Der Normalfall

Was ich heute Nachmittag gemacht habe, anstatt wie geplant meinen Unterricht vorzubereiten und Übungen zu korrigieren:

  • Personalien eines einmalig auftretenden Referenten ermittelt und der Personalabteilung nachgeliefert. Es wurde nicht nur der Zivilstand, sondern auch das Datum der Hochzeit benötigt.
  • Meine Zugriffsrechte auf verschiedene Laufwerke auf unserem Server getestet und das Ergebnis zurückgemeldet.
  • Einen Teil eines Zwischenzeugnisses geschrieben. (Da viele Lehrpersonen an mehreren Abteilungen unterrichten, muss ich selten ganze Zeugnisse schreiben, dafür umso häufiger Teile von Zwischenzeugnissen, die ich erst bekomme, wenn der Termin schon vorbei wäre.)
  • Unsere Lehrmittelliste ergänzt, korrigiert, auf neue Vorlage (Logo-Änderung der Schule) gelayoutet und wieder hochgeladen.
  • Ad hoc ein Papier zu Änderungen der Dispensationsmöglichkeiten verfasst und verteilt.
  • Eine x-sheetige Exceldatei mit Adressen auf Doubletten geprüft.
  • Drei Spesenabrechnungsformulare für Lehrpersonen ausgefüllt.
  • Die Zulassungsbedingungen für die Berufsmaturitätsschule gesucht und zwei Lernenden erklärt.
  • Für jemanden bei jemandem die Quelle einer Geschichte ermittelt, von der nur noch der Inhalt bekannt war; diese Angaben gemailt.
  • Dies als Einblick in die Realität derer, die neben ihrer Lehrtätigkeit auch noch eine Leitungsfunktion in einer Schule haben. So sehr ich mich bemühe, die Arbeit für den Unterricht muss ich meistens nachts machen.

    Ein schöner Sonntag

    Zweimal gewonnen.
    Ein wunderbares Werk wurde heute völlig zu Recht mit dem Schweizer Buchpreis geehrt: Der Titel Mehr Meer von Ilma Rakusa, verdiente Autorin, Übersetzerin, Literaturkritikerin und Zugewanderte. Erschienen ist das Buch in einem österreichischen Verlag, der viel mehr kann als in rollenden Rubeln zu denken. (Und was für eine schöne Preisverleihung in Basel! Wiedersehen, Wichtigkeiten, Nichtigkeiten, Ironie und eine Prise Zunkunftszynismus im Kreise angenehmer Menschen, die alle Bücher lieben. Danke sehr.)
    Und unsere U-17 hat die Fussball-WM gewonnen. Danke Siegrist, Chappuis, Veseli, Rodriguez, Kamber, Buff, Xhaka, Martignoni, Kasami, Ben Khalifa, Seferovic (Siegestreffer), Goncalves, Hajrovic, Nimeley. Ein Equipe multicolore mit Jungs des Jahrgangs 1992 aus den Herkunftsländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Chile, Ghana, Kosovo, Portugal, Schweiz, Serbien, Tunesien.
    Ach du kleines, dummes Heimatland. Was wärst du ohne Einwanderer.

    Was mache ich hier?

    Heute Abend bei meiner Internetlektüre fragte ich mich mehrmals, was ich im Netz verloren habe. Das passiert in letzter Zeit öfter. Mir ist zwar bewusst, dass mein Blog ein Notizbuch ist, das kein Zielpublikum aber seit einer Ewigkeit die ziemlich gleiche Leserschaft hat. Meistens schaffe ich es auch, meine selbstauferlegte Regel einzuhalten, dass meine Internetzeit die Gesprächszeit nicht einschränkt. Ich bin mit mir selber einig, dass Xing für Business in Ordnung und Facebook für mich privat obsolet ist.
    Doch manchmal bin ich auch verwirrt. Ich versuchte nämlich schon immer, die digitale Welt meiner analogen anzupassen und nicht umgekehrt, Early Adopterin war ich nur, wenn berufliche Umstände es erforderten. Ich fand es alles andere als erstrebenswert, die erste Frau mit Handy zu sein, die ich persönlich kannte und auf meine Compuserveadresse aus Nummern hätte ich gut verzichtet. Aber ich kommunizierte gern und offensichtlich so, dass mir ab und zu jemand etwas dafür bezahlte; die digitale Verschiebung meines Lebens ist ungefragt aber einigermassen bei Sinnen geschehen, ihre Überhand habe ich stets zu meiden versucht.
    Mein grosses Menschen-Einzugsgebiet braucht viel E-Kommunikation und mein Beruf erfordert noch viel mehr reale Gespräche. Eine Branche, 110 Lernende, 30 Lehrpersonen, 60 Lehrfirmen, zig Kontakte aus Politik und andere Freiwilligenarbiet und ein grosser Freundes- und Familienkreis sind schön, aber nicht immer ein Hort kommunikativer Balance.
    In letzter Zeit habe ich der Netzwelt gegenüber vermehrt ein zwiespätliges Gefühl. Wenn Leute mir schreiben, dass ich doch dort, wo sie seien, auch dabei sein sollte, damit wir Kontakt pflegen könnten, würde ich am liebsten antworten, dass wir den Kontakt per Snail Mail oder gar nicht weiter führen. Aber das geht ja nicht in einem normal höflichen Arbiets- und Sozialleben. Was mich besonders abstösst und was seit Twitter wieder zunimmt, sind diese Kommunikationsautomatismusfunktionen, durch die ein einziger Input im Netz verschiedensten Orten einläuft, ohne Zweck und Ziel, bloss, damit jemand über die eigenen Kräfte hinaus präsent sein kann. (Das hat mich schon enerviert, als es eine Weile Mode war, dass Blogger auch noch gleich sämtliche ihrer Kommentare in anderen Blogs mitlaufen liessen.)
    Solange ich mein Leben nicht auf den Kopf stelle, werde ich Internet brauchen. Aber wo und wie viel? Darüber lohnt es sich wieder einmal nachzudenken. Der Beitragstitel ist ein Buchtitel von einem, der stets die Begegnung im echten Leben suchte.

    Andres Veiel, Der Kick

    Wenn wir in diesem Jahr den 20. Jahrestag dieses großen Ereignisses begehen, schauen wir immer nur zurück. Zum tausendsten Mal schauen wir uns die alten Bilder und Filme noch einmal an. Ich kann diese Bilder nicht mehr sehen, ich kann mit all diesen Heldengeschichten nichts mehr anfangen. Ich weiß nicht mehr, was sie mir noch erzählen sollen. So oft haben wir sie schon gesehen. Warum reden wir nicht endlich über die Gegenwart? Warum fragen wir uns nicht, was die Ostdeutschen in den Jahren seither erlebt haben? Ist das so schwer?

    Das ist ein legitimer Wunsch Jana Hensels (Zonenkinder). Leider hat sie recht, es gibt neben ihren nicht viele Bücher, in denen nach einer differenzierten Antwort auf die Frage gesucht wird, wie es den Menschen im und aus dem Osten Deutschlands geht. Ich möchte eines der wenigen besprechen, auch wenn es ein „Problembuch“ ist:
    Andres Veiel, Der Kick
    Andres Veiel
    Der Kick
    Ein Lehrstück über Gewalt
    2009 cbt
    ISBN 978-3-570-30624-6

    „Problembuch“ nennen wir im Buchhandel die Titel, die sich mit Problemen von Jugendlichen befassen und sich für den Deutsch- und Kompetenzunterricht eignen. Ich weiss aus buchhändlerischer Erfahrung, dass derlei Bücher entweder Fans oder Feinde haben. Ich selber schätze solche Titel, solange sie aktuell sind, das heisst die Handlung sollte nicht länger als zehn Jahre zurück liegen.
    «Der Kick» ist leicht verständliche Lektüre. Trotzdem wird hier nicht versucht, einen komplexen Sachverhalt vereinfacht darzustellen, was bei «Problembüchern» eine Gefahr ist. Man merkt, dass der Autor Regisseur und Dramaturg ist, der aus dem Stoff auch ein Theaterstück und einen Film gemacht hat und es gewohnt ist, Zugang zu einem schwierigen Thema zu verschaffen.
    In diesem «Lehrstück über Gewalt» wird einer wahren Begebenheit aus dem Jahre 2002 nachgespürt: Damals misshandelten das Brüderpaar Marco und Marcel und deren Kumpel Sebastian den sechzehnjährigen Marinus grausam und ermordeten ihn schliesslich mit einem «Bordsteinkick» (Genickbruch durch einen Tritt), den sie dem Film «American HistoryX» nachahmten. Obwohl es Zeugen und Mitwisser gab, blieb die Tat monatelang unentdeckt. Dieser Umstand war der Aufhänger der endlosen Medienberichterstattung, die nichts als den Empörungskult bediente. Vor sieben Jahren war das noch weniger üblich als heute, wo sich die Berichterstattung über die Jugend im Normalfall auf deren delinquente Anlagen beschränkt. Obwohl es enorm viel Zeit in Anspruch nahm, fand Veiel damals die finanzielle und ideelle Unterstützung für sein Projekt. Ich bezweifle, dass es heute noch so wäre.
    „Andres Veiel, Der Kick“ weiterlesen

    Das war heute

    Obwohl ich gestern erstmals seit Ewigkeiten wieder einmal an einem Konzert war – dank Rauchverbot geht das besser, selbst wenn dieses spätestens ab 23.00 Uhr ignoriert wird – bin ich heute früh aufgestanden. Ich hatte einige Vorbereitungsarbeiten und Geburtstagspäckli zu machen und musste dringend die Prosa unserer neuen Berufsbildungsverordung in Excel übersetzen. Der Mann war so nett, mich an der Grenze des Nervenzusammenbruchs abzulösen und die schwierigste Formelarbeit zu übernehmen. (Ich glaube, es ist weitgehend unbekannt, was die Pflichtenhefte von Schul- oder Abteilungsleitungen umfassen, aber das aufzuzählen reichte für ein Jahr Jammerblog…)
    Nachmittags war ich auf einer Kindergeburtstagsparty von Zugewandten mit hohem Lärmpegel, fein gebackenem Schoggikuchen, zersessene Smarties, zertretenen Chips und nassen Gummistiefeln. Wie das halt so ist, wenn es kalt wird draussen. Abends gab es einen Erwachsenengeburtstag in der Familie. Aber wir haben kurzfristig den (absolut weisen) Entscheid getroffen, das Kochen und Abwaschen der Pizzeria zu delegieren, die neben guter Kundenorientierung auch ein Aquarium bot, welches unsere mobile Kinderbibliothek (immer dabei) vortrefflich ergänzte.
    Angenehmen Wochenstart allerseits!
    Aquariums-Kino

    Presse-Enttäuschung des Tages

    Auch wenn ich ab und zu Anzeichen von Aufklärung entdecke, so erhole ich mich von den Zeichen ihres Untergangs zusehend langsamer. Zum Beispiel heute: Ich las auf der Titelseite meiner Tageszeitung, dass ein sehr verehrter Autor zu Wort komme. Ich freute mich. Zu früh.
    Das samstäglich beiliegende Magazin, das mir mit Portrait angekündigt worden war, sah so aus:
    Heutiges Tagimagi
    Ok, diese scheusslichen Kondomtitelblätter sind jetzt in Mode und der Presse ist die Werbeeinnahme zu gönnen. Ich beugte mich den Umständen und blätterte:
    Heutiges Tagimagi 2
    „Auschwitz war für mich ein Gewinn“ – mir blieb die Spucke weg. Auch wenn man Imre Kertész Leben und Werk nur streift, die Begründung für den Nobelbpreis googelt oder einen Klappentext liest, ist unübersehbar, dass Kertész den Überlebenden und den Schriftsteller trennt. Dort, wo er den Holocaust als Gewinn oder Momente des Glücks im Lager erwähnt, ist er Schriftsteller, Bewusstseinschaffer, einer, der er ohne Auschwitz und Buchenwald nicht geworden wäre. Klar, das lässt sich schlecht auf eine Titelseite schreiben, dann zitiert man doch lieber ganz und gar falsch.
    Wer die infantilen Fragen des Journalisten erträgt und das ganze Interview liest, bemerkt den Fehler. Viel mehr aber nicht. Als ob es bei einem Gesprächspartner wie Kertész nicht zahlreiche Gelegenheiten über die Belanglosigkeit hinaus gäbe.

    Die Bücher anderer Autoren über diese Zeit, interessieren Sie die?
    Zum Teil. Paul Celans Todesfuge ist ausserordentlich, die wunderbaren Essays von Jean Améry, Primo Levys Roman, Tadeusz Borowski sowieso. Doch der Rest ist meistens Kitsch: Eine glückliche jüdische Familie kommt ins KZ, einige überleben, andere nicht, am Ende werden sie von der Roten Armee gerettet — solche Bücher wurden in Ungarn ohne Ende publiziert. Das Lagerleben als Story. Das geht nicht.

    Da könnte man doch ganz einfach fragen: „Weshalb?“ (Und Primo Levi könnte man auch korrekt schreiben, ein Buch-Onlineshop sollte auffindbar sein.)
    Aber nein. Es folgt die Frage „Was ist mit den Filmen?“ und bei der nächsten Gelgenheit, als man wieder fragen könnte, weshalb ein Zeuge wie Kertész einen Film wie „La vita et bella“ so passend findet, wird er gefragt, ob er den neuen Tarantino gesehen habe.
    Wie gesagt, das war heute morgen und erholt habe ich mich davon noch immer nicht. „Dossier K.“ von Kertész gehört zu meinen zehn besten Titeln zum Thema Lesen (und Schreiben). Was mir fehlt, ist Gelassenheit zum Thema Lesen (und Schreiben).

    Buchumschlag 2009 (mit Vorgeschichte)

    Notizen zur aktiven Ansprache
    Das Bild ist aus dem Buch „Bücher und Büchermacher“ von Erhardt Heinold, 2. Auflage 1988. Der S. Fischer Verlag hat eine turbulente Verlagsgeschichte, nach der Gründung 1886 folgten vor allem im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg verschiedene Metamorphosen, die im Konzentrationsprozess des neuen Jahrhunderts natürlich weiter gehen. Otto Eckmann hat 1895 das Signet mit dem Fischer und seinem Netz entworfen (s.a. Kommentar unten von S. Fischer). Die Idee dahinter war, dass Fischer die Literatur aus dem Weltmeer einholt und Weltliteratur zur Nahrung macht. Emil Rudolf Weiss (1) hat dem Fischer noch eine Fischerrute und einen Rahmen gegeben, Walter Tiemann (2) hat die Fischer-Buchstaben besonders für schmale Buchrücken tauglich gemacht. 1958 wurde das Signet dann von Jan Buchholz und Reni Hinsch (3) als Logo mit Rahmen, Fischer-Initialen und dem Fischer mit Netz neu aufgelegt.
    Notizen zur aktiven Ansprache
    Noch heute arbeitet der Verlag mit dem Fischer mit dem kräftigen Zug. Mein Favorit unter den Buchumschlägen dieses Jahres kommt ebenfalls aus dem Hause S. Fischer, zeigt mein Traumhaus und passt erst noch zum Inhalt. Letzteres ist bei Romanen ja seit jeher ein seltenes Vergnügen.

    Gedenke des Buchhandels

    Schön am Buchhandel ist, dass wir seit Jahren zu aufwändig ausgestalteten Abgesängen kommen. Das Produkt, welches wir verkaufen (gedrucktes Buch), der Laden, der wir sind (Detaillist), die Ausbildung, die wir gemacht und weiter gebracht haben (Buchhändlerin) – alles im freien Mauerfall. Die Buchhändler, die Ossis (können zwar lesen, neigen aber unter veränderten Bedingungen zu Intelligenzdefekten), auf der einen Seite und der Rest der Welt, die Wessis (können lesen, wissen immer wie’s läuft, auch in der Zukunft), auf der anderen.
    Der Pöstler, mein geschätzter Nachbar, die Kindergärtnerin, meine werte Bekannte, die Heilpädagogin, meine liebe Schwester: sie alle mussten den Untergang ihrer Berufe einsam und nahezu frei von medialer Abdankung ertragen. Ihre Berufung hat sich in Elementarteilchen aufgelöst, in englischen Begrifflichkeiten, praxisferne ECTS-Punkte und riesenhafte Post- und Schulkreise, die kaum mehr zu bearbeiten sind.
    Da lob ich mir die Grabreden auf meinen Beruf! Das ist Reminiszenz! Eine besonders umfassende ist im APuZ zur Buchmesse erschienen (Volltext online.) Alle Artikel dieser Nummer „Die Zukunft des Buches“ sind lesenswert, aber ich empfehle an erster Stelle: Der Buchmarkt im Strudel des Digitalen (Abschnitte im Inhalt einzeln anklicken).

    Rennen für Stimmrechtsalter 16

    Diesen Sonntag ging es nicht ums Überzeugen, sondern um das Monetäre. Wer Abstimmungen gewinnen will, braucht Geld. Der Sponsorenlauf begann um 16.00 Uhr, nach dem Einturnen mit Evi Allemann liefen die Engagierten eine halbe Stunde mit der Initiantin Nadine Masshardt um die Münsterplattform, pro Runde 250 m. Das Kind machte 22 Runden und holte 370.00 Franken, alle zusammen errannten über 4’000 Franken für die Kampagne. Der schnellste Fünfzehnjährige schaffte 25 Runden und schwang sich danach aufs Rad, um durch den kalten Abend heim in den Vorort zu fahren. Ja, ja, die heutige Jugend.
    Einlaufen Noch mehr Laufen
    Aussicht Austurnen

    Daniel Pennac, Schulkummer

    Daniel Pennac, Schulkummer
    Daniel Pennac
    Schulkummer
    Kiepenheuer & Witsch 2009
    ISBN 978-3-462-04072-2
    Originaltitel: Chagrin d’école

    Zuerst muss man den «Cancre» kennen lernen. Pennacs Übersetzerin Eveline Passet hat ihn völlig zu Recht beibehalten, denn der Begriff «Cancre» ist nicht ins Deutsche übertragbar. Im Wörterbuch steht zwar «Krebs, Krabbe, bösartige Geschwulst, schlechter Schüler.» Das französische Wort bezeichnet alles zusammen und vor allem nicht nur den «schlechten Schüler», sondern den Schmerz, den schlechte Schüler erleben. Und genau darum geht es Pennac, dem Schulversager.
    Eine leicht verkäufliche Lektüre, die viele Leser mögen: ideenreich, einfühlsam und mit einem Appell versehen. Letzteres aber nur nebenbei, wer nicht will, kann den bildungspolitischen Aspekt auch überlesen und sich hier ganz und gar der eigenen oder Pennacs Schulbiografie widmen. Der Autor blickt nämlich auf eine besonders lange Schulzeit zurück, denn er musste manche Klasse wiederholen und ist erst nach vielen gescheiterten Versuchen, Abitur und Studium zu überstehen, Lehrer geworden.
    Die Wechselwirkung der Schüler- und Lehrerperspektive macht dieses Buch besonders. Bei Pennacs Biografie sind beide Sichtweisen gegeben und das ist sein Vorteil. (Auch Guggenbühl, Largo oder Jegge sind in Sachen «Schulkummer» stark, aber sie scheinen selber sehr effizient und kennen den Schulversager meines Wissens nur als Klienten.) Nun ist die Fähigkeit, sich ineinander hineinzuversetzen für Lernende und Lehrende sehr praktisch, beide Parteien können bei Pennac viel abgucken. Seine Strategie als Schulversager waren Ausflüchte und Auswendiglernen, sein Gefühl war, eine Null zu sein. Er war stets überzeugt, «es» sowieso nicht zu begreifen. Als Lehrer schaute er «es» mit seinen Schülern an. Was verbirgt sich dahinter? Pennac analysierte die Ausreden grammatikalisch und liess seine Cancres den Satzbau ihrer Antworten sezieren. Natürlich gab es in Pennacs Klassen auch «Leckerbissen», wie er seine guten Schüler insgeheim nennt. Pennac unterrichtete Muttersprache und musste seine Aufgabenstellung im Einwanderungsland Frankreich auf unterschiedliche Niveaus ausrichten. Er machte deswegen gerne Experimente.
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