Paradise Now: Filmheft

Ich habe den Film voller Vorurteile angeschaut, als er hier ins Kino kam. Schon bevor er in der Blogosphäre auftauchte, hatte ich Vernichtendes darüber gehört.

Der Mord an Israelis soll als Überzeugungstat verständlich gemacht werden, und bietet seinem Publikum an, diese Überzeugungen im Verstehen der Tat zu teilen.

Aber ganz ähnlich wie bei Grass’ Im Krebsgang, zu dem ich zahlreiche Rezensionen betreffend Verharmlosung der deutschen Schuld und Tätersympathie gelesen hatte, bevor ich überhaupt zur Primärlektüre kam, musste ich wieder merken: es ist nicht, wie es teilweise rezensiert worden ist.
Nachdem nun auch noch diese Petition die Runde macht, habe ich letzte Nacht das Begleitheft für Schulen durchgelesen. Ich habe noch niemanden gefunden, der seine Begründung, es sei schlecht, auf Fundament gestellt hat und auch noch keine Lehrperson, die sich äussert. Das sollten wir aber.
Viele Länder unterstützen Filme in der Absicht, sie für den Unterricht zu verwenden. In der Schweiz werden oft Themenfilme in Auftrag gegeben, das gibt Arbeit für Schweizer Filmemacher und Filmemacherinnen, und es entsteht daraus wichtiges Unterrichtsmaterial für verschiedene Stufen.
Ein Beispiel: Eine meiner Schülerinnen sagte in der Pause, sie wäre immer gegen Rassismus gewesen, aber seit letzten Samstag wisse sie, dass die „Jugos“ genau so seien, wie das erzählt werde.
Ich habe darauf nur indirekt reagiert, indem ich zwei Lektionen mit Balkan Realities und einer (damals) Neuerscheinung Ein Stück gebrannter Erde gemacht habe. Stiftungen wie die für Bildung und Entwicklung ermöglichen mit Hilfsmitteln eine schnelle Reaktion im Unterricht. Die Qualität des Materials ist mehrheitlich gut, ich erinnere mich nur an einen einzigen Flop, den Comic Das Abkommen, den ich wahrlich niemandem empfehlen kann.
Ich vermag nicht einzuschätzen, ob Deutschland hier ähnlich funktioniert und die Bundeszentrale für politische Bildung mehrheitlich gutes Unterrichtsmaterial produziert. Aber zurück zum Begleitheft zu „Paradise Now“. Das Heft ist schlecht, das lässt sich nicht abstreiten. Da ich nicht davon ausgehe, dass Heerscharen von Lehrkräften sich um diesen Film reissen, gebe ich dafür nur zwei Gründe:

  • Es hält der Kongruenzprüfung nicht stand. Übrigens ein häufiger Fehler in didaktischem Begleitmaterial, das nicht von Lehrpersonen verfasst oder zumindest korrigiert wird. Wenn es in der Zusammenfassung heisst, die Familien seien „ahnungslos“ und in der Beschreibung der Mutter dann, sie spüre „intuitiv“, dass der Sohn etwas „im Schilde“ führe, dann ist das halt nicht unterrichtstauglich. Und es ist leider nicht das einzige Beispiel.
  • Die Fragen (unerklärlich getrennt nach „Problemstellungen“ und „Aufgaben“), die die Lehrperson den Lernenden stellen könnte, sind von minderer Qualität oder böser: „Wischiwaschi“. Sie lassen kein Lernziel erkennen und bieten nur sehr erfahrenen Lehrpersonen einen Ansatz für Gruppenarbeiten (solche Sachen macht ja kein Mensch im Lehrgespräch oder im Frontalunterricht).
  • Wenn ich die Bundeszentrale für Politische Bildung wäre und diesen Film unterstützt hätte, hätte ich das getan, weil deutsche Schulen von sehr vielen Muslimen besucht werden. Und weil viele dieser muslimischen Lernenden nicht die Gelegenheit haben, sich eine eigene Position in ihren Familien zu erarbeiten, schon gar nicht eine politische. Wenn daheim Antisemitismus anerzogen wird, übernehmen sie das unreflektiert, weil die Schule dem zu wenig oder gar nichts entgegensetzt. Und Figuren, mit denen jeder selber – ob in der Literatur oder im Film – um Ablehnung und Sympathie ringen kann, können Menschen Differenzierung lehren. Doch nachdem ich das Heft für den Unterricht mit Lernenden ab 14 Jahren nun gelesen habe, weiss ich nicht, mit welchem Lernziel der Film gezeigt werden soll.
    Grundsätzlich aber unterstütze ich Filme für die Schule, die nicht undiskutiert stehen bleiben können. Denn die eigene Position ist die einzige Garantie für Demokratie. Eine eigene Meinung muss man üben und je durchmischter die Klasse, desto besser geht das. Denn die Schule ist ein Lernort und nicht einfach eine Vermittlungsstelle für Patentrezepte.

    3 Gedanken zu „Paradise Now: Filmheft“

    1. „Eine eigene Meinung muß man üben und je durchmischter die Klasse, desto besser geht das. “ Genauso! Deine Film- und Unterrichtsmaterialbesprechung habe ich mit großem Interesse gelesen. Vielleicht interessiert Dich dann auch mein Aufsatz über meinen Unterricht mit dem Film „Der Untergang“, in dem ich zeige, daß Schüler auch an einem eher schlechten Film ihre eigenen Fragen bearbeiten und klären und ihre eigene Position bestimmen können, wenn man sie denn läßt. Tatsächlich halte ich das auch für die beste Form von „Demokratie-Lernen“. Der Aufsatz ist in der Zeitschrift „Neue Sammlung. Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft“ erschienen, Du kannst ihn aber auch hier als pdf bekommen: http://twoday.net/static/bildung/files/der%20untergang%20-%20unterricht%20ueber%20ein%20schwieriges%20thema%20lisa%20rosa.pdf
      Ich wäre sehr an Deiner Meinung dazu interessiert!

    2. Liebe Lisa – danke für das Kompliment. Ich freue mich, dass jemand den ganzen Sermon lesen mochte 🙂 Danke auch für deinen Artikel, ich werde sehr gerne dazu Stellung nehmen. Gib mir etwas Zeit, meine To-Read-Liste ist diese Woche sehr lang und ich möchte ihn nicht einfach nur quer lesen (eine Buchhändlerinnen-Krakheit übrigens).

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