerinnen zu kratzen, den Männer meist ungehindert über ihnen ausschütten dürfen. Zum besseren Verständnis zitiere ich ein Müsterchen, damit auch die interessierten Ausgewanderten wissen, wer in die Pfanne gehauen wird:

Ursula Wyss, Chantal Galladé, Pascale Bruderer, Evi Allemann sind die Vertreterinnen einer Frauengeneration, die durch den Frauenbonus ohne politischen Leistungsausweis auf die nationale Bühne gespült wurden.

Na ja. Es war heute doch ganz nett zu sehen, dass mein Leserbrief ungekürzt publiziert wurde und sogar den Titel geliefert hat. Ein paar Leute haben mich drauf angesprochen, immerhin. Und vielleicht habe ich ja damit meiner Nichte einen Kiesel aus dem Weg geräumt.

4 Gedanken zu „Die Schnecke anschieben“

  1. „Unsere“ SP-Nationalrätin aus Zürich, Jacqueline Fehr, wurde ja auch gemassregelt, weil sie m.E. zurecht die Stadtpräsidenten bzw. Stadtregierungen von Zürich und Winterthur kritisierte, die mit ihrer blairistischen Politik – Fussballkönig Blatter und Opernzar Pereira sind wichtiger als das gemeine SP-Fussvolk – sich von der SP-Basis entfremdet haben. Diese Männerbündelei in Politik und Wirtschaft – frau betrachte mal genau ein Foto mit den beiden Herren Sepp Blatter und dem Stadtpräsidenten von Zürich – muss durch einen starken Frauenanteil in der Politik torpediert werden!
    Es ist heute ja wieder sexy auf der Seite der Macht und der mächtigen Männer zu sein. Und da haben die Frauen klar keinen Platz. Das sitzt in den Köpfen dieser Männer fest, und ich frage mich, wie frau das aus den Köpfen (wieder) rausbringt. Einzig wenn das persönliche Umfeld von Politikern oder Männern mit Macht fraulich mitbestimmt wird, hat anderes Denken eine Chance!

  2. Ich denke die Debatte und das Debakel der SP sind vielschichtig – es ist sicher nicht nur eine Geschlechterfrage, sondern auch eine Generationenfrage. Fussball in Ehren, aber gerade Fussball braucht Stadtpräsidenten, die für ein gewisses Mass an Ordnung stehen und da haben wir in Bern mit Tschäppät (und RGM) schlicht und ergreifend ein Glaubwürdigkeitsproblem. Da kann man den 6. Oktober nicht schönreden.
    Aber viel Schneckenpost in Frauenangelegenheiten kommt leider auch von den Medien. Es ist immer das gleiche Spiel: Himmehoch (z.B. als Ruth Dreifuss neu gewählt wurde), dann kann man die Tage zählen, bis sie auseinandergenommen werden, wie Figura zeigt sogar dann, wenn sie gut gewählt werden und im Volke beliebt sind. Jungpolitikerinnen werden wohlwollend aufgenommen, gerne fotografiert, dürften sich zu verschiedensten Angelegenheiten ausziehen (die bekommen ja Anfragen, dass einem alle Haare zu Berge stehen) aber die Torpedos stehen schon bereit. Von Sachlichkeit sind die Medien – bis auf wenige Ausnahmen – in der Gleichstellungsfrage völlig frei.
    Nun denn. Schauen wir mal, was die Debatten alle bringen. Ich finde die Standpunkte, die auf der Webiste der SP publiziert werden (zuerst Fehr, jetzt Leutenegger-Oberholzer), lesenswert.

  3. Danke für den Hinweis auf die Hauptseite der SP. Was Leutenegger-Oberholzer schreibt ist sehr lesenswert: man muss wirklich differenzieren.
    Nur denke ich, dass der Hauptpunkt die SVP-Falle war, in die man getappt ist. Gegen die Opferrolle-Politik einer solchen Partei hat man in den Medien keine Chance. Das hat auch die WOZ früh erkannt und in der Schlussphase des Wahlkampfes nichts mehr über Blocher und Konsorten geschrieben.

  4. Dafür schreibt die WOZ jetzt wieder über die SP – teilweise falsch, aber richtig gnädig. Ich kenne fast niemanden mehr, der die WOZ liest, das nur nebenbei. Und ich bin dennoch froh, dass sie noch lebt. Vielleicht aus Prinzip.
    Ich gehöre auch zu denen, die den Generationenwechsel propagieren und in dem diesbezüglichen Geharze einen Grund für die Wahlschlappe sehen. Meine Generation hatte in der SP einen Hintergrundjob, unsere Chance lag im Administraitven, im Internetten, im Marketing. Die Politik war und blieb besetzt von denen, die die Presse die Achtundsechziger nennt und die wir teilweise noch im letzten Jahr als Spitzenkandidaten aufgestellt haben (gegen meinen Willen notabene).
    Nun merkt man langsam, dass auch meine Generation ihren Job gemacht hat und weiter zu machen gedenkt: die Generation nach uns endlich fördern! Manchmal geht es gar nicht so sehr darum, den alten Stil zu verurteilen und den neuen hochzujubeln, manchmal ist es schlicht und einfach Zeit. Das sollten die, die sich jetzt von den Jungen angegriffen fühlen, am allerbesten wissen. Denn se sind mit der Generation vorher um vieles härter umgegangen.
    Wenn Leutenegger-Oberholzer schreibt, die Kantone mit den „jungen Ungenauen“ hätten auch verloren, stimmt das. Man muss allerdings nur sehr wenig rechnen können, um zu sehen, dass sie ohne die junge Generation total untegegangen wären.

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