„War meine Zeit meine Zeit?“ soll das neue Buch von Hugo Loetscher heissen. Der Verleger habe ihn schon gefragt, wann sein Roman denn fertig sei? erzählte Loetscher am Literaturfest. Das werde kein Roman, habe er entgegnet. Ja, was es denn dann werde? Auf Lörtschers Gegenfrage, was denn Dürrenmatts „Stoffe“ gewesen seien, antwortete der (Dürrenmatt und Loetscher gemeinsame) Verleger: „Späte Prosa.“ Und seither ist für Autor wie Verlag entschieden, dass es das ist, woran Hugo Loetscher schreibt und woraus er gestern las: „Späte Prosa“.
Das war für mich ein Autorenfest. Ich habe ausser Hugo Loetscher noch Urs Widmer, Urs Mannhart und Lukas Bärfuss gehört und musste ihretwegen einige gute Frauen verschmähen. So ist das an Literaturfesten und -tagen: Entdecktes und Verpasstes prägen solche Anlässe gleichermassen.
Loetscher ist ungefragt auf die Welt gekommen und versuchte aus dem Ungefragten etwas Gefragtes zu machen. Widmers Alter Ego erfuhr im Hotel wie das Leben, das eben noch ein Honigschlecken war, eine untragbare Last wurde. Die Waden von Mannharts Velokurier ziert kein erotisches Fischgerippe, nichts ist zu sehen ausser vielleicht ein paar Haare über der Ahnung eines Muskels. Les‘ ich in meinem Notizbuch.
Bin Rasen
Allan Guggenbühl, Anleitung zum Mobbing
Allan Guggenbühl
Anleitung zum Mobbing
Zytglogge 2008
978-3-7296-0754-5
Gute Zusammenarbeit ist nicht schwer. Jeder arbeitet seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend, ist zuverlässig, verhält sich fair und ist bereit, die Fehler des anderen auszugleichen. Nur leider funktioniert der Mensch nicht so. Und darum geht es bei Guggenbühl ja immer.
Sein neues Buch hat zwar Ratgeberqualitäten, aber bestimmt nicht als „Anleitung zum Mobbing“. Das Buch zeigt besser als andere zum Thema, warum wir Mobbing nicht als Modewort abtun sondern uns gescheiter damit befassen sollten.
Guggenbühl schreibt gewohnt provokativ aber menschenfreundlich. Mir ist angenehm aufgefallen, dass er auf aktuelle Publikationen Bezug nimmt und für Erklärungen nicht alte, sondern neue Beispiele anführt.
Besonders gut und flüssig geschrieben sind die Kapitel zum Selbstbild. Laut Guggenbühl kommt keiner umhin, sich selbst zu täuschen, weil kein Mensch seine Schattenseiten ununterbrochen erträgt. Zusätzlich sind die Stärken und Schwächen, die wir uns selbst zuschreiben, Anpassungsleistung an die Gesellschaft und also Moden und Bezugsgruppen unterworfen. „Persönlichkeitspropaganda“ hilft uns, mit uns selber auszukommen und psychisch gesund zu bleiben. Doch lässt sich aus unserer Tendenz und Fähigkeit zur Selbsttäuschung auch ableiten, dass wir es nicht immer merken, wenn wir intrigieren. Steigende Sozialkompetenz und zunehmende Gewaltfreiheit führen gemäss Autor nicht zu weniger, sondern zu mehr Mobbing. Ein anderes Verhalten müssen wir uns in der Regel hart antrainieren.
Aber Guggenbühl pflegte seiner Leserschaft nie Illusionen zu machen. Er mahnte (zuweilen in der Wüste) immer, dass Gewalt und Intrigen zum Grundrepertoire menschlicher Verhaltensweisen gehören. In diesem Buch geht es erneut darum, dass wir alle verschiedene Seiten haben und uns im Perspektivenwechsel üben sollten. Dass Guggenbühl manchmal auch aus der Sicht des versierten Mobbers schreibt, mag den Verlag zum reisserischen Titel verleitet haben.
Ratgebend ist das Buch vor allem dank Guggenbühls breiter Erfahrung in Schulklassen, Lehrerkollegien, Firmen, Universitäten und Fachhochschulen. Seine Fälle sind überzeugend und nachvollziehbar und stimmten mich trotz aller Härte versöhnlich. Die Lektüre vermittelte mir, dass es an anderen Schulen, in anderen Betrieben oder gar in anderen Ländern auch nicht einfacher ist als hier und jetzt.
Warum ich Feministin geworden bin
Das war, als ich Aufklärungsbücher las. (Nur sicherheitshalber: Ich hatte kein Manko an sexueller Aufklärung. Es sei hier vermerkt, dass meine Eltern diesbezüglich alles richtig gemacht haben.)
Doch ich hatte schon als Kind die Gewohnheit, zu dem, was mich gerade beschäftigte, Bücher zu lesen. Ich wurde deswegen von Gleichaltrigen (es waren deren 39 in meiner Steinerschulklasse) auch gern zu allem Möglichen gefragt. Beim von Lehrern verschlüsselten Thema „Aufklärung“ war es nicht anders. Also las ich eben.
Ich fand Aufklärungsbücher in den Volksbüchereien, in den Buchhandlungen, im Bekanntenkreis und später auch in Antiquariaten. Dieses Sachgebiet war in den Achzigern einerseits geprägt von der spezifischen Mädchenerziehung, andererseits bunkerten gerade die Schulbibliotheken Konservativismus. Die mädchengerechte Aufklärung via Bücher war der Elite vorbehalten, die Neuerscheinungen in einschlägeigen Buchhandlungen kaufen konnte.
Das Thema blieb über zehn Jahre ein Interessensgebiet von mir. Ich fragte mich vor allem, wie es zu diesem widersprüchlichen und teils falschen Frauenbild kommen konnte, mit dem ich in Aufklärungsbüchern konfrontiert wurde. Deswegen begann ich auch Titel von Anfang Jahrhundert zu suchen und zu lesen.
Aber wie es so geht im Leben, mit dem Kind kam Platznot und ich spendete einen Teil meiner Sammlung der Gosteli-Stiftung, in deren Katalog die Bücher nun aufgenommen und abrufbar sind. Meine Mutter und Arichivarin war so nett, sie mir herauszufiltern, damit ich mir das notieren kann:
Diese Titel* sind von Frauen geschrieben oder herausgegeben worden.
„Warum ich Feministin geworden bin“ weiterlesen
Lesezeichen: Eine Bestandesaufnahme
Einerseits zur Ablenkung von Dringenderem, andererseits, weil sich die Kaltmamsell Lesezeichen nähen lässt, habe ich den bei mir privat rumliegenden Bestand erhoben:
Dazu hab‘ ich noch mindestens ein Dutzend weitere Buchzeichen aus aller Welt in meiner Geschenkkiste. Aber die zu bloggen würde den Schenk-Effekt doch zu sehr beeinträchtigen.
Heuer habe ich Lesezeichen für die Schule machen lassen. Oder gemacht bekommen (die Idee hatte ich schon länger eingegeben). Wichtig war mir, dass wenig bekannte Zitate drauf stehen, dass sich viele angesprochen fühlen, dass nicht nur Männer zitiert werden und dass mindestens ein Buchzeichen zu jedem Schulbuch und Fach passt. Die kommen jetzt langsam in Umlauf, aber die Auflage ist nicht so gross. Nun denn, Verknappung ist auch ein Prinzip.
Hufeisen
Am Freitag hatten wir Kollegiumstag inklusive Konferenz „meiner“ Abteilung Buchhandel. Wir haben entschieden, nun in unseren beiden Schulzimmern erstmals mit der Grundbestuhlung „Hufeisen“ ins Schuljahr zu starten. Bis jetzt mussten die Lehrpersonen umdisponieren, die Hufeisen (oder Kreis oder Inseln) wünschten. Dieses Jahr müssen die am meisten umstellen, die Reihen bevorzugen.
Ich freue mich über diese Veränderung. Diese Sitzordnung erleichtert die Kommunikation, weil die Gesichter näher sind und auch die Lernenden einander besser sehen.
Vierundvierzig
neue Menschen fangen dieses Jahr ihre Lehre und mit unserer Schule an. Heute hat der Einführungskurs begonnen. (Ich hab letztes Jahr drüber geschrieben und sehe gerade, dass es gleichviel waren.)
Das ist jeweils der Zeitpunkt, an dem ich die Neuen erstmals sehe. Und natürlich sie mich.
Die Neuen gefallen mir immer, schon weil ich mich ob der Tatsache freue, dass sie Buchhändlerin oder Buchhändler werden wollen. Ich mag diese schwirrenden Unterhaltungen zwischendurch, wo man sich aufgrund von Gesprächsfetzten die ersten Eselsbrücken baut, um jemanden als neuen Bekannten in die Hirnkartei aufzunehmen „… ein Semester Theatergeschichte studiert“ „Also ich möchte vielleicht auch eine Katze…“ „Oh! Ich liiiiiiebe Jamie Oliv…“ „Ich durfte schon am ersten Tag allein.. “ „Also in meiner Buchhandlung machen wir das immer so…“.
Bei dem kurzen Rundgang durch die Schulzimmer sollten die neuen Lernenden auf vier Plakaten ein paar Stichworte hinterlassen:
Ich war verblüfft, wie viele sich humorvolle Lehrerinnen und Lehrer wünschten. Ich habe mich in meinen ersten Unterrichtsjahren oft zusammen mit dem Witz ins Fettnäpfchen gesetzt und bin etwas gebrannt. Aber vielleicht sind wir Lehrpersonen wirklich manchmal zu korrekt und unlustig. Und vielleicht haben wir noch gar nicht gemerkt, dass da eine neue Generation kommt.
Eben. Gelesen.
• Capus, Alex, Patriarchen: Zehn Portraits / btb
Ich wusste ja, dass Capus gut erzählen kann. Er steigt gern journalistisch ein, Weiterlesen bedarf keiner Überwindung. Das Buch versammelt Erfolgsgeschichten von: Rudolf Lindt (Schokolade), Carl Franz Bally (Schuhe), Julius Maggi (Nahrungsmittelindustrie), Antoine Le Coultre (Uhrenindustrie), Henri Nestlé (Milchpulver), Johann Jacob Leu (Bank), Firtz Hoffmann-La Roche (Pharma), Charles Brown und Walter Boveri (Kraftwerke), Walter Gerber (Schmelzkäse), Emil Bührle (Waffen). Und um Leserinnen wie meine Mutter – die niemals ein Buch mit nur männlichen Lebenswegen kaufen würden – zu versöhnen, schreibt Capus ein Vorwort über seine Mutter, einer Grundschullehrerin mit anderen Ambitionen.
• Göhre, Frank, Mo: Lebensroman des Friedrich Glauser / Pendragon
Verwirrender Anfang. Habe nicht durchgehalten. Der Mann hielt den Einstieg auch für mühsam, meinte aber, der Autor steigere sich im Laufe des Buches und hinterlasse einen lesenswerten biografischen Roman über eine schräge Figur der Schweizer Literaturgeschichte.
• Guggenbühl, Alain, Anleitung zum Mobbing / Zytglogge
Ausgezeichnet. Bespreche ich einzeln.
• Izzo, Jean-Claude, Die Sonne der Sterbenden / Unions TB
Geschichte eines Gebrochenen in Frankreich. Izzos Menschen fallen durch alle Netze und kommen trotzdem an. Vielleicht im alten Hafen von Marseille.
• Kehlmann, Daniel, Die Vermessung der Welt / rororo
Eine amüsante, in weiten Teilen erfundene Geschichte, parallel erzählt über Alexander Humboldt und Carl Friedrich Gauss. Sehr schön zu lesen. Gauss hat meines Erachtens mehr Profil, aber es herrscht interfamiliär darüber keine Einigkeit. Ist ja schon hundertmal rezensiert worden.
• Lappert, Rolf, Nach Hause schwimmen / Hanser
Auch hier: Den guten Besprechungen ist nicht zu widersprechen. Wilbur ist eine Figur, der man gerne folgt.
• Levi, Primo, Ist das ein Mensch? / dtv
Schon mehrmals angefangen und jetzt erstmals fertig gelesen. Die Philosophie des Naturwissenschaftlers Levi schien mir auch dieses Mal schwer überwindbar. Er schreibt in Vergangenheit so gegenwärtig, als wäre er immer noch dort in Auschwitz und würde alles auf Band sprechen.
• Moody, Bill, Bird lives! / Unions TB
So ein richtig schöner Kriminalroman. Ich mag es immer, wenn unverwechselbare Orte so gut beschrieben werden, dass man danach googelt. Für Freunde des Jazz unbedingt, aber auch für Nicht-Jazzkenner geeignet.
• Nesbo, Jo, Der Fledermausmann / Ullstein TB
Nesbo ist für mich ganz gut mit Mankell vergleichbar: Ein Autor mit zielsicherem Anspruch auf einen umfassenden, mindestens ein Land näher beschreibenden, politisch ambitionierten kriminalistischen Plot. Hier Australien.
• Paprotta, Astrid, Feuertod / Piper Original
Nachbarschaft. Heutige Handlung, heutige Sprache, heutige Probleme. Dieses Mal über den Eiertanz zwischen Sicherheit und Freiheit, über Unterschiede grossstädtischer Quartiere, über Aufsteiger und Aussteiger im urbanen Sammelbecken.
• Schneider, Hansjörg, Tod einer Ärztin / Bastei Lübbe
Herr Hunkeler sucht bei Junkies und in der Basler Schickeria nach dem Mörder einer extravertierten Ärztin. Es ist Winter.
• Schneider, Hansjörg, Silberkiesel / Bastei Lübbe
Ein türkischer Saisonier findet in der Kanalisation Diamanten und lässt sie vor Hunkelers Nase verschwinden. Es ist Sommer.
• Yovell, Yoram, Liebe und andere Krankheiten / btb
Fallgeschichten des israelischen Psychoanalytikers und Freudianers in Beziehungssachen. Ich fand auch Probleme unverheirateter orthodoxer Jüdinnen interessant oder gar übertragbar. Der Mann fand es eher langweilig und viele Ausführungen überspringenswürdig. Meine Empfehlung: Lieber mit „Der Feind in meinem Zimmer“ anfangen, das ist allgemeiner gehalten.
Unterwegs gekauft „Eben. Gelesen.“ weiterlesen
18. Seite
Irgendeine DIE ZEIT.
Gelesen im Juli 2008.
In Südfrankreich.
„18. Seite“ weiterlesen
Auszeit bis Anfang August
In diesen Ferien lese ich:
Und vor diesen Ferien danke ich:
Allen, die hier mitlesen. Es sind viele dabei, deren Treue mich immer wieder erstaunt und ehrt. Merci beaucoup.