Tischgespräch [24]

Kind:
Also ich möchte eher einen ausgeglichenen Job machen später… Also nicht einen, wo du eine Woche nur rennen und rechnen und präsentieren musst und kaum schlafen kannst und dann in einer anderen Woche vielleicht den ganzen Tag Fehler suchen oder so.
Mutter:
Ich weiss gar nicht, welchen Job man da wählen könnte. Vielleicht Verkauf in einem Supermarkt? Aber auch da gibt es Spitzenzeiten. Vielleicht Buschauffeur?
Kind:
Ja, da hängt von dir allein nicht so viel ab. Ich meine, du zum Beispiel musst immer jede einzelne Anmeldung zählen und zittern, ob deine Klassen voll werden und ob du die Lehrer angestellt behalten kannst und musst jeder einzelnen Lehrstelle nachrennen…
Mutter:
Hui, was du alles weisst!
Kind:
Und Papa muss alles tun, um diese Riesenaufträge zu bekommen, jetzt wo man die immer in ganz Europa ausschrieben muss, ist es noch viel stressiger.
Mutter:
Er ist nicht allein, er ist in einem sehr guten Team, er hat gute Chefs. Und ich versichere dir, dass er ruhig schläft.
Kind:
Aber trotzdem! Ich werde lieber etwas Ruhigeres.
Mutter:
Was könnte das denn sein?
Kind:
Psychotherapeut.
Mutter:
Ach, ich weiss nicht, ob das das ruhiger ist. Ich meine, dann hast du irgend einen Suizidalen, der dich zu Hause anruft… Das kann ja auch stressig werden.
Kind:
Aber es kommt viel mehr drauf an, wie du selber bist und nicht nur, dass du immer und immer jede neuste Entwicklung voraussiehst und sofort jede neue Erkenntnis anwenden kannst.
Mutter:
Also ich weiss nicht recht…
Kind:
Als Psychotherapeut brauchst du Fachwissen von der Uni, Erfahrung mit Problemen und musst mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.
Mutter:
Das stimmt auf jeden Fall. Aber ich muss leider sagen, dass – abgesehen davon, dass unser Fachwissen nicht von der Uni kommt – dies genau das ist, was deine Eltern in ihren Berufen auch brauchen. Das gilt wohl sogar für einen Kranführer.
Kind:
Ja, ja, vor allem das mit den Beinen auf dem Boden!

4 Gedanken zu „Tischgespräch [24]“

  1. Das Kind ist wirklich originell – es hat ja eigentlich völlig recht. Wobei etwas Spannung ab und zu auch gut tut. Und wahrscheinlich gibt es kaum einen Job, der wirklich unaufgeregt ist. Ich wollte immer Koch oder Bäckerin/Konditorin lernen (alles auch nicht wirklich stressfrei :-)), aber schlussendlich bin ich im Archiv gelandet – planbar ist es eben auch nicht.

  2. Oh nein! Alle Bäcker/Konditoren die ich kenne, sind – abgesehen von den Weltmeisterlichen, von welchen ich auch einen in der Verwandtschaft habe – ziemlich schlecht dran.
    Die Archivarinnen und Archivare kenne ich auch – teilweise. Schwer zu sagen, wie die dran sind, aber ich nehme an, das weisst du selber 😉
    Das Kind äussert sich immer öfter dazu, warum es auf keinen Fall so werden will wie die Eltern… Gehört wohl dazu, aber ich bin manchmal trotzdem ein wenig düppiert.

  3. Ich glaube, das Kind hat gute Voraussetzungen für seinen Wunschberuf. Wobei, als Tochter einer in dieser Branche Tätigen kann ich bestätigen, dass aber auch dieser Beruf nicht stresszeitenfrei ist – Vorweihnachtszeit! Nach den Ferien!

  4. Hoppla, mir war nie klar, dass ich meine Eltern (Elektriker, Hausfrau) damit gekränkt haben könnte, dass ich ganz bestimmt was anderes werden wollte als sie. Ich werde mich mal vorsichtig entschuldigen gehen …

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