Lehrstellenkonferenz 2008

Lehrstellenkonferenz 2008: Ascom, Bodenweid
Heute Abend war ich an der kantonalen Lehrstellenkonferenz. Der Lehrstellenbericht, aufgrund dessen wir uns auf den runden Tisch, bzw. auf die (33!) runden Tische vorbereitet haben, ist noch nicht online. Aber ich werde ihn später verlinken.
Das Ziel des kantonalen Erziehungs- und des kantonalen Volkswirtschaftsdirektors ist es, regelmässig möglichst alle Leute von der Berufsbildungsfront zusammen zu bringen. An dieser Konferenz treffen sich Politikerinnen, Verbandsfunktionäre, CEOs, Berufsfachschullehrerinnen und Lernende verschiedenster Berufsrichtungen.
In der ersten Stunde werden die Evaluationen und Studien vertieft, Beispiele von Berufsbildungspiloten vorgestellt und Prognosen und Wünsche der grossen Lehrstellenanbieter des Kantons näher betrachtet.
In einer zweiten Stunde setzt man sich an die erwähnten Tische und diskutiert zwei Fragen, die der Lehrstellenbericht aufgeworfen hat. Die Resultate der Diskussion sowie Vorschläge für Massnamen schriebt man auf das Papiertischtuch. Danach gibt es in Schlusswort der Regierungsräte Pulver und Rickenbacher, die zuvor von Tisch zu Tisch gegangen sind und sich „Hausaufgaben“ aus Bildung und Wirtschaft notiert haben.
Zum Abschluss isst man gemeinsam in einer Kantine eines Lehrbetriebes, heute bei der ascom. Die wichtigsten Themen in diesem Jahr waren:

  • Die Angst der Industrie vor einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels durch die demographische Entwicklung (weniger Jugendliche).
  • Lehrvertragsauflösungen: Die Anzahl der Lehrabbrüche liegt in Bern leicht über dem Schweizer Schnitt, weil wir mehr Jugendliche mit erschwerten Startbedingungen haben.
  • Es gab auch dieses Mal wieder viel innovative Planung und neue Ideen, die ich leider müdigkeitstechnisch nicht mehr auflisten kann.
    Die Tischtücher wurden jedenfalls mit etlichen Vorschlägen von allen Beteiligten beschrieben und werden jetzt ausgewertet. Aufgrund dieser Notizen werden die Schwerpunkte für den nächsten Bericht bestimmt, der der Lehrstellenkonferenz 2010 vorausgehen wird. Mal sehen, was die Finanzkrise bis dahin aus dem Arbeitsmarkt gemacht hat und umgekehrt. (Ich hoffe bloss, dass die Berner im Oktober 2010 Pulver und Rickenbacher als Regierungsräte bestätigen.)
    Die, die hier schon länger mitlesen, ahnen es: So häufig ich mich über dieses Land auch aufrege, in solchen Momenten bin ich stolz darauf und speziell auf diesen Kanton.

    Buchhändlerisches Wochenende

    Eingang Buch08
    Gestern haben sich die Forums-Buchhändlerinnen und -Buchhändler aus Anlass der Buch08 in Basel getroffen. Ein bisschen Klatsch und Tratsch und der übliche Zynismus in der Debatte, wie lange die Welt den Buchhandel überhaupt noch braucht. Neu kommen die Witze darüber, wie lange noch gedruckt werden wird. Ein amüsanter Abend mit morbider Prise.
    Und heut‘ Morgen war ich noch einmal in Basel an der Verleihung des ersten Schweizer Buchpreises. (Mein Kurzbericht im Forum für den Buchhandel.)
    Buchpreise sind eine erfreuliche Entwicklung neuerer Zeit. Sie richten sich viel mehr nach dem Publikumsgeschmack als die literarischen Auszeichungen. Wir hatten diesbezüglich gegenüber der Film- und Musikwelt im internationalen Buchhandel ein Manko, dem lange Jahre fast nicht beizukommen war. Weil Angst vor Trivialität, Standesdünkel und eine – mit Verlaub – alte Generation den Literaturbetrieb dominierten.
    Jetzt also ein letzes Aufbäumen eben dieser Generation: Adolf Muschg hat gestern Abend sein nominiertes Werk „Kinderhochzeit“ zurück gezogen. Wie es heisst aus persönlichen Gründen. Offensichtlich hat das Suhrkamp – für mich enttäuschend – nicht zu verhindern versucht oder vermocht. Dies, obwohl nicht der Autor, sondern der Verlag das Werk für den Wettbewerb einreicht.
    Das bestätigt die überhebliche Seite Muschgs, die ihm manche vorher schon unterstellt haben. Es macht sich zudem schlecht, die ganzen Vorteile der Nominierung wie Werbung, Lesereisen und mediale Auftritte zu nutzen und einem anderen Autoren den Platz auf der Shortlist wegzuschnappen, nur um sich Stunden vor der Verleihung zu verdrücken.
    Mag sein, dass dieser Eklat Buch und Autor morgen etwas mehr Presseplatz verschafft. Aber längerfristig ist Suhrkamp, Muschg und seinem Werk ein Bärendienst erwiesen. Denn genau diese Divenhaftigkeit wird bei publikumsorientierten Preisen nicht akzeptiert und bleibt negativ in Erinnerung. Gut so.

    Mittägliches zur Schulwoche

    [Bloggen in meiner Mittagspause. Lange nicht gemacht.]
    Die vergangene Schulwoche war eine schöne. Ich blicke gern zurück, weil Erlebnisse attrakiver werden, wenn sie vorbei sind. Schule ist eigentlich eine ziemlich sentimentale Angelegenheit. Ehemalige lieben einen, Gegenwärtige nicht unbedingt. Knatsch aus der Lehrzeit geht im Berufsleben selten weiter, Freundschaft hingegen schon.
    Mir hilft im Alltag die Erkenntnis, dass die Berufsfachschule eine Art Ausnahmezustand ist. Wir wählen die Lernenden nicht aus, die zu uns kommen. Und umgekehrt wählen sie nur ihren Beruf – der Schule werden sie einfach zugeteilt. Weil Berufsfachschulen höchstens zwei Tage pro Woche besucht werden, haben die Lehrpersonen meistens über huntert Schüler und können nicht zu jedem eine persönliche Beziehung aufbauen. Sie können vieles tun, um ein gutes Umfeld zu schaffen. Aber im Einzelfall bleibt ihnen oft nur die Reaktion auf Probleme.
    Jugendliche zwischen der obligatorischen Schulzeit und der beruflichen Selbständigkeit müssen viele Hürden nehmen. Die, die eine Berufslehre machen, viele gleichzeitig. Die Pubertät und das Kennenlerenen einer völlig neuen Berufswelt, die Abschlussprüfung und die Stellenbewerbung passieren zur gleichen Zeit. Einer oder gar mehrere Umzüge und erste Beziehungsprobleme prägen die Lehrzeit ebenso wie häufige Wechsel des Arbeitsumfeldes, weil Lernende ja möglichst alles in der Firma sehr sollen.
    Das habe ich im Hinterkopf, wenn ich mit Ausbilderinnen und Ausbildern spreche. Gerade jetzt, wo die neuen Lernenenden für Sommer 2009 gesucht werden, beträgt meine wöchentliche Telefonzeit manchmal fast einen ganzen Arbeitstag.
    Aber einen Katalog für Lehrabbruchrisiken und Schulversagen werde ich nie herausgeben. Auch wenn es effizienter wäre. Die Risiken sind bekannt, sie werden in der Schweiz sehr seriös erhoben und führen zu ausgezeichneten Massnahmen (hier sind wir ein bisschen wie Pisa-Finnland, bekommen regelmässig internationales Lob und empfangen Delegierte aus der ganzen Welt, weil unsere Jugendarbeitslosikeit so tief ist).
    Ich bedaure auf der einen Seite, dass Firmen nicht mehr darüber wissen und während ihrer Auswahlverfahren immer wieder ähnliche Fragen stellen. Auf der anderen Seite bin ich sehr froh. Denn jedes statistische Risiko ist ein Durchschnittswert und Durchschnitt ist eben fast niemand.

    Aus dem Reisenotizbuch [11]

    13. April 2007 07:30
    Wir starten auf dem Highway 191 Richtung Süden, zum Grand Canyon. Hier scheint die Ammenhaltung die häufigste Form der Viehzucht zu sein, heute Morgen ziehen Hunderte Kälbchen mit der Mutter über die – im Vergleich zur Schweiz – kargen Weiden.
    13. April 2007 08:15
    Wir erreichen Bluff. Eine Oase zwischen berühmten Felsen, die man in jedem Reiseführer der Gegend findet, wenn man nach indigenem Handwerk sucht: Twin Rocks. Esel, Lamas und dazu ein Freilicht-Siedlermuseum.
    13. April 2007 08:45
    Mexican Hat. Wir überqueren den San Juan River und sind jetzt im Navajo Country. Die Grenze zwischen Utah und Arizona liegt mitten im Monument Vally. Mehr und mehr erkennen wir die Gegend aus den Büchern wieder, Leaphorns und Chees Land. (R.I.P. Tony Hillerman 1925 – 2008)
    Es gibt zahlreiche Angebote für traditionelle Übernachtungen im Hogan. Ich kann mir schlecht vorstellen, zum Abendessen auf dem Boden zu sitzen und einen traditionellen Fladen zu verzehren, während die Navajos ihre Pizza in die Mikrowelle schieben und im Wohnmobil nebenan TV gucken.
    13. April 2007 10:00
    Wir erreichen Kayenta und halten in einem Trading Post mit Campingware und Hot Chocolate. Mehl wird in 25-Kilo-Säcken verkauft, Alkohol sehe ich keinen. An der Kasse wird für die Eltern eines toten Kindes gesammelt, das nur wenige Tage älter war als unseres.
    In und um Kayenta fahren meistens die Frauen die Pick-Ups. Auch die Tankstelle wird von mit Türkis geschmückten Navajo-Damen geführt, die auftanken und Reparaturen vornehmen.
    13. April 2007 11:20
    Wir erreichen Tuba City. Ich sehe die erste Solarzelle und gewinne eine Wette. Sie steht auf Hopi-Land. Wir folgen dem Pfeil zu den „Dinosaur Tracks“, wo wir mit so gastfreundlich empfangen werden, dass unser Kommunikationskontingent rasch ausgeschöpft ist. Unser Guide sieht aus wie ein Ur-Rapper aus der Bronx und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift:

  • Born free
  • Live free
  • Native Pride
  • Er erklärt neben den Dinospuren auch die Sommerzeitregelung und die Bittschrift an die UNO der Navajos. Er sei ein politischer Mensch und liebe die Schweiz für ihre Selbständigkeit und Demokratie.
    13. April 2007, im frühen Nachmittag
    (Die Navajo-Zeitzone überfordert mich.)
    Den ersten Blick werfen wir vom Hopi Tower in den Canyon. Ich mag nicht fotografieren, ich will das alles im Original und nicht durch die Linse sehen.
    Die vielen Warnungen („How often do people fall over the edge?“) auf Plakaten, in Broschüren und auf jedem Tischset sind für uns schwierig zu interpretieren. Wir entscheiden, ein Stück dem South Kaibab Trail zu folgen.
    Wandern im Canyon
    Als wir nach wunderbarer Aussicht in die Ferne und Nähe (Flora, Fauna, Versteinerungen) fast wieder oben sind, fragt uns eine Frau, die auf einem Vorsprung in der Sonne liegt, wie es denn weiter unten sei? Wir tun unser bestes, aber sie winkt ab und legt sich wieder zurück. Sie brauche das nicht.
    Unsere Lodge liegt im Pinienwald. Dass ich mir je den Luxus leisten könnte, direkt an einem der meist bereisten Orte der Welt zu übernachten, hätte ich mir nie träumen lassen. Aber der Sonnenuntergang über dem Grand Canyon macht mich nicht überschwänglich. Eher demütig.

    Jean-Noël Jeanneney, Googles Herausforderung

    J-N Jeanneney, Googles Herausforderung
    Jean-Noël Jeanneney
    Googles Herausforderung
    Für eine europäische Bibliothek
    Wagenbach Taschenbuch 2006
    9783803125347

    Google hat im Jahr 2005 ohne Zustimmung begonnen, urheberrechtlich geschützte Werke ins Netz zu stellen. Auf die Reaktionen von Autoren und Verlagen versprach Google, die Verbreitung einzustellen, sobald sich der Urheber daran störe. Google minimierte das Urheberrecht zum nachträglichen Einspruchsrecht (Joachim Günter in der NZZ vom 4. November 2008). Das war Jeanneneys Motivation für dieses Buch. Für mich geht es im Folgenden weniger um eine Besprechung, als darum, meine eigenen Sorgen darzulegen. In der Diskussion um die ohnehin verlorene Preisbindung und den wachsenden E-Book-Markt droht der Urheber nämlich unter zu gehen.
    Ich wurde später als Jeanneney auf das Geschäft mit dem „digitalisierten Wissen“ aufmerksam. Für mich wurde es im Oktober 2005 zum Thema, als Google sich an der Buchmesse der Diskussion stellte, die sich aus der Ankündigung ergeben hatte, es würden in sechs Jahren 15 Millionen gedruckte Bücher gescannt. Die Google-Vertreter (z.B. Adam Smith von Google Book Search) stritten dabei die Exklusivitätsansprüche auf das Wissen der Welt nicht einmal ab, sie verkauften sie bloss als ein Menschenwohl, gegen das Europa sich hinterwäldlerisch sträubte. Und ich fragte mich:

  • Welche Bücher, welche nicht?
  • In welchen Sprachen?
  • Was ist mit dem Copyright?
  • Jeanneney stellt die gleichen Fragen eloquenter und mit bibliothekarischem Wissen angereichert. Seine Lieblingsthemen sind die Erschliessung durch Volltextsuche und die europäischen Sprachen. Der Buchmarkt von Amerika und Europa ist ungleich, denn Amerika liest fast nur im Original (97%), Europa grösstenteils Übersetzungen. Damit begründet der Autor vor allem, dass „Old Europe“ sich der Scannerei schon rein sprachtechnisch nicht einfach anschliessen konnte. Auf der Grundlage der Informationswissenschaft entwirft er Pläne für den umfassenden Zugang zu digitalisierten Büchern, ohne Autoren und Qualität zu meucheln.
    Für ihn sind europäische Sprachen und Suchmöglichkeiten Ergebnisse jahrhunderte langer Arbeit und Teil unserer Identität. Das klingt romantisch, aber nur bis das Internet von Menschen befüllt wird, die nur Internet kennen.
    „Googles Herausforderung“ ist heute noch visionärer als es das bei seinem Erscheinen war. Inzwischen stehen Google Book Search eine Mehrheit der US Titel zur Verfügung, gerade neulich hat die weltgrösste Verlagsgruppe Random House die ihren überlassen und einen Gerichtstreit mit Google beigelegt. Die Verlage und Google sorgen mit ihren gegenseitigen Abkommen dafür, dass Millionen Menschen der Zugang zu Millionen Bücher gewährt ist. Wer kann da schon dagegen sein?
    Man nennt diese intransparenten Deals gerne pragmatischen Umgang mit dem Urheberrecht. Und schliesslich hat Google schon 125 Millionen Dollar springen lassen, um die Kosten bereits begangener Urheberrechtsverletzung zu begleichen und ein Register für urheberrechtsgeschützte Titel zu schaffen. Das Geld fliesst zwar, aber nur in Mini-Prozentsätzen oder nach Prozessen in die Kasse der Urheber. Trotzdem rechne ich mit baldiger europäischer Kooperation.
    Gesetze entstehen und vergehen, das war immer so und ist auch richtig. Die Frage, warum in einer Zeit, in der nach Innovation, Change und Quality geschrien wird, ausgerechnet das Copy Right ins Gras beissen muss, bleibt offen.
    Wir haben eine digitale Welt zu gestalten und dazu gehören Bücher. Dass wir dabei gierig und überfordert sind, macht uns blind für die Gefahr: Halbherzige Digitalisierung entfernt uns von Wissen. Für umfassende Digitalisierung ist Wissen Voraussetzung.

    Hausmeister Obama

    Wenn er gewählt wird, dann aber nur, weil das Dach des Weissen Hauses eingestürzt ist, weil alle Fenster eingeworfen sind, weil die Möbel zerfetzt sind nach der Orgie, weil überall Stühle herumliegen und vor der Haustür noch ein Scheisshaufen dampft – und unten steht Obama.
    „Oh, da ist der Hausmeister“, werden sie sagen, „lasst ihn rein.“
    Hausmeister bringen Sachen in Ordnung.
    Hausmeister sind schwarz.
    Art Spieglmans Signatur in -Breakdowns

    Do you have a decent recipe for gingerbread?

    Can an African American person really be president of the United States? All my life, I’ve been sure that the answer to that question was „no,“ which is why I don’t want to talk about it. If the polls say „yes, yes“ and my experience says „no, no,“ my head will begin to revolve.
    (…)
    No, really, I’m fine. Can we talk about the weather? How about them Phillies? Do you have a decent recipe for gingerbread? Anything but … you know.

    – Jon Carroll am 29.10.2008
    (Lange her, dass ich meinen meistgelesenen US Kolumnisten zitiert habe.)

    Wenn es Winter wird

    Heute auf dem Berner Märit: Spatz auf dem Kessel des Blumenmarktstandes am Bärenplatzbrunnen

    Als ich heute diesen frierenden Spatz als Zeichen einbrechender Kälte fotografierte, gingen mir Gedichtfetzen durch den Kopf und es fiel mir auf, dass im Deutschen die kleinsten Vögel die grössten Metaphern machen. Wenn es um Jahreszeiten geht, dann nicht um Adler und Falken. Die Schwalbe als Vorbote für Winter und Frühling, die drei Spatzen im leeren Haselstrauch und in meinem liebsten Wintergedicht beschreibt Morgenstern gar den aufs Eis hinaus geworfenen Kieselstein als Vögelein.