Kühe und Schriftsteller im spielenden Markt

Franziska Schläpfer hat es im Tagesanzeiger gut zusammengefasst, unser Symposium vom 2. Mai. Es mangelte ihr an Platz und mir an Stunden, auf Lustiges, Bedenkenswertes, Penibles und Kreatives einzugehen, was dieses Treffen zu Tage gefördert hat. Doch gebe ich gerne zu: Nie zuvor habe ich die Debatte auf einem so hohem Niveau und so angenehm moderiert (Charles Clerc kann Redezeit fair verteilen! Und das unter Buchmenschen!) erlebt. Wir können jetzt Tagungen seriös. Danke ExLibris, Fnac und Weltbild, danke Warenhausketten, danke Amazon, danke Postshop und danke den deutschen Übernehmern: der Markt drillt seine Teilnehmer, Schluss mit dem Gejammer.
Nur Peter Stamm hat am Anlass in polemisch-tragischer Rede gezeigt, dass der Schweiz eine Kuh auf der Alp mehr wert ist denn ein Schriftsteller in seiner Manasarde. Und dass er als Autor seinen Enkeln zwar Mobiliar vererben kann, doch nicht das Recht an seinen Texten, welches bis dann allen gehören wird.
Und Francis Fishwick, der glucksende Statistiker, wusste am englischen Beispiel zu belegen, was die Schweizer Buchbranche seit langem predigt: Von Verlagen gemachte Preise halten die Teuerung der Bücher weit unterdurchschnittlich. Mit freien Buchpreisen ist leider nur das Gegenteil zu haben. Zitat:

Over 12 year since 1995, when fixed prices were abandoned (in UK), the book price index hast risen by 49.6 per cent while that of all consumer prices has risen by 27.6 per cent.

Nun denn. Weiter geht’s.

Noch nicht ganz (aufgegeben)

Ich habe es längst aufgegeben, meine Bibliothek zu ordnen. Sie gleicht einem schlechten Antiquariat, in dem ich auf gut Glück ein bisschen rumwühlen kann, und brauche ich wirklich dringend ein Buch, das ich bereits besitze, so bleibt mir nichts anderes übrig, als es in einer Buchhandlung zu kaufen. Ich tu das gern, ich mag Buchhandlungen.
Peter Bichsel

Auffahrt und 1. Mai 2008: Bibliotheksordnung

Weder für Kirche noch für Klassenkampf entscheiden, sondern einfach für das Aufräumen der eigenen Bibliothek. Neunzig Titel ausgeschaubt, ein einfacheres Ordnungssystem eingeführt: Belletristik, Sachbuch, Anthologien, Zeitschriften. Biografien von Schreibenden zu ihren Schriften, den Rest zum Sachbuch. Trennung nach Reihen, Verlagen oder Bindeart aufgehoben.
Morgen bin ich am Symposium „Vielfalt statt Einfalt“ in Solothurn und anschliessend treff ich mich mit www.buchhaendlerin.ch. Im realen Leben. Um 18.30 in Basel. Bis dann!

Thomas Hoof, Nebenbei und obendrein

Thomas Hoof, Nebenbei und obendrein
Thomas Hoof
Nebenbei und obendrein
Eine Auswahl aus den
Manufactum-Hausnachrichten
1988 – 2007
Manuscriptum 2008
9783937801254

Thomas Hoof war ein Buchhändler und ich lese ja immer gern, was die schreiben. Er identifizierte sich mit dem Buch und sah es doch immer als eines von vielen interessanten Produkten. Und weil er gerne verkaufte, was Kunden zufrieden stellt, gründete er ein Versandhaus mit dem Leitsatz „Es gibt sie noch, die guten Dinge“: Manufactum. Als Buchhändler alter Schule wusste er, dass ein guter Verkäufer guten Kunden regelmässig lesenswerstes Gedrucktes zukommen lassen muss. So entstanden die „Hausnachrichten“, die jeden Katalogversand begleiteten und zum Glück auch von den neuen Manufactum-Besitzern weiter gepflegt werden, was hoffentlich so bleibt.
Von den Hoof’schen Hausnachrichten ist zu seinem Abschied eine Auswahl in Buchform erschienen. Es ist eine lebendige Lektüre, nach eigenem Bekunden keine Gelegenheitsarbeit, sondern eine „Ungelegenheitsarbeit“. Hingeworfen zwischen Entscheidungen zum neuen Katalog, kurz vor dem Versandtermin und zum Start eines völlig neuen Lagerbestandes. Hoofs Vielseitigkeit, seine kleinen Hinweise auf gesellschaftliche Veränderungen und das Nachzeichnen grosser Linien im Handel der letzten 20 Jahre – stets empathisch, niemals opportunistisch – haben mir sehr gefallen. Hoof scheut bluffende Belesenheit; er zitiert da, wo es historisch nötig ist, um Vergessenes in Erinnerung zu rufen. Zum Beispiel, dass die Angst vor zunehmendem Schund bereits im 19. Jahrhundert grassierte und dass die Manufaktur entgegen aller Prognosen weltweit betrachtet noch immer nicht von der Massenproduktion verdrängt worden ist. Hoof hält nicht den Finger auf, er hält den Finger drauf. Nicht Dünkel, sondern geschärftes Bewusstsein ist sein Begehr. In Zeiten magerer Presseerzeugnisse kommt ein derartiger „Ungelegenheitsautor“ äusserst gelegen.

Feines Wochenende

Wir hatten einen richtig schönen Kind-Geburtstag. Einer vieler Vorteile selbst gemachter Truffestorten ist, dass daneben noch für eine Woche Pralinées produziert werden. Dieses Mal besonders nachhaltig mit einer Sonderkollektion mit Marzipanfüllung.

Truffestorte für Teenager

Ich korrigiere Tests und schreibe Tests und korrigiere Tests und schreibe Tests in dieser Schokoladenfabrik und komme nur oberflächlich dazu, die feinen Herren zu empfehlen, die ich soeben wieder entdeckt habe: Herr Teste und Herr Keuner.

Valéry und Brecht mit Teste und Keuner

Tischgespräch [33]

Kind:
Ab wie alt hattest du ein Handy?
Mutter:
Ab 26.
Kind:
Und ab wie alt einen iPod, äääh, Walkman?
Mutter:
Hmm. Keine Ahnung, aber da war ich schon erwachsen.
Kind:
Wie hast du denn vorher Musik gehört?
Mutter:
Viel halt live, es gab in meiner Jugend jede Menge Konzerte. In der Steiner-Schule war’s ja schon ein Verbrechen, irgendwo einen Verstärker anzuhängen. Das hat uns natürlich provoziert, fast täglich irgendwo einen Gig zu landen.
Kind:
Hä? Du? Mit der Querflöte?
Mutter:
Nein, ich hab nie etwas gespielt, immer nur Requisite, Mix, Organisation oder nur Groupie.
Kind:
Aber du hast ja viele alte Kassetten, irgendwo musst du die doch abgespielt haben!
Mutter:
Ja, das stimmt. Als ich ein Teenager war, habe ich mir zusammen mit meiner Schwester bei Eschenmoser ein Kassettengerät gekauft. Es kostete 100.—Fr und wir haben etwa ein Jahr dafür gespart. Wir hatten ja sonst nur ein schlechtes Radio und diesen Plattenspieler mit so einem Deckel, der der Lautsprecher war. Nun konnten wir uns plötzlich von anderen etwas aufnehmen lassen oder uns selbst aufnehmen. Das war das Coolste.
Kind:
Ah ja, hochladen oder herunterladen konntet ihr ja auch nichts ohne PC… Wann hattest du deinen ersten Computer?
Mutter:
In der Buchhandlung 1988, privat etwa 1993, aber den habe ich mit deinem Vater geteilt. Einen eigenen hatte ich erst … Leuenberger war jedenfalls noch nicht lange Bundesrat… vielleicht 1996. Ich war längst erwachsen.
Kind:
Aber, Mam, dann hattest du als Kind ja gar nichts.
Ferien bei Freunden in Berlin, 1986

Buchhändler vor!

Auch wenn es Freunde und Feinde gibt, die mir anderes attestieren, beeinflusse ich die Entwicklung des Schweizer Buchhandels nur im Promillebereich. Denn bis das, was ich gelehrt oder reformiert habe, umgesetzt wird, dauert es. Natürlich kann’s vorkommen, dass eine Lehrmeisterin mir erzählt, sie habe die neuen Tragtaschen nun mit der Telefonnummer bedruckt, weil ihre Lernenden gesagt habe, ich hätte das gesagt. Oder jemand berichtet von einer verwirklichten Schaufensteridee, die in meinem Unterricht entstanden ist oder von einer Reklamation mit positiver Wende, dank meinem Drill (Ausreden lassen * Entschuldigen * Solidarisieren * Lösung anbieten * Amen).
Mir steht auch selten der Sinn danach, dem Buchhandel Ratschläge zu erteilen. Das kann man ohnehin seriös nur für einzelne Betriebe tun, die man sehr gut kennt.
In den Schulferien, die nun zu Ende gehen, habe ich knapp 20 Buchhandlungen besucht und dabei ist mir etwas mehr denn je aufgefallen: Es gibt sehr wenig frei stehende Buchhändlerinnen und Buchhändler in den Läden, egal ob gross oder klein (die Läden). Der überwiegende Teil der Buchhändlerinnen und Buchhändler befindet sich hinter Bildschirmen. Da der PC das wichtigste Arbeitsinstrument ist, ist das nicht erstaunlich. Aber wer am PC arbeitet, wirkt sehr absorbiert, weg, beschäftigt. Das schmälert die positive Wirkung eines echten Ladens mit Büchern zum Anfassen und mit echten Menschen. Doch ihre reale Existenz ist der erste und letzte Pluspunkt einer zeitgenössischen Buchhandlung.
Ich habe keine Lösung. Ich weiss, dass einige Buchhandlungen schon versucht haben, die Bildschirme den Kunden zuzudrehen, das aber wieder einstellen mussten, weil es eben nicht in jedem Fall gut ist, wenn jeder sieht, was auf dem Bildschirm passiert, vor allem nicht, wenn man dort auch Bestellungen aufnimmt oder Kundendaten abruft. Nur noch Buchhandlungen ohne Warenwirtschaftssystem können im Laden vorwiegend ohne PC arbeiten, und die sind eine aussterbende Spezies. (Das sind die, die auswenig wissen, welche Titel am Lager sind und wo diese stehen und die ein manuelles System für das Registrieren der Verkäufe haben. Solche „Ineffizienz“ ist ab einer gewissen Sortimentsbreite nicht mehr finanzierbar.)
Der Konflikt zwischen der notwendigen vollen Präsenz für die Kundinnen und Kunden und der notwendigen buchhänderlischen Arbeit am PC wird unsere Branche sicher noch beschäftigen. Denn die heutige Kundin will in der Buchhandlung nicht auch noch Leute hinter dem Computer hervorholen müssen. Das tut sie schon in der Partnerschaft, in der Familie, im Büro und an jedem Empfang, egal ob Steuerbehörde, Spital oder Hotel.

Aus dem Reisenotizbuch [10]

12. April 2007 09:00
Kurzer Abstecher ins John Wesley Powell River History Museum, in welches auch das örtliche Visitor Center integriert ist. Wir haben in dieser Landschaft Entscheidungsschwierigkeiten und brauchen Hilfe – alles ist es wert, gesehen zu werden.
Die Leute hier scheinen vom Binnentourismus, von den Uranminen und von Transportunternehmungen zu leben. Die Mormoninnen kochen, backen, kandieren und machen ein. Es gibt unzählige Plätze, wo man wundervoll frisch essen kann. (Wie vielerorts, wo Frauen nichts zu sagen haben und ihre Zeit zwischen den Niederkünften in der Küche und im Garten zubringen.) Die Rotbrüstchen, die ich aus der Schweiz nur einzeln kenne, hüpfen hier auf dem Parkplatz als Schar um meine Beine, während ich vor der Museumstür sitze und schreibe.
Der alte Museumswärter („Welcome to our very quiet museum!“) hat darum gebeten, uns als mindestens vier Besucher ins Gästebuch einzutragen und uns dann eine Rundreise auf eigene Faust durch (im? am?) San Rafael Swell empfohlen. Ich möchte zuerst einen Wasser- und einen zusätzlichen Benzinkanister auftreiben und füllen, aber ich werde daran erinnert, dass das hier nicht die afghanische Wüste und ein Notruf in unserem Mietauto eingebaut sei. Er würde sich beim geringsten Problem selbst auslösen und Signale an einen Satelliten senden – extra eingerichtet für bescheuerte Touristen in Not.
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12. April 2007 13:00
Goblin Valley. Wir folgen dem Pfeil ohne Ahnung, was uns wartet. Vor dem nächsten Abgrund tut sich ein Gnomental auf. Ein unendlicher, unvergleichlicher, unvergesslicher Spielplatz.
Goblin Valley
[Wer klickt, dem wird gewunken.]
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12. April 2007 17:00
Welcome to (snowy) Monticello. Die OPEN-Fahnen des Campingplatzes hängen schlapp unter der Last des nassen Schnees, es ist 32 Grad Fahrenheit. Wir checken ein in ein altgedientes Motel, wo man das Auto direkt vor dem Zimmerfenster abstellt und zuoberst auf der Telefonliste die Nummer des Sheriffs steht.
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12. April 2007 18:00
Wir suchen Essen. Was uns das Fräulein aus dem GPS empfiehlt, ist windschief und für alle Ewigkeit verriegelt. Wir finden „Wagon Wheel Pizza“ mit einem Pizzabäcker wie der junge Giancarlo Giannini und einem fulminanten Ofen im Hintergrund. Man merkt, dass hier in der Saison viel läuft, aber heute sind wir die einzigen.

All gave some
Some gave all

Steht am Eingang von Monticellos verschneitem Veteran Momorial Park. Mich überkommt ein Gefühl von Filmreife. Amerika als dicker, humorvoller doch überraschend wendiger Drehbuchautor. Ein bisschen gar von sich selbst eingenommen, aber gelassen genug, um jeden Plot den Gegebenheiten anzupassen.

Was vom Tage übrig blieb

Manchmal sehne ich mich zu McDonald’s zurück. Das ist die letzte Zeit in meiner Erinnerung, in der ich mir die Arbeit nicht mit hoher Selbstdisziplin einteilen musste und nicht ständig etwas dazwischen kam. Ich stand da und tat das, was mir aufgetragen war und das stimmte überein mit dem, wofür ich angestellt war und die eingeplante Zeit reichte, meine Arbeit ordentlich zu machen. Die Welt war in Ordnung. Jetzt ist es 16:45 und ich habe von meiner heutigen Agenda in Beruf, Haushalt und Familie 25% erledigt, alles andere war Dazwischengekommenes. Noch sieben Stunden bis Mitternacht.
Um weder zu verzweifeln noch zu verblöden, mache ich in solchen Situationen dann etwas Unnützes. Zum Beispiel Bloggen oder mir Gedanken über Dinge, die mich grundlos interessieren.
Schön der Artikel „Hundert Jahre Weiblichkeit“ im neuen gedruckten Spiegel 16/2008. Sehr gute Überlegungen zu der weiblichen Avantgarde und zu den Gründen, weshalb sie nicht länger, breiter und weiter gewirkt hat. Annemarie Schwarzenbach ist nicht verloren gegangen, wie ich es 1987, als die ersten Bände des Gesamtwerkes von Lenos nicht recht liefen, schon befürchtet hatte. Wie schön es ist, sich vergeblich Sorgen gemacht zu haben.
Unschön all die Artikel über Berlusconis politisches Revival. Aber Franca Rame – mit der Regierung Prodi enttäuscht und gescheitert – hat es kommen sehen. Auszug aus einem Gespräch in der WOZ vom 10. April:

Ich bin sehr besorgt. Egal, mit wem ich spreche – immer wieder höre ich das Gleiche: „Ich gehe nicht wählen.“ Ich fürchte, dass diese Wahl für die Linke zum Desaster wird. (…) Sie [die Italiener] finden ihn [Berlusconi] einfach sympathisch, und ihnen gefällt, dass er sich liften lässt, dass er immer lächelt, dass er als Selfmademan daherkommt – das ist der Traum des Durchschnittsitalieners.

Nun wende ich mich wieder den utilitaristischen Seiten zu. Korrekturen. Abschlussprüfungen. Karotten. Abschlussfeier. Blumenkohl. Winterkleider. Reiskocher. Evaluation. Kräutererde. Spam. Vernehmlassung. Plug-ins. Zusatzhellraumprojektorreservation. Aber immerhin kein neues Brillengestell.