Ver zettelt

Eigentlich kann ich Zettel nicht ausstehen, ich mache mir die nur, wenn ich nicht weiss, wo etwas hingehört. Bei mir ist so gut wie alles elektronisch, ich scanne jeden Freitag ein, was noch herumliegt.
Gerade jetzt ist so ein glücklicher Moment, wo ich alles überblicke, sogar die Zettel. Vielleicht weil Oster-technisch weniger Leute im Schulhaus sind und somit weniger Neues dazu kommt.
Nun gibt es einen Zettelhaufen Notizen zur praktsichen Prüfung wie „Antwortcouverts für Rücksendungen der Prüfungsprokolle (Adressen woher? Porto wer?)“ oder „Einsatzplan personalisieren“ oder „Wegleitung in Heftform“. Dann gibt es ein paar Zettel mit Zeugs für mich als BAM-Standleiterin 2012; überschaubar, es geht erst um Termine und Listen mit Namen für den Einsatz. Dann ein paar Zettel mit Pendenzen zum Thema Mittelbeschaffung oder Fundraising (für Prüfungsfeier, für Stipendien Fachausweis, für Härtefälle, für Nicht-Bugetiertes). Dazu kommen Post-its mit Unterrichtsvorbereitung und Inputs von Azubis zum Pegasus oder zur Infrastruktur im Schulhaus, denen ich versprochen habe, das anzuschauen.
Den Rest von dem, was zu tun wäre, ist elektronisch vorgeordnet und wartet auf die Überarbeitung, darunter auch eine Menge Telfonnotizen von offensichtlich unerreichbaren Leuten.
Die elektronsiche Ablage ist im Vergleich zu Zetteln ästhetischer. Aber gerade weil das Unerledigte genau so ordentlich aussieht, ist es manchmal gar nicht einfacher abzutragen als das Zettel-Zeugs, das nach Erledigung zerknüllt wird.

Hoher Besuch

Heute war der Erziehungsdirektor bei uns zu Besuch und meine Erleichterung ist gross. Einige Mitlesende können es sich vorstellen, anderen ist es vielleicht fremd: Aber wenn der ChefChefChefChef einen Schulbesuch macht und 10-15 Minuten mit Azubis, bzw. Schülerinnen und Schülern aus einer einzigen Klasse reden will, kann das sehr unterschiedlich herauskommen.
Das Verhalten der angehenden Fachleute Kundendialog war (ab Auftritt der Delegation von der Erziehungsdirektion) tadellos. Die Azubis antworteten auf die Fragen des Erziehungsdirektors, des Generalsekretärs und des Berfusschulinspektors ernsthaft und doch mit Charme. Dabei waren die Fragen für Lernende des ersten Lehrjahres (die noch dazu einen brandneuen Beruf lernen) überhaupt nicht so einfach. Er fragte zum Beispiel nach den Perspektiven für den Beruf (naheligend) und nach Niveau und Abgrenzung in den spezifischen Bereichen der Auftraggeber (zeugt von Interesse und Aufmerksamkeit).
Letzters ist im Contact Center ziemlich kompliziert. Also eine sog. Call-Agent nimmt oft im Namen verschiedenster Firmen Telefonate entgegen oder hat innerhalb der gleichen Firma unterschiedliche Rollen. Es kann also sein, dass er eine Tiefkühltruhengarantie und danach eine Flugticketannullation, dann einen Anruf auf die Hotline einer Versicherung und gleich darauf eine Bestellung für die Sommerkollektion bearbeitet. Dazu braucht er Unterstützngssysteme (Display mit genauen Anweisungen z.B.) aber auch einen klaren Kopf. Und bei vielen Themen (wie bei Hotlines) vertieftes Fachwissen. Das alles haben die Azubis sehr gut und beispielhaft erklärt.
Am Ende fragte der begleitende Berufsschulinspektor die Lernenden noch nach der Schule. Sie antworteten, es sei alles in Ordnung hier und sie hätten „engagierte Lehrer“, einer davon ganz besonders, er hätte nämlich bei der Steuererklärung geholfen. Und das Schöne an dieser kommunikativen Klasse, die das Herz auf der Zunge trägt, ist ja: Man kann ihnen glauben.

Zurückgespielte Bälle?

Die Anlässe der letzten Woche sind gut verlaufen. Besonders der von „meiner“ neuen Abteilung Kundendialog am vergangenen Mittwoch. Ich hatte unerwartet viel Redezeit in einem Film, den die Lernenden vor einger Zeit (überfallsmässig) von mir gemacht hatten und nun den Berufsbildnern zeigten. Ich hatte die Aufnahme noch nie gesehen und es war so peinlich, wie solches Sachen halt immer sind. Aber was ich auf die Fragen der Lernenden geantwortet habe, war in Orndnung.
Und die Lehrfirmen gaben viele positive Rückmeldungen zum alltäglichen Schulbetrieb. Diese guten Feedbacks vor allem aus Zürich haben mich sehr gefreut. Die Zürcher Arbeitgeber nehmen Bern sonst eher als träge Beamtenstadt denn als innovativen Partner wahr, mit Vorschusslorbeeren ist weniger zu rechnen. Da in der Startphase alle Lernenden einen gemeinsamen Schulort (nämlich Bern) haben, arbeiten sie erstemals mit uns zusammen.
Vielleicht ist die Kehrseite unserer Trägheit auch eine gewisse Beständigkeit. Eine Firma mit zahlreichen Lehrstellen in Zürich und Ostschweiz hat sich explizit bedankt dafür, dass wir im disziplinarischen Bereich beharrlicher seien, die erzieherischen Aufgaben konsequenter wahrnähmen. Und dass wir den Lehrfirmen den Ball nicht ständig zurückgäben. Das ist ein schönes Kompliment, andererseits gibt es mir auch zu denken. Warum sollten wir Bälle zurückgeben?
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Im Märzen der Infoanlässe

Ich habe das Bloggen diese Woche völllig vergessen. Manchmal ist das Leben eben sehr analog. Zum Beispiel hatten wir am letzten Montag die Buchhändlerinnen und Buchhändler eingeladen, die ausbilden. Und es sind fast fünfzig Leute gekommen! Darunter viele Ehemalige, die inzwischen Berufsbildnerinnen oder Filialleiterinnen sind, viele auch schwanger oder mit kleinen Kindern und noch immer am Buchhandeln. Trotz Unwägbarkeiten optimistisch, ohne grosses Tamtam um Zukunftsprognosen und mit Freude am Beruf. Einfach wunderbar.
Nächsten Mittwoch lerne ich die Ausbilderinnen und Ausbilder der ersten Klasse der neuen Grundbildung Kundendialog kennen. Auch hier: Alle betreffenden Firmen haben sich zum Anlass angemeldet und darüber hinaus noch zwei weitere Grossfirmen, die sich für diese Lehre interessieren. Das ist schön, aber auch mit Erfolgsdruck verbunden. Die Branche der Contact Center ist immer noch sehr neu für mich. Ich habe die Ziele, die ich mir (und teilweise der ganzen Abteilung) gesteckt habe, erst knapp in Sichtweite. Aber das ist das Gute an der Erfahrung und am Alter: Man lernt das Mögliche zu schätzen. Bis Mittwoch kann ich noch einige wenige Vorbereitungen treffen und dann: Que sera, sera.
Am 28. Mai besucht unser Erziehungsdirektor und amtierende Regierungspräsident die Abteilung Kundendialog. Bis dahin bleibt mir also noch einmal eine gute Woche Zeit.

Zum Ende der Buchpreisbindung

Und zum Ende der Geschichte der Buchpreisbindung in der Schweiz ein kurzer Film mit einem Kind, das regelmässig in Buchhhandlungen einkauft. Der Film ist eine spontane Aufnahme vom Januar 2011. Darin ist meine Nichte als aufmerksame Buchhändlerin zu sehen. Sie lässt sich nichts klauen (man beachte das Entsichern) und hat eine Ahnung von Marketing (Individualisierung beim Geschenkband und Aufkleben des Buchhandlungslogos auf das Päckchen). Kundin bin ich.

Nach diesem Abstimmungsresultat ohne viel Anlass, hoffe ich doch auf weitere schöne Jahre mit echten Buchhandlungen in den Händen neuer Generationen. Und mit Kundinnen und Kunden, denen es ein Bedürfnis ist, dort ein- und auszugehen, wo sie ein gutes Sortiment finden und zuvorkommend bedient werden.

Geniesse!

Ich kann diesen Imperativ nicht mehr hören und meide ihn inzwischen selbst da, wo er passen würde.
Geniess deine Schwangerschaft! Dein Baby! Deinen Garten! Deinen Sport! Deinen Erfolg! Deine Familie! Deine Velofahrt! Dein Shoppen! Deinen Berufseinstieg! Deinen Berufsausstieg! Dein Rentenalter! Dein neues Sofa! Deine Schulreise! Die Bergfahrt! Die Talfahrt! Den Frühling! Den Sommer! Dein Wochenende! Was, du hast es nicht genossen? Wie bedaurlich, wie unverständlich, wie selbstverschuldet.
Das ist nicht Versicherungswerbung, das ist inzwischen Alltag. So beginnen und enden E-Mails, so werden Anträge beantwortet. Nicht: „Ich wünsche euch eine schöne Exkursion und hoffe, dass ihr Neues entdeckt und gesund und munter zurück kommt.“ Nein. „Geniesst die Exkursion!!!“ Nicht: „Schöne Ferien euch dreien.“ Nein. „Geniess deine Männer!“ (Abgesehen davon, dass das schon fast nach Missbrauch klingt, ist mir auch die Umsetzung schleierhaft.)
Da dieses Weblog auch ein Reflexionstool ist, frage ich mich natürlich, warum mich gerade das so aufregt. Es gab eine Zeit, vor ungefähr 20 Jahren, da habe ich mich dem „Lustvoll“ verweigert. Damals musste alles und jedes „lustvoll“ sein, der Unterricht, die Arbeit, die Ehrenämter und sogar die Quartierpolitik. In der Sache habe ich dann wirklich einmal an einer Versammlung das Wort ergriffen. Es ist mir zwar entfallen was ich gesagt habe, aber andere erinnern mich immer mal wieder daran. Offenbar habe ich mich sehr enerviert und gefragt, was – verdammtnochmal – an Velowegen und Handläufen, an Kleinklassen, Heckenschneidregelungen und Bahnübergängen, an Taktandenlisten und Revisionsberichten lustvoll sein sollte? Und was schlecht daran sei, darin einfach eine schlichte Aufgabe zu sehen? Einen stinknormalen Beitrag zur Zivilgesellschaft, die sich dank dem vielleicht weiterentwickeln könnte?
Empfinde ich den Trend als Genussterror, weil ich selber nicht geniessen kann? Das wäre möglich. Aber micht dünkt, ich pflücke den Tag ganz gern. Es wirkt heute genussfeindlich, das Wort nicht inflationär zu benutzen. Ich geniesse es, wieder essen zu können, nachdem ich krank war. Ich geniesse es, weniger Kleider anziehen zu müssen, wenn es wärmer wird. Ich geniesse die Luft und die Aussicht, wenn ich in den Bergen bin. Ich geniesse am Sommer, lange draussen sitzen zu können und ich geniesse ein Glas Wein. Früher genoss ich es eindeutig, schnell zu fahren, ich liebte Gokartbahnen und meine Snowborads waren immer Raceboards mit harten Kanten.
Wenn heute die ganze Familie zusammen ist und alle zufrieden sind und miteinander auskommen, dann geniesse ich bestimmt nicht die Menschen, sondern den Augenblick. Und sicher nicht auf Geniessbefehl, sondern im Wissen darum, dass er flüchtig ist.

Auf die ledige Frau!

Heute wäre ein guter Tag für Recherchen gewesen. Es regnete, ich hustete, es war Internationaler Frauentag. Zum Beispiel hätte ich gerne meine Lieblingsthese belegt: Ohne ledige, kinderlose Frauen gäbe es in Mitteleuropa keine Gleichberechtigung. Wir stünden nach wie vor in der Küche und Kirche und schwiegen dabei („Mulier taceat in ecclesia et in confoederatio“). Leider hielt mein Alltag andere Aufgaben für mich bereit.
Trotzdem will ich zur Feier des Tages eine Handvoll prägender lediger Frauen vorstellen, ohne die mein heutiges Leben mit Sicherheit schlechter aussähe.
Luise F. Pusch (*1944): Sie zeigte im ausgehenden 20. Jahrhundert, dass Frauen in Veröffentlichungen sprachlich gar nicht oder in völlig unangemessener Weise vorkommen und sie brachte das bis heute oft verhöhnte „Binnen-I“ unter die Leute. Was viele weniger wahrgenommen haben: Sie wollte kein geschöntes Bild der Frauen in der öffentlichen Sprache, sondernauch die BetrügerInnen und MörderInnen benennen, denn: „Frauen sind zu allem fähig.“
Laure Dupraz (1896-1967): Die Welschschweizerin war Trägerin einer Erbkrankheit, die bereits ihre Brüder dahingerafft hatte. Ein Glück für die Entwicklung der Pädagogik in der Schweiz, denn sie beschloss ein eheloses Leben. Laure Dupraz lernte schnell Deutsch, studierte Mathematik und Philosophie und widmete sich schon bald intensiv der Aufgabe, Lehrerinnen und Lehrer auszubilden. 1944 wurde sie zur ausserordentlichen Professorin für Pädagogik in Fribourg ernannt, der relevanteste Posten, den eine Frau auf dem Gebiet bis dahin in der Schweiz je erreicht hatte. Für die Förderung der Mädchen und gegen die Stigmatisierung Schwacher hat sie unendlich viel getan: Mit ihrer frommen Art hat sie viele Tabus an der Uni gebrochen, dank ihrer Sprachgewandtheit viel geschreiben, übersetzt und analysiert. Das alles hat jedoch nicht dazu geführt, dass sie heute bekannt wäre.
Emma Graf (1865-1926): Die zahlreichen Verdienste der Bernerin sind vielleicht bekannter als bei anderen, dies wohl dank ihrem Engagement für das Frauenstimmrecht. Ich persönlich denke oft an Emma Graf, wenn ich mit dem Heulen und Wehklagen der „Verteilzeitlichung“ und „Verweiblichung“ des Lehrerberufes konfroniert bin. Sie hat sich als (ledige!) Redaktorin der Schweizerischen Lehrerinnen-Zeitung vehement dafür eingesetzt, dass verheiratete Frauen diesen Beruf ausüben dürfen, während ihre Kollegen lange der Meinung waren, die beiden Aufgaben liessen sich nicht verbinden. In dem Zusammenhang war der Kampf um die Lohngleichheit nicht weit, den Emma Graf ebenfalls mit spitzer Feder geführt hat.
Rosa Neuenschwander (1883-1962): Die Buchhändlerin, Gründerin der Verkäuferinnenschule, Berufsberaterin und Schafferin guter Lehrstellen für leistungsschwächere Mädchen, begleitet mich fast täglich. Sie steht für Gelassenheit in einer Berufswelt, die der meinen erstaunlich ähnlich ist. Dadurch, dass sie ihre Priorität ein Leben lang bei der Förderung der Frauen im Beruf setzte, erreichte sie politisch ähnlich viel für die Frauen wie die politischen Vorkämpferinnen. Meine Mutter hat das Leben von Rosa Neuenschwander recherchiert und es im Pegasus 87 (S. 3 ff) und 88 (S. 4 ff) beschrieben.
Ruth Driefuss (*1944): Das Gefühl, dass sich mit Ruth Dreifuss die Perspektive der Frauen und der Blick auf die Frauen in der Schweiz verändert hat, hält bei mir an. Die erste Sozialdemokratin und die erste ledige Frau im Bundesrat (wenn ich mich nicht irre, auch die letzte ledige), hat Frauenthemen gesetzt und mit einer coolen Beharrlichkeit daran festgehalten, die seither ihresgleichen sucht. Ohne sie keine Mutterschaftsversicherung, ohne sie keine Fristenlösung, ohne sie ein internationales Parkett mit wesentlich weniger Schweizer Frauen (weil vor ihr Frauen im Aussendepartement höchstens Sekretärin waren). Sie veränderte das Selbstbild der Frauen und das Frauenbild des Landes.

Verantwortlich? Alle.

Ich befrage mich am Sonntagabend meistens zum Stand der Dinge, so auch heute. Grippal angeschlagen hatte ich mich durch die vergangene Woche gehustet, vermutlich unter Medikamenteinfluss weder an Mitarbeitergesprächen noch Konfrenzen oder bei der Krisenintervention einen besonders guten Eindruck hinterlassen. Aber das Kollegium half nach Kräften, der Frühling auch.
Nun plane ich die kommende Woche – Gesundwerden zeichnet sich immerhin ab. Gerade bin ich bei der Durchsicht von Grobkonzepten zur Präsentation eines Prozesses und muss wieder (leise) lachen über unsere Branche. Selbst in Filialen steckt immer noch ein Rest Basisdemokratie. Ich unterrichte ja „Betriebliche Prozesse“, und dabei spielen Stellen und Zuständigkeiten eine zentrale Rolle. Die häufigtse Antwort, die ich auf die Frage nach der Verantwortung (unabhängig von der Buchhandlungsrösse) bekomme, ist: „keiner, äh, alle.“
Grobkonzept

Cosa sarà

Heute habe ich eine alte – wirklich sehr alte, gar eine der ersten CDs in unserem Haushalt – in die Schule mitgenommen. Vielleicht kannte ihn ja doch noch jemand von den Jungen, den Lucio Dalla. Ich hatte je eine Lektion in zwei Klassen des zweiten Lehrjahres. In der ersten kannten ihn die drei Damen mit italienischen Wurzeln, die wussten auch, dass er das Zeitliche gesegnet hatte und bedauerten das sehr. Während die Azubis am Ende der Stunde ihre Unterlagen einpackten, begleitete sie auf eigenen Wunsch Cosa sarà.
In der nächsten Lektion erwähnte ich zu Beginn kurz, dass ich eine Dalla-CD dabei hätte, worauf jemand aus der Klasse dessen bevorstehendes Konzert in Basel empfahl. Einige wussten bereits, dass er da nicht mehr singen würde, andere erschraken ein wenig.
Je älter ich werde, desto dümmer erscheint es mir, den Horizont der Jugend zu unterschätzen.
Dalla zur Nacht.
Dalla zum Morgen.