Das Leben beginnt im Banalen

Die Schweizer Werke, die ich liebe, sind meist kleine Würfe in den See deutscher Literatur, welche für mich alles bezeichnet, was in einer der vielen Facetten deutscher Sprache geschrieben worden ist. Autoren wie Beat Brechbühl („Kneuss“), Beat Gloor („staat sex amen“), Beat Sterchi („Blösch“), Pedro Lenz („Der Goalie bin ig“), Verena Stefan („Fremdschläfer“) sind weniger bekannt als Peter Bichsel, Fritz Dürrenmatt, Franz Hohler, Max Frisch (aber nur seine Fragebögen sind so richtig alltäglich), Jeremias Gotthelf, Ruth Schweikert, Urs Widmer. Jeder von ihnen zeigt die Brüche im Alltag, die feinen, unauffälligen ganauso wie die endgültigen:
Kochen erinnert mich. Beim Schälen von Knoblauch denke ich an meinen längst verstorbenen Freund Schmapi Gerwig. Als ich ihm mal sagte, dass sich Knoblauch besser schälen lässt, wenn man ihn halbiert, sagte er, dass das nur mit frischem Knoblauch funktioniert. Ich vergass mich zu wehren – es funktioniert auch mit altem Knoblauch. Und Schampi starb, bevor ich es ihm mitteilen konnte. (Max Frisch: „Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschen Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?“) Würde Schampi eines Tages plötzlich vor mir stehen, ich würde ihm sagen, dass ich ihm vergessen habe zu sagen, dass das durchaus auch mit altem Knoblauch gelingt.
Ja, das ist banal. Aber das Leben beginnt im Banalen.

Aus: Peter Bichsel „Die Linsen meiner Mutter“ (In: Über Gott und die Welt, Suhrkamp 2009)

Zur Digitalisierung der Öffentlichkeit

Seite aus der Vorschau 4th Estate August 96 bis Februar 97
In seinem Artikel im SPIEGEL vom 23. August 2010 „Demokratie und Heuhaufen“ zeigt Thomas Darnstädt kurz und richtig, dass die Street-View-Entwicklung nicht in erster Linie das Privatleben, sondern die Öffentlichkeit bedroht. Auch wenn einiges davon schon bei Zeh und Trojanov steht, sehr lesenwert, weil Darnstädt aus der entgegengesetzten Richtung denkt.

(…) Haben die Bürger einst die Öffentlichkeit dem Absolutismus abgetrotzt, um frei zu sein, müssen sie nun erleben, dass neue absolute Mächte ebenso unkontrolliert wie einst Ludwig XVI. in Frankreich die Übersicht über alles beanspruchen.
Was Wunder, dass Politiker ratlos sind – es ist noch die klügste Reaktion. Denn selbst gutgemeinte Versuche des Staates, die Digitalisierung der Öffentlichkeit zu stoppen, gehen ins Leere. Die bürgerliche Öffentlichkeit lässt sich nicht durch saatliche Interventionen retten – Öffentlichkeit ist kein Naturschutzgebiet, um das der Staat Zäune errichten kann. (…)

[Bild: Vorstellungsrunde meiner neuen Azubis anhand von Arbeits- und Wohnort auf einer Schweizer Planokarte.]

Buchbestand am 22. Juli 2010

Ich wollte für einmal nicht Lesende fotografieren, sondern den Bücherbe- und -zustand zum Zeitpunkt x in unserem Mini-Mobil-Home aufnehmen. Das war nur während einer Siesta möglich, sonst kam es eigentlich höchstens in der fortgeschrittenen zweiten Hälfte der Nacht vor, dass keiner von uns las. Wir lasen natürlich auch die Abgesänge auf das Buch (nicht das Lesen, wohlgemerkt! Zeitungen trennen das gern und illustieren dann doch mit einer jungen Buchleserin).
Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B
Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B
Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B
Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B Ferienlektüre am 22. Juli 2010, Mobil Home 74B

retour (et en retard)

Déjeuner
Nach einem schönen, verlesenen, verschwommenen Sommermonat bin ich zurück im Regen der Schweiz. Die Einhemische unter Touristen zu sein fällt mir gerade etwas schwer. Ich hatte mich an die Rolle der wortkargen Ausländerin in Südfrankreich gut gewöhnt.
Seit drei Tagen wasche ich, lese die Post, verarbeite meine Mails und versuche zu strukturieren, was ich auf dem Memorystick an Unterrichtsvorbereitug aus den Ferien mitgebracht habe. Offline hat seinen Preis und lohnt sich für mich sehr. Denn der Unterschied liegt im Plus – ich fühle mich auch im Hintertreffen, wenn ich online bleibe. Unser Schulhaus ist noch immer eine grosse, kaum zugängliche Baustelle und ich widme mich deshalb zuerst dem, was ich gelesen habe. Ich gebe hier wenig Inhalt, sondern hauptsächlich eine Leseempfehlung.
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Ein guter Tag

Schon am Morgen haben männliche und weibliche Azubis ihren Charme spielen und ihre Wimpern klimpern lassen, um den Match schauen zu dürfen. Heute einen Unterrichts- und keinen Arbeitstag zu haben war eine einmalige Chance, schliesslich sollen Buchhandlungen auch weiterhin ein sicherer Hort derer bleiben, die sich nicht um Fussball scheren. Schulen weniger. Wir haben eine Lösung gefunden, der Lehrer der „technischen Warenkunde“ konnte unsere Infoscreen im Schulhauseingang zum TV umfunktionieren. Es war wundervoll zu sehen, wie sich die Schulhaustreppe in eine Zuschauertribüne verwandelte. Aber natürlich waren die Lernden aus spanischem Elternhaus nicht glücklich, da sind die 10% ein kleiner Trost.
***
Als ich am Abend im überfüllten Bus sass, zusammen mit deutlich mehr Leuten in Spanien-Tricots als mit solche mit Schweizer Kreuz, hörte ich ein kleines Mädchen zu seiner Mutter sagen: „Komm, wir fahren bis Endsation und kaufen ein Büchlein („äs Büechli“) und sagen Papi nichts.“ Die Mutter nickte nachdenklich. Ich konnte mich nicht zurückhalten zu fragen, ob der Buchkauf denn nun ein Geheimnis sei oder eine Überraschung gebe? „Ein Geheimnis,“ flüsterte das Mädchen.

Das Schuljahresende naht

Wenn…
meine Sitzungsleitung chaotisch
mein Sitzungsverhalten unreflektiert
mein Haar strapaziert
meine Agendenführung planlos
meine Aufgabenhilfe nutzlos
mein Veloschlüssel verloren
meine Schuhsohle abgetreten
meine Briefpost ungeöffnet
ist und ich kein Verständnis mehr dafür habe, dass die Toiletten im Schulhaus gerade jetzt umgebaut werden müssen, sondern vernehmlich fluchen möchte,
…dann habe ich etwas vergessen.
(Danke für die Netzfundstücke, amore.s.)