In der Grossbuchhandlung [1]

  • Buch der Unruhe
  • Die Mittagsfrau
  • Memed mein Falke I
  • Geburtstagskalender
  • Kühlschrankpoesie
  • Misterioso
  • Die Firma
  • Ich mache diesen Dezember ein Praktikum in der Grossbuchhandlung. Obiges habe ich heute erfolgreich empfohlen. Nicht so viel, dafür ein schöner Mix.
    (Im sog. Vollsortiment ist der persönliche Buchtipp weniger gefragt, die Bücher werden möglichst frontal präsentiert und die Kunden bedienen sich häufig lieber selber.)
    Ein neues Warentwirtschaftssystem kennen gelernt.
    Und viele neue Menschen.

    Advent: Was ich daran mag

  • Sonne am Winterhimmel
  • Geschenke machen
  • Geburtstag haben
  • Samichlousestiefel
  • Briefe schreiben
  • Familientreffen
  • Adventskalender
  • Adventskränze (ohni Chrisescht)
  • Stoffservietten
  • Wohnblöcke bei Nacht
  • Bücher kaufen
  • Fotos ohne Blitz
  • Beim Backen zusehen
  • Bundesratswahl
  • Chorkonzerte
  • Berner Restaurants
  • Die Aare von oben
  • Das Münster von Weitem
  • Kerzen ziehen in Bethlehem
  • Glühwein trinken auf Kopfsteinplätzen
  • Als ich zwanzig war

    Als ich zwanzig war, war es so kalt, dass der Zürichsee gefroren war.
    Als ich zwanzig war, schrieb ich meinen Matura-Aufsatz über Kräfte, die jenseits von Politik und Wissenschaft unser Leben bestimmen. Ich schrieb vor allem über die Phantasie.
    Als ich zwanzig war, durfte ich zum erstenmal abstimmen. In meinem Primarschulhaus betrat man eine Wahlkabine, konnte dort seinen Stimmzettel mit „Ja“ oder „Nein“ beschriften und ihn nachher in die Urne werfen. Ich weiss nicht mehr, wozu ich damals Ja oder Nein gesagt habe. Stimmen durften, als ich zwanzig war, nur die Männer.
    Als ich zwanzig war, gab es an der Universität so viele Studenten, dass man für die Vorlesungen des berühmten Germanistikprofessors Platzkarten lösen musste. Etwa 700 andere studierten auch Germanistik. Mindestens die Hälfte davon waren Frauen. Darunter, dachte ich, müsste auch eine für mich sein. Ich hatte Recht.

    aus:
    Franz Hohler
    Das Ende eines ganz normalen Tages

    Der Lyrik auf den Versen

    „Der Lyrik auf den Versen“ ist ein Rubrik in unserer Schulzeitung, in der ein geschätzer Kollege Gedichte interpretiert. Auch der schöne Titel stammt aus seiner Feder.
    Als Steinerschülerin kann ich glaubwürdig versichern, mit Goethe-Interpretationen umfassend bedient worden zu sein. Auch dachte ich bisher, klassische Lyrik ganz passabel deuten zu können. Das denke ich jetzt nicht mehr.
    Das Heidenröslein.
    Das Veilchen.
    „Der Lyrik auf den Versen“ weiterlesen

    Bombay 1979

    Leben auf der Strasse in Bombay 1979
    In meiner Erinnerung ist diese Stadt nur in Bildern bitterster Armut gespeichert. Wir haben kaum Fotos von Bombay, das obige ist eines von drei mit Menschen, die damals dort auf der Strasse lebten.
    Von Luxushotels ahnte ich nichts, aber die Bahnhofhalle lernte ich sehr gut kennen.
    Wir waren nicht mit dem Dyane, sondern mit dem indischen öffentlichen Verkehr unterwegs. Meine Eltern sagten mir, das sei wegen der gefährlichen Strassen, aber in den Briefen, die meine Mutter nach Hause schickte, begründet sie es auch mit den steigenden Benzinpreisen.
    Wir erreichten Bombay nach einer 24-stündigen Fahrt auf einer rostigen Fähre (ab Goa), die wie jedes andere Fahrzeug in Indien überladen war. Ich erinnere mich an einen schönen Ausblick auf die Küste und die Gewissheit, dass ich sie auch schwimmend erreichen würde, sollte der Kahn sinken.
    Bombay war der armseligste Fleck Welt, den ich bis dahin gesehen hatte. Die Leute jeden Alters hungerten, bettelten, hatten Lepra, wurden mit Fusstritten weggescheucht und harrten dem Nirvana.
    Wir wollten auf den Zug nach Agra. Während mein Vater zu Billetten und Abfahrtszeiten zu kommen versuchte, warteten meine Mutter und ich in der Bahnhofshalle. Diese sah genau gleich aus wie auf den blutigen Bildern von heute, nur die Schilder waren noch gemalt und nicht beleuchtet. Die Menschen sassen dicht gedrängt auf dem Boden, es fehlten Toiletten und Luft. Aber wer nicht dort wartete, bekam keinen Platz im Zug. Denn entscheidend war nicht nur das Ticket, sondern auch die Fähigkeit, sich an vorderster Front einen Platz – und damit meine ich nicht einen Sitzplatz – zu erkämpfen. Es war für junge Männer aus der Stadt eine der raren Verdienstmöglichkeiten, Passagieren den Weg frei zu boxen oder sie von aussen durch das Zugfenster zu schieben, weshalb sich weit mehr Leute in der Halle aufhielten, als abreisen wollten.
    Meine Mutter breitete ein frisches rot-weisses Handtuch für mich aus und ich war noch zu jung, um mich zu fragen, wo sie die sauberen Tüechli immer hernahm. Nach Stunden steiss mein Vater zu uns und sagte, der Zug nach Agra sei weg oder voll – jedenfalls unerreichbar. Der nächste fahre Tage später.
    Ich weiss nicht mehr, wo wir dann übernachtet haben und wie lange ich schlussendlich in dieser gehassten Stadt bleiben musste. Aber Bombay hat mich gut auf die folgende unbeschreibliche Zugfahrt nach Agra und eine Heimreise durch Kriege und Krisen vorbereitet.
    (Ich habe mir als Kind verboten, schlecht über Indien zu denken, denn ich fürchtete, zur Strafe für meine Überheblichkeit dort wiedergeboren zu werden. Ganz überwunden ist diese Angst noch nicht.)

    Unterrichtsbesuche

    Es gibt vier Sorten Unterrichtsbesuche, die ich mache:

  • 1. Kollegiale Hospitation: Das ist, wenn Lehrpersonen einander besuchen. Also gegenseitig.
  • 2. Unterrichtsbesuch vor dem Mitarbeitergespräch „MAG“: Das machen die, die dann das MAG führen.
  • 3. Unterrichtsbesuche bei Lehrpersonen meiner Abteilung.
  • 4. Unterrichtsbesuche auf Einladung von anderen Schulen.
  • Das Erste mache ich kaum mehr. Ich kann das nur mit Lehrpersonen, die nicht in meiner Abteilung arbeiten, sonst kritisieren die ja viel zu zurückhaltend. Es steht auf meiner „Do-To“-Liste, aber ich habe ein Koordinations- und Zeitproblem.
    Das Zweite mache ich verteilt auf die Zeit zwischen Neujahr und Frühling. Ich bin in der glücklichen Lage, nur so viele Mitarbeitergespräche führen zu müssen, wie ich noch seriös vor- und nachbereiten wie auch dokumentieren kann.
    Das Dritte gehört zu meinem Alltag. Es ist für mich selbstverständlich, dass ich die Lehrerinnen und Lehrer meiner Abteilung alle (paar) Jahre besuche, sonst fehlt mir völlig die Grundlage. (Für die, die es noch nicht wissen: Lehrer sind ziemlich unterschiedlich.) Ich öffne mein Schulzimmer auch selber gern, aber bis jetzt kommen fast nur Leute aus Lehrbetrieben in meinen Unterricht, selten Kollegen.
    Das Vierte mache ich besonders gern. Allerdings sind Schulstunden, denen man auf Einladung anderer Schulen hin zuschaut, immer besonders gut vorbereitet und lassen einen vor Neid erblassen. (Ich jedenfalls habe meistens das Gefühl, dass die anderen Schulen besser unterrichten, besser eingerichtet wind und besser kommunizieren.)
    Aber was ich eigentlich notieren wollte:
    Heute war ich bei einem „meiner“ Handelslehrer im Unterricht und es war genial: Die richtige Dosis an Ernst, die richtige Prise Witz, alles wunderbar an der Tafel und am Projektor entwickelt (ich wünschte, ich könnte so schön schreiben!), gute Aktivierung, hohe Konzetration in der Klasse, gute Beispiele und immer verknüpft mit dem, was bereits durchgenommen worden ist.
    Und das in dem Fach, das die Azubis des Buchhandels seit Generationen mehrheitlich als „doof“ bezeichnen: Buchhaltung.

    Groothuis, Wie kommen die Bücher auf die Erde?

    Groothuis, wie kommen Bücher auf die Erde?
    Wie kommen die Bücher auf die Erde?
    Über Verleger und Autoren, Hersteller, Verkäufer und
    das schöne Buch
    Überarb. u. erw. Neuausgabe / DuMont 2007
    ISBN 978-3-8321-8046-1

    Ein Sachbuch nach meinem Geschmack. Aber ich bin bei Groothuis nicht objektiv, die Salto-Reihe, die er in seiner Zeit bei Wagenbach konzipiert hat, gehört zum Formvollendedsten, das mir in meiner Laufbahn begegnet ist.
    Viele hier Mitlesende kennen den Buchhersteller Groothuis von seinen Kolumnen im „Schweizer Buchhandel“, aber auch allen anderen sei gesagt: Wenn der Mann sich über den „3D-Körper namens Buch“ äussert, weiss er, wovon er spricht. Ob zum Thema Verlegen, Warenkunde oder Buchgestaltung, Groothuis Beschreibungen entsprechen seinem Credo: Lese(r)freundlichkeit sowohl äusserlich, haptisch, typographisch wie inhaltlich.
    Dieses Buch erkärt an seinem eigenen Körper (O-Ton: „Schon sind Sie in der Titelei„) was ein Buch ist. Einmaliges Bildmaterial wie das Foto der Zettelchen im Lesebändchenlager („1000 m Leseband weiss f. Klett, Tochter des Frühlings“) zeugen von täglicher Freude am Büchermachen. Der riesige Zitatenschatz von Buchmenschen aus verschiedensten Zeiten und beeindruckende Kenntnis der Buchgeschichte zeigen Groothuis‘ Sachverstand. Er ist sicher, dass die Zukunft des Buches seine Vergangenheit ist und das Verlegen der Ursprung jeder wichtigen Veränderung:

    Ein Buch ist nicht ohne seinen Inhalt, ein Verlag nichts ohne seine Autoren, die Autoren nichts ohne ihre Leser – und ob die abhanden kommen, ist keine Frage an die weitere Entwicklung der elektronischen Medien. Sondern eine Frage an die Verlage. Nach ihren Programmen und nach dem Selbstverständnis, mit dem sie Bücher machen.

    „Groothuis, Wie kommen die Bücher auf die Erde?“ weiterlesen

    Beitrag zur Heimat

    Wer heute Morgen durch Bern spazierte, sah eine aufgeräumte Stadt unter leuchtendem Himmel. Das neue Gold auf der Bundeshauskuppel strahlte in der Wintersonne und blendete im Marzili unten die Zibeleschwümmer. Sie kniffen die Augen zusammen, taten ein paar tiefe Züge im eisigen Wasser und erkannten erst dann die vielen Besucher oben auf der Bundesterrasse, die ihrerseits hinunter schauten auf die silbrige Aare mit den treibenden bunten Badekappen wie Konfetti.