Heute im leeren Schulhaus

Ich bin ab und zu gern allein im Schulhaus. Weil ich das Praktikum in der Grossbuchhandlung gemacht habe, war heute mein erster Bürotag nach fast einem Monat. Nur die Mails hatte ich sporadisch gelesen und – sofern es ohne Bürohintergrund möglich war – beantwortet. Bref: Ich wusste nicht, wo anfangen und drehte deshalb noch eine Runde durch die Schulzimmer. Ein Entscheid, der mir für zwei Stunden alle weiteren abnahm. Ich habe:

  • ein Whiteboard geputzt
  • einen Whiteboardschwamm nachbestellt
  • eine Wandtafel geputzt
  • Kreiden nachgefüllt
  • Das Schwarze Brett aktualisiert
  • fehlende Drehregler (?) für die Öfen
  • und einen verstopften Wasserhahn gemeldet
  • alte Ausgaben von Fachzeitschriften aussortiert
  • Abonnemente annulliert und andere erneuert
  • runtergerissene Verlagsplakate ersetzt
  • runtergefallene Plakate von Lernenden neu aufgeklebt
  • herumflatternde Arbeiten von Lernenden in Mäppchen gelegt
  • Nachgeschaut, wann die Feuerlöscher letztmals geprüft worden sind
  • Danach ging es mir besser und ich konnte mich den Beigen stellen. (Wenn ich morgen so weiter mache, sehe ich für Montag Licht.)

    Tischgespräch [36]

    [Filmabend. Es stehen zur Auswahl: MEN IN BLACK, Mon meilleur ami, From Russia with Love]
    Kind:
    Welchen Film schauen wir jetzt?
    Mutter:
    Ich möchte nicht MEN IN BLACK.
    Vater:
    Aber es ist ein Spielberg.
    Kind:
    Sonst bist du auch immer für Spielberg.
    Mutter:
    Aber ich habe mich 1997 dagegen entschieden MIB zu schauen. Und das obwohl alle diese Sonnenbrillen trugen.
    Vater (grinst):
    Und das ist nach zwölf Jahren unverrückbar?
    Mutter:
    Genau. Vielleicht habe ich eine schlechte Kritik von einem enttäuschen Spielberg-Fan gelesen.
    Kind:
    Ihr gebt immer so viel auf Kritiken! Das finde ich blöd.
    Mutter:
    Nicht auf Kritiken, aber auf Kritiker. Wenn ich von einem weiss, der hat ungefähr meinen Geschmack, dann höre ich schon drauf.
    Kind:
    Aber, Mann, zwölf Jahre! Menschen können sich ändern! Filme können sich ändern!

    Homo ludens

    Die Altjahrswoche ist da für Spielereien, schon allein, weil alle dann ihre Weihnachtspräsente in Betrieb nehmen. Seit wir – dank beruflicher Veränderungen – in dieser Zeit nicht mehr Jahresabschlüsse machen müssen, haben wir mehr davon.
    Ich werde also in den nächsten Tagen die neuen Games den Kindes kennen lernen, Table-Top-Figuren anmalen, mit der ganzen Sippschaft „Wer-bin-ich?“ spielen, endlich passende Pics für die Cover-losen Alben auf meinem iPod laden, meine geschenkte Musik hören, dazu feierlich meinen neuen Skullcandy einweihen, die Fortsetzung von Trickfilmen gucken, ein Dutzend schöne Plätze aufsuchen, an denen ich schon hundertmal war, Fotos machen, die ich schon tausendmal gemacht habe, mich hinter meiner Inwendig-Lern-Gedichtsammlung verschanzen und viele andere Dinge tun, ohne die das Leben problemlos funktionieren würde. (Bloggen gehört nicht dazu.)

    Weihn08

    Ein liebes Gedicht

    In diesem Jahr kam über die Hälfte der Suchenden der Liebesgedichte wegen hierher. Besonders gefällt mir, dass auch „liebe Gedichte“ so viele hierhin führten.
    Zu Weihnachten soll nun etwas Angemessenes gefunden werden. Müsst‘ ich mich entscheiden, wäre das Folgende wohl mein liebstes Liebesgedicht. (Mein bester Dichter. Und sehr einfach auswendig zu lernen.)
    Der Brief, den du geschrieben,
    er macht mich gar nicht bang;
    du willst mich nicht mehr lieben,
    aber dein Brief ist lang.
    Zwölf Seiten, eng und zierlich!
    Ein kleines Manuskript!
    Man schreibt nicht so ausführlich,
    wenn man den Abschied gibt.
    – Heinrich Heine

    „Ein liebes Gedicht“ weiterlesen

    In der Grossbuchhandlung [4]

    Mein Praktikum ist zu Ende. Und ich glaube fast, ich hatte einen Lieblingskunden. In der Grossbuchhandlung ist es einfacher, Kundinnen und Kunden gleich zu behandeln, weil man sie viel weniger gut kennt, als das in der Klein- oder Fachbuchhandlung der Fall ist. Aber ganz neutral ist man ja nie.
    Mein Lieblingskunde war ein knapp dreissigjähriger Mann, der eine Nachholbildung in einer Handelsschule machte. Er erzählte, er habe Probleme im Fach Deutsch (es war jedoch ein Muttersprachler) und die Lehrerin habe ihm deshalb nahe gelegt, pro Woche ein Taschenbuch zu lesen. Er habe vorher nie mehr als zwei Seiten auf einmal gelesen und er brauche im Moment noch fast einen Monat dazu. Aber er lasse sich jetzt immer in der Buchhandlung beraten.
    Ich freute mich ehrlich über diesen Entschluss und erfuhr, dass er bis jetzt zwei Krimis auf Buchhändlerinnen-Empfehlungen gelesen hatte. Einer war wunder-, der andere furchtbar gewesen. Vom Furchtbaren hätte kaum verstanden worum es ging, geschweige denn erfahren, wer der Bösewicht gewesen sei, obwohl er extra das ganze dumme Buch durchgelesen hätte.
    Ich hatte die beiden Titel am Lager, kannte sie aber nur vom Hören. Sie unterschieden sie sich hauptsächlich in dem, was man – streitbar – „literarisches Niveau“ nennt.
    Das sind Idealfälle der Beratung. Wenn ein Mensch die Hilfe wirklich sucht, etwas zu seinem Lesegeschmack sagen kann und willens ist, ein guter Kunde zu werden. (Was viele Verkäuferinnen und Verkäufer wissen, aber immer wieder vergessen: Ein guter Kunde kauft nicht per Definition viel, es kann ebensogut einer sein, der viel von dem ihm zur Verfügung stehenden Geld bei einem ausgibt, auch wenn es wenig ist.)
    Ich machte dem Kunden eine Skala von 1-10. Der in seinen Augen unleserliche Krimi war die 10, der, den er gemocht hatte, die 5. Ich legte ihm vier Empfehlungen raus. Ich kennzeichnete die Krimis je nach literarischem Niveau und Aufklärungsgrad mit den Zahlen 5-8 (Pos-it). Er fragte, weshalb es keine 4 dabei hätte? Ich antwortete, dass der Abstieg ja wohl keine Option sei, was ihn zum Lachen brachte. Er kaufte die 5 und dazu noch die 6. Die 7 und meinen Namen kritzelte er hinten auf einen Kassenzettel (obwohl ich ihm gesagt hatte, ich sei im neuen Jahr dann nicht mehr da).
    Ich wünschte Glück bei der Handelsschule und Freude an der Lektüre und er eilte – mehrmals dankend – von dannen.

    Nach der Arbeit

    gehe ich einkaufen
    mache ich Abendbrot
    sehe ich mit dem Kind
    den nächsten Tag und
    seine Hausaufgaben an
    bügle ich ein paar Kleider
    packe ich ein paar Geschenke
    telefoniere ich mit einem Schüler
    trinke ich ein Glas Merlot mit dem Mann
    versuche ich mich wieder bei Europeana
    schaue ich die UNICEF Fotos des Jahres 2008
    lese ich im vom Kollegen empfohlenen Steinfest
    bin ich müde

    In der Grossbuchhandlung [3]

    Ich geniesse es, in der Grossbuchhandlung nur einzuräumen und zu verkaufen. Bestellen (disponieren), Pausenzeiten festsetzen, Stellvertretungen für Kranke organisieren, Telefone abheben, Online-Warenkörbe leeren und Bestellungen verarbeiten – das alles machen andere.
    Ich verkaufe gern, besonders in Buchhandlungen. Egal ob sie klein, gross, spezialisiert oder allgemein sind, denn ich schaue gerne zu, was passiert, wenn Menschen und Bücher zusammenkommen.
    Zum heutigen Tag ein paar Verbindungen zwischen Theorie und Praxis (ist schliesslich mein Job in der Schule, das zu machen).
    Grundlage des Verkaufs ist die Wahrnehmung. Die Wahrnehmung der Buchhändlerin entscheidet darüber, ob eine Kundin kauft und – noch wichtiger – ob sie wieder kommt.
    Im aktiven Verkauf muss viel getan werden. Aber in Verkaufsseminaren wird oft erzählt, was man unterlassen soll. Es klingt dann immer einfach. Doch im Verkaufsalltag bedeutet es, Gewohnheiten zu knacken, und das ist schwierig.
    Ich nehme als Beispiel die Kontaktaufnahme:

  • Die gleiche Buchhändlerin sollte den gleichen Kunden ganz bewusst und nur einmal grüssen.
  • Der gleiche Kunde sollte pro Buchhandlung oder pro Etage in der Buchhandlung nur einmal ganz allgemein nach seinen Wünschen gefragt werden.
  • Bei Antworten soll die Buchhändlerin Verneinung meiden.
  • Das Grüssen müssen Buchhändlerinnen und Buchhändler im Griff haben, es ist reine Übungssache. Ich kenne meine Kundinnen und Kunden mindestens für einen Tag, auch wenn sie keine Beratung wollen und mehrmals vorbeikommen. (Wenn ich fit bin, kann ich mir für diese Zeit auch Namen merken. Wer etwas bestellt oder bei mir mit Kreditkarte bezahlt hat, den rede ich mindestens am selben Tag mit Namen an.)
    Der nächste Punkt hängt von den Räumlichkeiten ab. In der Buchhandlung, in der ich jetzt bediene, ist es leicht zu merken, wenn ein Kunde bereits von einer Kollegin oder einem Kollegen nach seinen Wünschen gefragt worden ist. In unübersichtlichen Verkaufsräumen muss sich das Team auf ein Vorgehen einigen. Die Buchhändlerin muss vielleicht den Kunden gegenüber zugeben, dass sie unsicher ist, „ob wir Sie schon nach Ihren Wünschen gefragt haben?“.
    Der letzte Punkt ist die grösste Herausforderung. Kunden fragen oft:

  • a) negativ-suggestiv. „Sie haben von dem Buch kein zweites Exemplar mehr da..?“
  • b) positiv-suggestiv: „Die Wandkalender sind sicher oben..?“
  • Bei a) darf sich eine Verkäuferin nicht zum „Nein“ verführen lassen, sie muss antworten: „Ich sehe gerne für Sie nach.“
    Bei b) darf sie nicht „Nein, sind sie nicht, sie hängen direkt da vorn“ sagen. Sie muss die Wandkalender zeigen.
    Denn dass etwas nicht da oder dort ist, will der Kunden nie wissen, auch wenn er danach fragt. Er will immer wissen, ob etwas im Sortiment ist und wo genau.