Kampfzone: die Folge [3]

Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb der Bericht des französischen polizeilichen Nachrichtendienstes vertraulich ist. Es handelt sich ja um eine „alte“ Problematik, der Vandalismus in Ghettos ist permanent. Ungewöhnlich war ja nur, dass die Zerstörung über drei Wochen und in über 300 Siedlungen gleichzeitig stattfand. Deshalb sollte ein Bericht – wenn es ihn endlich gibt! – allen zugänglich gemacht werden. Das gilt auch für alle kommenden Studien.
Immerhin publiziert „Le Parisien“ einige Auszüge, die heute in „Der Bund“ von Rudolf Balmer teilweise zitiert und kommentiert wurden. Hier die wichtigsten Bemerkungen :

Sie [die Jugendlichen] handelten laut dem Polizeidienst Renseignements Généraux mehr aus ihrem gemeinsamen Gefühl der Verzweiflung und der Wut, das «den sozialen Lebensbedingungen und dem Ausschluss aus der französischen Gesellschaft» entsprungen sei.

«Die Jungen der Problemquartiere fühlen sich durch die Armut, durch ihre Hautfarbe und ihre Namen zurückgesetzt.» Der Bericht unterstreicht den «himmelschreienden Mangel an Integration» dieser Randzonen mit ihrer Konzentration an sozialen Problemen und interpretiert den Vandalismus als eine Art «suizidären Akt».

«Frankreich hat sich mehr Sorgen gemacht über den Vormarsch des radikalen Islamismus und des religiösen Terrorismus und darob die komplexe Problematik der Banlieue vernachlässigt.»

Laut Renseignements Généraux handelt es sich um eine untypische «Revolte in den Vorstadtsiedlungen ohne Anführer, ohne Vorschläge und ohne Programm».

Wie alle anderen politischen Kräfte sei auch die extreme Linke von den Ereignissen überrumpelt worden: «Sie hat nichts kommen sehen und grollt nun, weil nicht sie den Anstoss zu einer solchen Bewegung gegeben hat.» Unschuldig seien auch die mehrfach verdächtigten radikalen Islamisten, die «beim Ausbruch und der Ausbreitung der Gewalt keinerlei Rolle spielten», sondern im Gegenteil «alles Interesse an einer schnellen Rückkehr zur Ruhe hatten», um zu vermeiden, dass sie selber angeprangert würden.

Dagegen versuchten nun diverse «politische Bewegungen, namentlich die extreme Rechte, aus den Ereignissen und deren Folgen ihren Nutzen zu ziehen».

Den Beweis für das letzte Zitat habe ich auch in der deutschsprachigen Blogosphäre angetroffen. Ich habe selten so offen rassistische, unreflektierte Äusserungen gelesen und zwar in Blogs, die ich nicht als extrem rechts klassifizieren würde.
Doch anstatt mich zu lange zu ärgern, wollte ich die letzten Wochen lieber recherchieren, was an Kultur- und Kunstprojekten in den Vorstädten läuft, denn da hat Frankreich schon sehr früh einiges getan (im Vergleich zur Schweiz). Doch ich habe festgestellt, dass viele Projekte 2002/2003 beendet worden sind, dass die banlieu’sche Kulturlandschaft – und das passte ja zu den hier schon erwähnten Sparmassnahmen – ausgedünnt scheint. „Le drame des banlieues est le manque de culture“, meint ein Banlieue-Künstler. Hier müsste man wieder ansetzen.
Es gibt eine Website, auf der viele Projekte von Migrantinnen und Migranten nach Regionen und chronologisch gelistet sind, die Cité nationale de l’histoire de l’immigration. Dort findet man auch einen vielleicht etwas wohlwollenden, aber doch guten Film zur Geschichte der Migration in Frankreich.
Und wer neben all dem Elend noch etwas Lustiges zur Völkerverschiebung lesen möchte, gucke doch bei Lila rein.

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