Nachrichten aus der gewonnenen Stunde

Ich brauchte sie, um ein Wunderwerk von wahrer Liebe ein zweites Mal zu lesen. Ja, sicher, ich werde es besprechen. Im Autobiografischen erkenne ich stets, dass es den Menschen immer schon an Zeit gebrach und sie dennoch unbegründet häufig und ohne Aussicht auf Erfolg geschrieben haben.
Dass zunehmende Geschwindigkeit die hemmungslos unreflektierte Schreiblust fördert ist nur ein gern gehörter Irrtum.
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Heute Nacht habe ich darüber nachgedacht, warum ich ein erstes Blog begann. Idealismus? Geltungsdrang? Experimentierfreude? Es ist etwas mehr als drei Jahre her und ich habe es schon vergessen. Das einzige, was ich noch weiss, sind meine Argumente aus der Sitzung für dieses erste Buchhandlungs-PR-Blog:

  • Ein Blog ist abrufbar, darum ist es weltbürgerlich
  • Ein Blog ist kommentierbar, darum ist es demokratisch
  • Ein Blog ist billig, darum liegt es drin
  • Ein Blog ist gegenwärtig, was zählt ist heute
  • Ein Blog ist chronisch, darum hilft es bei Jahresberichten
  • Ein Blog ist ein Notizzettel, darum spart es Papier
  • Ein Blog ist legitim persönlich, man muss nicht immer ans Zielpublikum denken
  • Ein Blog ist der Anlass zum Alltagsbewusstsein
  • Ein Blog ist ausbaubar
  • Ein Blog ist nicht nötig
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    Das allererste Blog mit Buch-Content, welches ich freudig gefunden und begeistert gelesen habe, war netbib. Leider ist das Archiv für meine nächtliche Nostalgie nicht verfügbar. Der brave Archivar denkt an sich selbst zuletzt.

    Trotz allem Klimbim…

    [Wie stark wird der Preiskampf in der Schweiz? Ist 29.90 (Weltbild) von Weltbild wirklich unmoralischer als 44.00 (die Unabhängigen)? Ist 77 Bände verschenken wie die Buchhandlung Rösslitor noch schlimmer? Dürfen-sollen-müssen Angestellte in der Harrypotternacht arbieten? Nein, die Chefinnen machen den Laden und setzen die Hexenhüte auf.]
    … ist die Harry-Potter-Nacht schön.
    Weil das alles wegen eines Buches passiert. Eines guten, gern gelesenen Buches.

    Einmal tief durchjammern

    Wenn ich im August einen Wasserschaden habe, den indirekt mein Vermieter durch Unterlassung verursacht hat, darauf die Versicherung meines Vertrauens, die seit Jahren mein Geld bekommt, anrufe und von dieser die glasklare Auskunft erhalte, sie sei hier zuständig und nicht der Vermieter –
    wenn ich eine komplette Liste meines versicherten Inventars in Form einer Exceltabelle mit Beschreibung und Neupreisen beibringe (entschuldigung, wer hat das schon?), das aber leider nicht ausreicht und
    wenn ich daraufhin ohne Murren einen Monat alle notwendigen Belege zusammensuche und von verzogenen Futonproduzentinnen Qualitätsnachweise einfordere („Denn wissen Sie, es gibt ja Futons bei IKEA und solche beim Futonhaus“) und
    wenn ich dann Mitte Oktober einen Termin mit dem Aussendienst meiner Versicherung abmache und dabei entscheide, meinen Standard von „mittel“ auf „gehoben“ zu ändern und einen entsprechend teureren neuen Vertrag für die Wasserschäden der Zukunft unterzeichne –
    wenn ich das mache, dann erwarte ich nicht Ende Oktober einen Anruf der mir zugeteilten Sachbearbeiterin, die Schadensprüfung hätte ergeben, der Schaden sei Sache des Vermieters.
    Dann rufe ich nämlich den Schadensprüferchef an. Und zeige Befremden. Und noch mehr davon, wenn er den Ball wieder zurückgibt und meint, ich solle halt genauer lesen (Unterlassung des Vermieters s.o.). Als er mich belehrt, alle Quittungen aufzubewahren (ha, ha, was machen die denn in Brienz und Brig und Gondo, hä?), sage ich nichts mehr. Und das ist bei mir ein schlechtes Zeichen.
    Aber Jammerbeiträge sollte man kurz halten. Ich lade gerade ein paar schöne Bilder von meiner Kamera, das hat bestimmt eine positive Auswirkung auf den nächsten Blogbeitrag.

    Lehrbegleitung

    Heute war ich an einem Weiterbildungsabend für Lehrbegleiterinnen und Lehrbegleiter. Da viele unser Berufsbildungssystem nicht in jeder Facette kennen, hole ich etwas aus. Ich setzte das informative Beigemüse zwischen Sterne, damit man es überspringen kann. Es ist nicht wichtig für das Verständnis des übrigen Beitrags.
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    In der Schweiz hat die Berufslehre einen sehr hohen Stellenwert. Am Ende steht ein Lehrabschluss mit der beruflichen Fähigkeitszeugnis. Für die Ausbildung zuständig sind:

  • Der Ausbildungsbetrieb
  • die Berufsfachschule
  • die Branche des entsprechenden Berufes
  • „Lehrbegleitung“ weiterlesen

    Dann halt: Eidgenössische Wahlen 2007

    Ich mochte nicht extra einen Beitrag verfassen, habe es bei einem Kommentar zum letzten bewenden lassen wollen. Aber ich liess mich drängen:
    Danke für die Anfragen, Mitleidsbekundungen sind nicht nötig. Ich kann nichts antworten als dass die von mir aktiv unterstützten Kandidatinnen ihre Ziele erreicht haben: Die Bisherigen Evi Allemann und Ursula Wyss sind gewählt. Nadine Masshardt, die ich neu hätte haben wollen, ist erster Ersatz. Meine Favoritin Evi Allemann hat ihre Wiederwahl mit einem Spitzenresultat geschafft. In Bern haben wir zwei Sitze von Zurückgetretenen nicht halten können. Die letzte Legislatur war kein Zuckerschlecken, die kommende wird es erst recht nicht.
    Nein, auch wenn ich keine Freundin der FDP bin, glaube ich nicht, dass es uns nützt, wenn sie auf nationaler Ebene weiter verliert. Und nein, ich mache mir keine Sorgen um die Zusammenarbeit mit den Grünen, wir werden nach dem weiteren Rutsch nach rechts genügend Gemeinsames zu tun haben.
    In meinem Umfeld hat sich nach Wahlen noch nie etwas verändert. Auf dem Terrain, auf welchem ich Freiwilligenarbeit leiste, treffe ich eh nur die SP und die Kirche.
    Volkswille. Was wir alles falsch gemacht haben, können wir nun eine Woche in der Zeitung lesen. Und in den Kantinen hören. Und im Tram und in den Lehrerzimmern. Denn Politik ist genau gleich wie Fussball oder Unterricht: Jeder kann das vom Sofa aus. Und erst noch besser.

    Wahlbeobachtung für Aussenstehende

    Der Wahl-Sättigungsgrad sei nun erreicht. Es sei nur noch die Frage auf welchem Niveau. Die Prognosen schwanken zwischen einer sehr hohen Wahlbeteiligung, einger gleichbleibenden und einer etwas niedrigeren. Solche und andere umwerfende innenpolitische Erkenntnisse bereichtet und die Tagespresse aus dem Umfragelabor.
    Da macht Victor Giacobbo einen Rettungsversuch. Leider nur in einer Kolumne; ich vermisse das gute alte Kabarett. Rotstifte, Kom(m)ödchen, Scheibenwischer und Pfeffermühlen machen Politik auch in schweren Zeiten erträglich. Aber besser Kolumne als gar nix:

    In zwei Tagen ist er endlich vorbei, der teuerste, schärfste, härteste, ja brutalste Wahlkampf aller Zeiten. Vor der internationalen Gemeinschaft präsentiert sich die Schweiz als ein zerrissenes Land, das am Rande des Nervenzusammenbruchs an der Urne entscheidet, ob die Nazis oder die Grünen die Macht in Bern übernehmen werden.

    Liebe Leserinnen und Leser aus dem Ausland: Werfen Sie einen beruhigenden Blick auf die bisherige Parteienstärke.

    Dummerweise realisiert das aufgeschreckte Ausland nicht, dass bei uns ein nationaler Wahlkampf so was wie eine gigantische Freilichtaufführung ist, deren ewig gleicher Ausgang alle Schweizer von vorneherein kennen. Denn, ehrlich, gibt es irgendeine wahlberechtigte Person, die nicht mit 98-prozentiger Sicherheit weiss, wie die Regierung, das heisst das zankende Miniparlament, das wir Bundesrat nennen, nach den Wahlen aussehen wird? Nämlich: fünf Bürgerliche und zwei Sozis. Wie die dann genau heissen – who cares?

    Nein, da muss die Bernerin intervenieren. Nicht das Mini-, sondern das Maxi-Parlament, welches wir jetzt wählen, ist unser Wirtschaftsmotor. Wir beurteilen Kandidatinnen und Kandiaten nach Kaufkraft und Ausgabebereitsschaft. Denn wie Nationalrat Maurer schon vor Längerem in einem schönen Buch zitiert wird: Wären wir nicht Bundeshauptstadt, wäre Bern eine Stadt wie Olten – eher unbedeutend.

    Fünfzig Jahre Wahlen und gleich bleibende Regierungszusammensetzung – so was schafft ausser uns nur China.

    Er spricht ein grosses Wort gelassen aus. Nur die zum Mittelmass Verdammten brauchen einen Regierungswechsel, um Dramatik in den Wahlkampf zu bringen.

    Übrigens: Zurzeit weilt eine Delegation der OSZE als Wahlbeobachter in der Schweiz. Sollten Sie einem Delegationsmitglied begegnen, sagen Sie ihm auf keinen Fall, dass Sie den Wahlausgang schon kennen. Sonst argwöhnt er, dass es in unserem politischen System nicht mit demokratischen Dingen zugeht.

    Aufs Ganze: Die Wahl, die Welt und der Wald.

    Die Verwaltung der Planung

    Zugegeben, es ist mir etwas peinlich, es zuzugeben: Obwohl ich schon ein Jahr daran arbeite, sind meine Harmonisierungsversuche zwischen beruflicher und persönlicher Datenverwaltung kläglich.
    Ich führe eine berufliche Agenda und eine private Agenda. Die berufliche ist Pflicht, weil ich ja da meine Termine mit vielen koordinieren muss (Bildungsleute treffen sich nur selten in Zweiergruppen). Weil mich aber diese Agenda (rein softwaretechnisch) stresst, habe ich mich noch nicht aufraffen können, meine private Agenda aufzulösen. Denn in meiner privaten Agenda sind ja nicht nur ein paar Verwandtschaftstermine, sondern auch alle aus der Freiwilligenarbeit. Diese Woche beispielsweise ist meine Berufsagenda (Schulanfang) genau gleich voll wie meine Privatagenda (Wahlen, Gäbelbachfest). Und natürlich gäbe es viele lustige Überschneidungen, würde ich sie überhaupt sehen.
    Doch, eine gute Nachricht gibt es: Die Entsorgung meiner zehnjährigen SIM-Card und der Erwerb eines neuen Handys haben zu einer Synchronisation zwischen privat (ThinkPad) und privat (Nokia E65) geführt. Immerhin.
    Es ist auch eine Frage der Kontakte. Mein Arbeitgeber ist dahingehend nicht anspruchsvoll. Ein Mensch im Schulwesen darf seine Kontakte ruhig in einem kleinen grünen Büchlein, in einem Palm, im Blackberry (seltener Fall), seinem Notebook oder iPhone sammeln – ich jedenfalls kenne niemanden, der Rechenschaft ablegen müsste oder verpflichtet wäre, seine Kontakte anderen zugänglich zu machen.
    Nach einer fünfzehnjährigen Laufbahn im Buchhandel und Bildungswesen bräuchte ich wohl psychologischen Beistand, um meine Kontakte in berufliche und private zu trennen. Soll mir ja niemand sagen, ich könne die Leute zweimal aufnehmen – das habe ich nämlich schon und das ist eine Katastrophe. Eine Person = ein Datensatz. Das wäre eigentlich mein Credo. Nur leider habe ich noch keine Kriterien für die Zuordnung gefunden.
    Ich bin mit dem Import und Export meiner Kontakte zwischen den Systemen nicht technisch, sondern inhaltlich und formal überfordert. Ich habe mir vor fünfzehn Jahren keine Richtlinien für die Aufnahme von Adressdaten in der privaten Agenda überlegt. Nur einmal habe ich alle, die unter Vornamen aufgenommen waren, auf Nachnamen umgeschrieben, das war noch im gebundenen Adressbuch und eine sehr weitsichtige Tat. Aber sonst?
    Ok, ich bin dran, die passende Ländervorwahl vor alle Telefonnummern zu setzen, das ist zu bewältigen. Aber sonst? Wäre es nicht wichtig zu wissen, dass die Dame zwar nicht mehr aber mal bei einem Politiker gearbeitet hat? Bleiben Handynummern bei Ausgewanderten gleich? Wie viele Adressänderungen von Ehemaligen kann ich bewältigen? Soll ich jeden Kontakt aus der E-Mailkorrespondenz ins Adressbuch aufnehmen? In welchen Intervallen löschen, an wen ich mich nicht mehr erinnere? Und was antworte ich dann, wenn ich Nachricht von einer vergessenen Person bekomme, wenn ich die Person gelöscht habe?
    Ich muss aufhören, das macht mich fertig. (Ja, werte Ehemalige, in dieser Sache stimmt es: ich bin überfordert. Nehmen Sie sich kein Beispiel und überlegen Sie sich schon in jungen Jahren, wie sie den wachsenden Adressstamm Ihres Lebens managen.)

    Wie es so geht

    Michael Krüger ist eine Grösse in der Buchbranche. Er ist nach einer Druckerlehere und einer Lehre als Verlagsbüchhändler 1968 bei Hanser gestrandet und geblieben. Heute ist er dort literarischer Leiter. Vielleicht feiert er sein Jubiläum nächstes Jahr mit einem neuen Buch. Autor ist er nämlich auch noch. Und Lyriker. Aber noch kein Zyniker – was in unserem Metier doch eher ungewöhnlich ist nach so langer Zeit darin.
    Als Krüger von der NZZ am Sonntag (7. Oktober 2007) gefragt wurde, ob er sich auf die Buchmesse freue, antwortete er:

    Ich sehe ihr mit gemischten Gefühlen entgegen. Man nimmt an einem Zirkus teil, den man in- und auswendig kennt. Ich werde wie an den letzen 41 Buchmessen viertausendmal den gleichen Satz sagen müssen: „Wie geht’s?“ Und ich werde diesen Satz auch viertausendmal hören. In verschiedenen Sprachen. Und ich werde immer ein gequältes Gesicht machen, das ausdrücken soll: Bitte nicht wieder diese Frage!

    Ein konsequenter Mann. Wie es so geht ist ein altes Gedicht von ihm. Eines von zweien, die ich richtig mag. Das andere heisst Mein Ohr und erzählt, dass einer davon gehört hat, die Geschichte der Fotografie sei zu Ende. Aber jetzt zurück zum einen:
    ***
    Es ist nichts passiert. Alles ist ruhig.
    Das Alfabet ist wieder in Gebrauch, das Einmaleins,
    der Dialog hat Konjunktur. Die alten Hüte,
    die alten Weissagungen, die alten Erscheinungen: alles
    sieht aus wie neu. Jeder hat seit gestern das deutliche Gefühl,
    dass es ihn gibt. Jeder kann sich sehen lassen. Jeder sieht jedem
    mit Interesse zu. Die stotternden Unterhaltungen
    sind verstummt, alles geht flüssig von der Hand, die intimen
    Entgleisungen gibt es nicht mehr. Das Dunkel wurde abgeschafft:
    Aphorismen beschreiben die Welt mit tödlicher Klarheit.

    ***
    Das ist die vierte und letzte Strophe. Vielleicht ist sie ihm wirklich an einer Buchmesse eingefallen. Allerdings hatte er damals noch nicht einmal zehn davon absolviert. Und doch schon genug. Aber nur im Gedicht. Ich sah ihn dieses Jahr wieder federnd vorbeilächeln und hörte ihn fragen wie es so geht.
    aus:
    Michael Krüger,
    REGINAPOLY
    Gedichte
    Hanser 1976