David Rieff, Tod einer Untröstlichen

David Rieff, Tod einer Untröstlichen
David Rieff
Tod einer Untröstlichen
Die letzten Tage von Susan Sontag
Hanser 2009
ISBN 978-3-446-23276-1
Originaltitel:
Swimming in a sea of death.
A son’s memoir

Ich wusste noch nicht, ob mir dieses Buch gefiel, als ich die Hälfte davon gelesen hatte. Trotzdem stellte sich nie die Frage damit aufzuhören. Der besondere Sog, der Autoren gelingt, die ihre Geschichten sonst in Zeitungen unterbringen müssen, mag dazu beigetragen haben, aber eigentlich war es doch der Inhalt, der mich am Ende tief beeindruckt zurück liess.
Wie kann das sein, wenn ein Sohn über das Sterben seiner Mutter erzählt, ohne etwas über seine Beziehung zu ihr verlauten zu lassen? Wie soll man 160 Seiten über Diagnosen, Statistiken, Tagebucheintragungen, Freundschaften, vergangene Krankheitsgeschichten und ihre essayistische Verarbeitung gerne lesen?
Ich weiss es nicht und empfehle es weiter.
(Vielleicht amore.s? Weil Sontags unerschütterliche Liebe zum Leben zu Ciorans Absage an selbiges gar nicht so kontrastiert, wie ich bisher angenommen hatte. Die beiden waren ja befreundet und liegen heute nahe voneinander – aber doch in entgegengesetzter Richtung – auf dem Friedhof Montparnasse.)

Abschlusslektion

In den letzten Unterrichtsstunden versuche ich mit jedem Jahrgang etwas anderes zu machen. Denn die Branche ist klein genug, dass es sich schnell herumspricht, wenn eine Lehrerin immer gleich abschliesst. Dies‘ Mal hatte ich zwei Zeitungsartikel vom Lehrbeginn dabei, einmal Gratiszeitung (Madonna modelte 2006 für H&M), einmal Berner Tageszeitung (Iris Radisch war gerade neu beim Schweizer Literaturclub).
Danach habe ich „10 unverzichtbare Bücher“ aus meinem pädagogischen und buchhändlerischen Leben empfohlen. Und hätte ich gewusst, wie viele das interessiert, hätte ich eine Literaturliste abgegeben. Ich hole das hiermit nach, beschränke mich aber auf die Daten, die für Buchhändler wichtig sind:

  • Reclams Zitatenlexikon 978-3-15-010491-0
  • … weil seit Internet verdammt viel falsch zitiert wird.

  • Reclams Lateinisches Zitatenlexikon 978-3-15-010478-1
  • … weil dito.

  • A.S. Neill, Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung 978-3-499-60209-2
  • … weil das das beste Buch über Freiheit und Zwang ist.

  • A. Guggenbühl, Anleitung zum Mobbing 978-3-7296-0754-5
  • … weil hier unter Verzicht auf Ratgeberstil erklärt wird, was alles unsere Handlungen in Schule und Arbeitswelt bestimmt.

  • F. McCourt, Tag und Nacht und auch im Sommer 978-3-442-73750-5
  • … weil das eines der wenigen Bücher ist, die auf „meine“ Schulstufe und „mein“ Publikum eingeht: Orientierungssuche auf allen Seiten.

  • Ph. Roth, Der menschliche Makel 978-3-499-23165-0
  • … weil eine Buchhändlerin von heute Philip Roth und diesen heftigen Mix aus Uni, US-Geschichte und Polit-Trends kennen sollte.

  • M. Janison, Sunwise Turn 978-3-938740-24-8
  • … weil es zum Thema Buchhandlungsgründungen im lezten Jahrhundert das Beste ist.

  • H. Vinke, Das kurze Leben der Sophie Scholl 978-3-473-58011-8
  • … weil das meines Wissens eines der wenigen Dokumente ist, das auf den Buchhändler Josef Soehngen verweist, bei dem die WEISSE ROSE oft ihre Flugblätter gedruckt hat.

  • R. Rothmann, Feuer brennt nicht 978-3-518-42063-8
  • … weil diese Liebesgeschichte zwischen einer Buchhändlerin und einem Autoren wider Erwarten so gar nicht seicht, sondern sehr lesenswert ist.

  • H. Rowohlt, Der Kampf geht weiter! 978-3-0369-5133-1
  • … weil diese nicht weggeschmissenen Briefe mehr über die Buchbranche erzählen als so manches Fachbuch.

    Warum ich nicht bei Amazon kaufe

    bin ich heute von jemandem gefragt worden, der gar nicht weiss, dass ich Buchhändlerin bin. Ich konnte die Feindschaft der Unterlegenen (Amazon hat den Webshop mit Millionen perfekt digitalisierten Buchdaten eröffnet, für die Bezos nie bezahlt hat) nicht ins Feld führen.
    Ich musste mich auf die banalen Argumente einer urbanen Konsumentin beschränken: Ich kaufe nie bei Amazon,

  • weil’s da keine Lehrstellen gibt.
  • Weil selbst regionale Produkte nicht regional vertrieben werden.
  • Weil Amazon ein Preisgefühl für Bücher heranbildet, das der Leistung dahinter nicht gerecht wird.
  • Futura 2009

    Postkarte von Jos Fritz in Freiburg 2003
    [Mehr Fotos im Forum für den Buchhandel und in der Fotogalerie unserer Schule.]
    So, die Bücher sind nun ab- und wieder in Kisten geräumt und das ist alle Jahre ein Anlass für einen Beitrag zur praktischen Prüfung. (Blogs werden mit ihrem Alter nicht unbedingt weiser, meins jedenfalls neigt zur Redundanz.)
    Eine praktische Prüfung ist das Kernstück jeder Berufslehre. Zu ihr gehört fast immer eine Fallnote. Das bedeutet, dass die Berufsfachleute da entscheiden, ob jemand in einen Beruf bzw. zu einer Berufsgruppe gehört, unabhängig davon, wie gut Englisch- Deutsch- oder Buchhaltungslehrer ihn bewertet haben. Einerseits gewiss brutal, andererseits logisch, dass man einem Carrosseriespengler sein Fähigkeitszeugnis nicht aufgrund seiner Allgemeinbildung ausstellt. Genau so kann man eine Buchhändlerin nicht diplomieren, die weder verkaufen noch bibliografieren kann.
    Dass unsere praktische Prüfung am Schulort stattfindet, war bei der letzten Reform (im Jahr 2000) die beste der weniger guten Lösungen. Im Zuge der nächsten Reform wird diese Abschlussprüfung – wenn nicht noch etwas dazwischen kommt – in die Lehrbetriebe verlegt. Das braucht zwar das Zehnfache an Expertinnen und Experten, aber die Praxis zeigt sich im eigenen Arbeitsumfeld doch am besten.
    Aus der Futura-Geschichte:
    Futura 2005 (man beachte das gescannte Foto)
    Futura 2006
    Futura 2007
    Futura 2008

    Endlich.

    Postkarte von Jos Fritz in Freiburg 2003

    Endlich fertig und ausnahmsweise nicht in hilfsbereiter Stimmung. Wir – Prüflinge und Prüfende – verdauen noch die Lehrabschlussprüfungen. Da gehen wieder einige Dutzend muntere Buchhändlerinnen daraus hervor, die immer wieder und für jedermann ein Lächeln, Verständnis und ein freundliches Wort bereit haben. Egal welchen Beruf sie gerade ausüben.
    Postkarte by Jos Fritz, 2003.

    Tischgespräch [38]

    Kind:
    Heute hatten wir wieder einmal Aufklärung.
    Mutter:
    Und, wie war’s?
    Kind:
    Wir haben einen Film von 1975 geschaut. Die waren angezogen wie die im Franzbuch, nur noch etwas krasser.
    Mutter:
    Aber der ist ja noch älter als der, den ihr letztes Mal gesehen habt! Der war immerhin von 1990!
    Kind:
    Ist ja auch ein anderer Lehrer.
    Mutter:
    Und, was weisst du nun mehr?
    Kind:
    Dass die Jungs krasser drauf waren und die Mädchen mit Autounfällen beeindrucken wollten.
    Mutter:
    Und über Sex?
    Kind:
    Nichts Neues, das was immer kommt: Kein Glied ist zu kurz, kein Busen zu klein.
    Mutter:
    Stimmt halt.
    Kind:
    Aber der Film war immerhin mehr für Jungs. Der Lehrer hat sich am Ende bei den Mädchen dafür entschuldigt, dass der Film fast nur über Jungs war.
    Mutter:
    Er hätte die Klasse ja nach Geschlecht trennen können, wär eh besser.
    Kind:
    Ja. Der Film wollte das auch so. Es gab den gleich langen nämlich auch für Mädchen und aus Mädchenperspektive.
    Mutter:
    Und wieso habt ihr gemischt nur den für die Jungs geguckt?
    Kind:
    Weil der Lehrer das vielleicht nicht gewusst hat.
    Mutter:
    Und woher weisst du’s?
    Kind:
    Es stand auf dem Video.

    Zu Frau Kalékos Geburtstag

    ein Kindergedicht zur Wäsche. Weil andere Blogs auch waschen. blogk im Speziellen Teppiche. Und die kaltmamsell bügelt und grübelt über Erbsünde.
    Das Gedicht ist aus dem längst vergriffenen und vergessenen Kindergedichtband „Wie’s auf dem Mond zugeht“, erschienen bei Blanvalet, aus der Garamond Antiqua auf der Monophoto bei Fotosatz Tutte in Salzweg bei Passau gesetzt und im Herbst 1971 bei August Raabe in Berlin gedruckt.

    Grosse Wäsche aus: Wie's auf dem Mond zugeht

    Nicht haushälterisch

    Viele Mütter – berufstätige und Hausfrauen – erzählen, dass ihnen Hausarbeit manchmal durchaus Freude mache. Sie sei unkompliziert und eine gute Abwechslung zu anderen Herausforderungen. Es sei schön, gut sichtbare Ergebnisse zu haben, wie z.B. gebügelte Wäsche oder eine Familie, die sich freudig über ein Menü hermache. Eine Bekannte von mir erledigt alles ausser „dem Elektrischen“ im Hause selber, malt und bohrt und züchtet sogar die Balkonpflanzen so, dass sie in den selbstgetöpferten Töpfen optimal zur Geltung kommen.
    Ich freue mich sehr am Gedeihen des eigenen Kindes und der verwandten und befreundeten Kinder und weiss, dass meine Hausarbeit ihren Teil dazu beiträgt. Aber ich kann ihr beim besten Willen nichts abgewinnen. Ich versuche täglich positive Gedanken, gerade heute wieder, als ich für Kind und Freund Sandwiches gestrichen habe. Es gibt an dieser Arbeit doch wirklich schöne Komponenten, das Brot ist frisch, Senf und Butter riechen angenehm, und die Jungs bedanken sich sogar.
    Sandwiches von heute
    Aber ich? Ich bin froh, wenn ich es hinter mir habe. Ich vernachlässige meine haushälterischen Pflichten oft ohne böse Absicht. Gestern wurde ich dabei erwischt, wie ich während der samstäglichen Putzerei (an welcher sich die ganze Familie zu beteiligen hat) eine Geschichte von Annie Proulx gelesen habe. Bei laufendem Staubsauger.

    Den 137. Psalm entsorgen

    Er ist ein Überbleibsel aus meiner Buchhändlerzeit an vorderster Front: den ganzen Tag Beratung, Verkauf, Vertreterbesuche, Telefonate, Bestellungen und unzählige Schaufenster.
    Das Gedicht „Der 137. Psalm“ von Franz Hohler habe ich irgendwann in den Neunzigern für ein Weihnachtsschaufenster abgetippt, gelayoutet und auf grauem Hintergrund aufziehen lassen. Die Buchhandlung, in der ich arbeitete, hatte den Leitsatz „kritische Bücher zur Zeit“ und es wäre nichts falscher gewesen, als Sterne im Winterschaufenster.
    Ich erinnere mich, dass ein Kunde das Gedicht unbedingt kaufen wollte. Aber ich sagte, es sei nur in Buchform verkäuflich und behielt diese Variante viele Jahre im Back-Office aufgehängt. Als ich die Buchhandlung verliess, durfte ich es mitnehmen und nahm es in mein Heimbüro.
    Nun ist das Gedicht vergilbt und eingestossen und vielleicht auch passé.

    Der 137. Psalm, 1. Blatt

    „Den 137. Psalm entsorgen“ weiterlesen

    Gestern, heute, morgen

    Gestern habe ich die Kids meiner Schwester gehütet, damit sie mit meinem Kind dessen Zimmer umstellen und aufräumen konnte. Ich und das Kind können das nämlich nicht zusammen, wir schreien nur. (Ich kann Eltern den Kindertausch sehr empfehlen, denn die meisten Kids sind auswärts braver und für einen selbst ist es ganz angenehm, zwischendurch nicht Elter, sondern bloss Betreuerin mit klarem Auftrag zu sein.

    Die Nichte tanzt

    Heute haben ich mithilfe einer anderen, sehr schnellen Buchhändlerin der Prüfungsbuchhandlung den zweitletzten Schliff gegeben. Da das entsprechende Zimmer erst noch für schriftliche Prüfungen genutzt wird, konnten wir noch nicht fertig einrichten. Aber ich bin sehr froh um alles, was getan ist.

    Prüfungsbuchhandlung Futura 2009

    Morgen werde ich bei einer Prüfung Aufsicht haben und unmittelbar danach die Erstkorrektur machen. Das ist der Beginn einer Zeit mit täglichen Prüfungen bis zu 12 Stunden. (Wahrscheinlich ahnen die Azubis gar nicht, wie sehr auch ich mich auf das Ende der Lehrabschlussprüfungen am 12. Juni 2009 um 18.00 Uhr freue.)