Tischgespräch [23]

Kind:
Schick ja nicht wieder Nussgipfel ins Skilager, die wir dann vier Tage lang zum Dessert essen müssen. Ich schäme mich.
Mutter:
Hmm. Ich dachte wie immer: Besser z’vil als z’wenig.
Kind:
Schick bitte nichts.
Mutter:
Soll ich vielleicht etwas anderes schicken? Carac? Schoggistängeli?
Kind:
Schick b-i-t-t-e einfach nichts. Die anderen Eltern schaffen das auch.
Mutter:
Ich darf immer noch selber entscheiden, was ich mache.
Kind:
Aber ich schäme mich einfach, wenn dann alle essen müssen, was du schickst.
Mutter:
Aber eine Privatschule braucht Spenden! Auch in Naturalien! Ich war auch auf einer solchen, ich weiss das!
Vater [zu Kind]:
Sie kann ja etwas spenden, was ihr sowieso esst. Ruchtbrot zum Frühstück.
Kind [zweifelnd]:
Ja-aaa…
Vater:
Und ich kann die Butter spenden. Eigentlich könnten wir gerade eine Patenschaft übernehmen für das Frühstück. Dann heisst es täglich: „Das Ruchbrot und die Butter wurden gesponsort von Famlie….“
Mutter:
„Jeden Tag für Brot und Anken, sollt ihr seinen Eltern danken.“
Kind [lacht Tränen]:
Neeeeeein…!
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Die komischen Deutschen

Die komischen Deutschen
Die komischen Deutschen
881 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren
Ausgewählt von Steffen Jacobs
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins
Zum 60. Geburtstag von Gerd Haffmans am 28. Februar 2004.

Ich mochte meine Deutschlehrerinnen, ich mochte meine Literaturkundelehrer, ich mochte die Gedichtauswahl von Echtermeyer/von Wiese, denn ich liebe das traurige Gedicht in seiner ganzen Interpretationswürdigkeit.
Doch ebenso liebe ich den Witz in der Lyrik, den Schalk im Reim, die unanständigen Hüpfer und die versteckten Widerborstigkeiten – all‘ die kleinen Aufhänger für grosse Themen.
Bevor es dieses Buch gab, musste ich Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Wilhelm Busch und besonders Frank Wedekind, Arno Holz und Erich Mühsam als Einzelausgaben sammeln, die oft nicht lieferbar waren. Hätt’ ich Heinrich Heines Gesamtwerk nicht schon in der Lehre gekauft, hätt’ ich vor lauter Tragik im Lyrikunterricht die schärfsten Witze meines Lebens verpasst. Auch Robert Gernhardt und F.K. Waechter fanden erst spät – und fernab der Schulen – die verdiente Beachtung. Dass Klassiker wie Lessing und Fontane witzig waren, blieb mir Jahre vorenthalten, obwohl sie in keinem Lehrplan je fehlten.
Der Herausgeber dieses Werkes hat sich neben seiner fulminanten Sammlung auch um eine interessante Rechnung verdient gemacht. Was das gewitzte Gedicht den Deutschen wert sei, ermittelte er anhand aller deutschen Gedichtsammlungen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erschienen sind.
Er kam zum Schluss, dass das gewitzte Gedicht fünfmal weniger wert als jedes andere sei.
Deshalb ist das hier nicht nur für mich, sondern für alle ein wichtiges Buch. Ein Beitrag fürs Gleichgewicht und Witzgedicht, das oft gar nicht zum Lachen ist.

Selten habt Ihr mich verstanden,
Selten auch verstand ich Euch,
Nur wenn wir im Kot uns fanden,
So verstanden wir uns gleich.
Heinrich Heine

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Unmündigkeit. Selbstverschuldet?

Neben Fachwissen und Fairness gehört vor allem Anregung zur Selbständigkeit zum Lehrauftrag.
Und ich muss zu meinem Bedauern gestehen, dass ich noch nie eine Klasse hatte, von denen mir alle folgen konnten. Frage ich: „Eine Lehrerin kommt in den Laden und möchte wissen, ob sie auf dem Klassensatz Jugend ohne Gott ein Lehrerfreiexemplar…“ dann schreibt immer eine: „Das entscheidet der Chef.“ Wenn ich diese Antwort verunmögliche, indem ich anders formuliere: „Ihr iPod, den Sie zu Weihnachten bekommen haben, ist kaputt. Sie gehen damit ins Elektrogeschäft und es zeigt sich, dass Sie ihn einschicken lassen müssen. Bitte notieren Sie das otimale Reklamationsgespräch nach den Prinzipien von Meid,“ notiert mindestens eine: „Das macht mein Bruder für mich.“ Selten kommt es auch vor, dass ich Entscheidungsgrundlagen fordere und „ich befrage Gott im Gebet“ als Antwort bekomme. So lerne ich – mehr noch als von der Weltpolitik – von meinen Schülerinnen und Schülern, dass Aufklärung nur für einen Teil der Menschheit geht.
Aber ich bin ja eine Überzeugungstäterin. Wie die meisten Kollegen.

Selbst- und Fremdeinschätzung

Schon bald stehen wieder „Unterrichtsbeurteilungen“ an, die so genannt werden, weil die Qualitätssicherung sich gern um naheliegende Bezeichnungen drückt. Auch wenn die Lernenden fair beurteilen und neben kritischen auch nette Sachen hinschreiben, ist leicht zu beweisen, dass es sich um eine Qualifikation der Lehrperson handelt. Und das ist nicht falsch, sondern ebenso logisch wie angemessen, weil der Unterricht ja in erster Linie von der Lehrperson geprägt wird und nicht von sich selber.
Ich weiss nicht, ob es ein Tick oder ein Implantat der Steiner-Schule ist, aber „Phantasie“ gehört in meinen Wortschatz und ist ein durchaus verwendetes Stichwort meines Denkens. Landläufig gilt jedoch eher als phantasielos, wer sich der Phantasie bewusst ist.
Ich bin nicht dieser Ansicht. Vorstellungskraft und Imagination sind beim normalen wie beim emotionalen IQ sehr gefragt, während Phantasie entweder für Spinner reserviert ist oder bitte von selber passieren soll. Weil es einem doch „ganz automatisch“ am Herzen liegt, peinliche Anlässe mit Originalität zu vergolden, Empathie für wunderliche Kinder mit einem einzigen Menue auf ihrer eingebrannten Speisekarte zu empfinden oder das Sexleben einer schläfrigen Partnerschaft mit Ideenreichtum aufzupeppen.
Nun, ich verdanke meiner Phantasie den Erhalt meiner Nerven, einen Grossteil meiner planerischen Fähigkeiten und beidem zusammen meine Erwerbsarbeit. (Zum Glück ist der Mann klausurtechnisch offline, er würde meiner Phantasie wohl eher die neurotischen Attacken zuschreiben.) Bei mir dauert es ziemlich lange, bis ich an Barrieren der Wirklichkeit stosse, weshalb ich mir eine Situation ohne Probleme theatralisch vorstellen kann und auch das zugehörige Drama locker über meine innere Bühne geht.
Warum ich manchen als vorpreschend und provozierend erscheine, ist mir klar. Die Frage, die ich hingegen mein ganzes Leben nie beantworten konnte, ist, warum ich trotz phantastischer Taktik als sachlich und realsitisch gelte.
Aber um die „Unterrichtsbeurteilung“ brauche ich mir im Grunde keine Sorgen zu machen. Das Schöne an der neuen, auf Feed-back trainierten Generation ist ja, dass sie die Urteilsbegründung verlässlich mitliefert.

Philantropische Verdrängung

Seit ich sechzehn Jahre alt war, mache ich Freiwilligenarbeit. Noch nie hatte ich kein Ämtchen oder Amt. Ich habe dabei Angriffe, Beschimpfungen und Häme erfahren, ich habe Misserfolge mitverursacht, mir die Redezeitbeschränkung für andere gwünscht und mich in Menschen getäuscht.
Aber viel öfter habe ich Anerkennung, kleine Geschenke, Freundschaft und Unterstützung bekommen, Gelichgesinnte getroffen, schriftlich und mündlich argumentieren und vor allem zusammenfassen gelernt. Ich war zweimal einen Monat in den USA um in Behindertenheimen zu arbeiten, sonst hätte ich dieses Land bis heute nie kennen gelernt. Der verlässlichere Teil meines sozialen und beruflichen Netzes hängt zusammen mit meiner Freiwilligenarbeit, sie ist genau so Teil meiner Biografie wie der Buchhandel.
Ich verfüge also über 21 Jahre Erfahrung. Aber jedes Jahr vergesse ich, dass ich von Dezember bis Februar für Jahresberichte, Revisionen, Budgets, Traktandenlisten für Hauptversammlungen und nicht auffindbare Nachfolger für Neuwahlen Zeit einrechnen müsste. Und jedes Jahr passieren mir peinliche Fehler, weil sie mir an allen Enden fehlt.
(Der Mann meint dazu beschwichtigend, leiden darunter sei das Echtheitszertifikat der Freiwilligenarbeit.)

Tischgespräch [22]

[Warnung vor Moralischem und Leherhaftem.]
Kind:
Zum Glück gibt es so viele Probleme auf der Welt. Man wünscht sich schon, dass niemand hungern müsste, aber eigentlich wäre es ohne Probleme auf der Welt ziemlich langweilig.
Mutter:
Ich bin nicht sicher, dass mich das stören würde.
Kind:
Und die Bücher, die es nicht mehr gäbe? Die Filme? Die Zeitungen? Die Stars?! Ich meine – Stars reden immer von Problemen und kämpfen extrem gegen Probleme, Angelina Jolie gegen die Armut der Welt, Pink für die gequälten Lämmer in Australien, die in den modischen Stiefeln und Jacken sind. Und die Killerpilze waren in Äthiopien und haben mit den Kindern dort eine Band gemacht. Eminem, 50 Cent, sogar LaFee: Alle machen Texte über Probleme.
Mutter:
Mein Gott! Das ist doch PR-Quark. Niemand von denen ist je auch nur durch einen Hauch von Wissen über Armut aufgefallen. V-ö-l-l-i-g oberflächlich! Ich selber weiss noch nicht einmal, was Armut ist. Weisst du es? Wer ist arm?
Kind:
Jemand, dessen Geld nicht reicht für genügend Essen, sauberes Wasser und Kleidung – die echt schützt. Also Eminem war selber arm, übrigens.
Mutter:
Gut. Sagen wir mal, das Geld reicht diesem Jemand dafür oder er bekommt das Aufgezählte. Was ist, wenn er verletzt wird? Wenn er kein Telefon hat, einen Arzt anzurufen oder kein Spital weit und breit? Was ist, wenn er gar keine Zahlen und Buchstaben kennt, nie in einer Schule war?
Kind:
Natürlich ist er dann auch arm. Er braucht irgendwie Zugang zur Schule und zum Spital und zum Telefon und Internet, sonst ist er arm.
Mutter:
Das ist eben neu, es ist nicht mehr ein Sack Reis und eine Hose. Die Welt hat sich sehr verändert. Aber nicht die Stars…
(Denkpause)
Wir wissen, dass Armut schädlich ist, aber es ist sehr schwierig, einen Massstab für Armut zu finden.
Kind:
Warum sollte man sie überhaupt messen?
Mutter:
Vielleicht weil ich dir gerne sagen würde, dass es einen Fortschritt gibt? Nein, es ist wegen der Politik. Denn Lösungen kommen von dort. Krieg ist ja bekanntlich keine. Wenn wir nicht definieren können, was arm ist, können wir nicht sagen, was das Minimum ist, das dieser (oder ein anderer) Jemand braucht. Weder das Bümplizer Sozialamt noch die Weltbank bekommt Geld einfach so, denn das Geld muss ja irgendwo weggenommen werden.
Kind:
Aber ganz sicher ist doch, dass manche einfach mehr Geld brauchen! Könnte man nicht Geld drucken für die?
Mutter:
Eine Bedingung für Geld ist, dass es rar sein muss. Also wenn es nicht rar ist, ist die Note nur noch Papier. Deshalb würde es nichts nützen, Geld zu drucken.
Kind:
Das stimmt. Wie nach dem ersten Weltkrieg, wo sie mit Wagenladungen von Geld ein Brot kaufen mussten.
Mutter:
Yep. Wir sind auf der Suche nach der Definition für Armut. Definitionen sind wie Formeln. Es dauert lange, sie zu finden oder sich zu einigen. Aber sie vereinfachen die Zusammenarbeit. Sie helfen die Probleme von der Oberfläche weiter nach unten zu holen. Du kannst nicht mehr einfach sagen, der ist arm, sondern musst überlegen, warum ist der arm. Lösungen für grosse Probleme findet man nie an der Oberfläche, die findet man unten. Oder mittendrin.
(Denkpause)
Eigentlich weiss das jeder, deshalb müssen sich die Stars ja unten und mittendrin ablichten lassen. Weil es dann aussieht, als hätten sie Lösungen. Und weil viele darauf reinfallen oder reinfallen wollen, muss die Unicef Tranlampen wie Jolie als Botschafterinnen anheuern, um überhaupt in die Medien zu kommen. Ich hasse es.

1. Weihnachtsgeschäft (2006)

Ich sehe die Schülerinnen und Schüler in ihrem 1. Lehrjahr nur 45 Minuten pro Woche. Ich darf deswegen wirklich keine Zeit verplempern, im Gegenteil, ich muss die wertvolle Zeit sinnvoll einsetzen.
Wie letztes und vorletztes Jahr habe ich auch heuer die Lernenden nach den Tops und Flops in ihrem ersten „Weihnachtsgeschäft“ gefragt.
Von jetzt an bis zum Ende des Lehrjahres werden wir uns jede Lektion die ersten fünf Minuten einen Weihnachts-Fall vornehmen. Nicht, dass Buchhändlerinnen und Buchhändlern nur weihnächtens herausgefordert wären, das sicher nicht. Der Dezember ist einfach exemplarisch, weil in kurzer Verkaufszeit praktisch alles Gute und Blöde passiert und die Lernenden es im Januar noch richtig präsent haben.
Es geht also in diesen fünf Minuten jeweils um die Entwicklung von Strategien, die das Positive mehren und das Negative mindern helfen. Daran beteiligen sich in der Regel alle gern und gut, ohne einander zu stören oder zu unterbrechen.
Das ist erfreulicher Unterricht, weil hier die Ratschläge aus der Fachliteratur und die Feed-backs aus der Schulbank so schön übereinstimmen: Alle sind interessiert, weil das alles alltäglich bedeutsam ist. Vice versa.
Ergebnisse 1. Lehrjahr A 2006
Ergebnisse 1. Lehrjahr B 2006

PIXI-Nostalgie

Pixi Nr. 73; die Rückseite
Das ist die Rückseite [ein Klick drauf macht sie lesbar] meiner ältesten Errungenschaft unter den PIXI-Büchern: „Die schlaue Schildkröte“.
Das war PIXI Nr. 73 aus dem Jahre 1959. Ein kleiner Werbefeldzug für das Flugzeug als neues Verkehrsmittel für jedermann.
Auf einem Flohmarkt erstanden, aus kulturgeschichtlichem Interesse an den ersten achzig PIXI-Titeln auf der Rückseite.
(Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass man den tieferen Sinn eines Kaufes oft später besser versteht.)