Tischgespräch [36]

[Filmabend. Es stehen zur Auswahl: MEN IN BLACK, Mon meilleur ami, From Russia with Love]
Kind:
Welchen Film schauen wir jetzt?
Mutter:
Ich möchte nicht MEN IN BLACK.
Vater:
Aber es ist ein Spielberg.
Kind:
Sonst bist du auch immer für Spielberg.
Mutter:
Aber ich habe mich 1997 dagegen entschieden MIB zu schauen. Und das obwohl alle diese Sonnenbrillen trugen.
Vater (grinst):
Und das ist nach zwölf Jahren unverrückbar?
Mutter:
Genau. Vielleicht habe ich eine schlechte Kritik von einem enttäuschen Spielberg-Fan gelesen.
Kind:
Ihr gebt immer so viel auf Kritiken! Das finde ich blöd.
Mutter:
Nicht auf Kritiken, aber auf Kritiker. Wenn ich von einem weiss, der hat ungefähr meinen Geschmack, dann höre ich schon drauf.
Kind:
Aber, Mann, zwölf Jahre! Menschen können sich ändern! Filme können sich ändern!

Homo ludens

Die Altjahrswoche ist da für Spielereien, schon allein, weil alle dann ihre Weihnachtspräsente in Betrieb nehmen. Seit wir – dank beruflicher Veränderungen – in dieser Zeit nicht mehr Jahresabschlüsse machen müssen, haben wir mehr davon.
Ich werde also in den nächsten Tagen die neuen Games den Kindes kennen lernen, Table-Top-Figuren anmalen, mit der ganzen Sippschaft „Wer-bin-ich?“ spielen, endlich passende Pics für die Cover-losen Alben auf meinem iPod laden, meine geschenkte Musik hören, dazu feierlich meinen neuen Skullcandy einweihen, die Fortsetzung von Trickfilmen gucken, ein Dutzend schöne Plätze aufsuchen, an denen ich schon hundertmal war, Fotos machen, die ich schon tausendmal gemacht habe, mich hinter meiner Inwendig-Lern-Gedichtsammlung verschanzen und viele andere Dinge tun, ohne die das Leben problemlos funktionieren würde. (Bloggen gehört nicht dazu.)

Weihn08

Ein liebes Gedicht

In diesem Jahr kam über die Hälfte der Suchenden der Liebesgedichte wegen hierher. Besonders gefällt mir, dass auch „liebe Gedichte“ so viele hierhin führten.
Zu Weihnachten soll nun etwas Angemessenes gefunden werden. Müsst‘ ich mich entscheiden, wäre das Folgende wohl mein liebstes Liebesgedicht. (Mein bester Dichter. Und sehr einfach auswendig zu lernen.)
Der Brief, den du geschrieben,
er macht mich gar nicht bang;
du willst mich nicht mehr lieben,
aber dein Brief ist lang.
Zwölf Seiten, eng und zierlich!
Ein kleines Manuskript!
Man schreibt nicht so ausführlich,
wenn man den Abschied gibt.
– Heinrich Heine

„Ein liebes Gedicht“ weiterlesen

Nach der Arbeit

gehe ich einkaufen
mache ich Abendbrot
sehe ich mit dem Kind
den nächsten Tag und
seine Hausaufgaben an
bügle ich ein paar Kleider
packe ich ein paar Geschenke
telefoniere ich mit einem Schüler
trinke ich ein Glas Merlot mit dem Mann
versuche ich mich wieder bei Europeana
schaue ich die UNICEF Fotos des Jahres 2008
lese ich im vom Kollegen empfohlenen Steinfest
bin ich müde

Krisen-Abstracts

Damit ich’s wieder finde: Schöne Zusammenfassung des politisch ohnmächtigen UBS-Deals aus der gestrigen WOZ: „Abnicken im Schwitzkasten“ von Carlos Hanimann.

Ein kurzer Rückblick: Anfang Oktober, als sowohl JournalistInnen wie auch die meisten ParlamentarierInnen nur über Armeechef Roland Nef, VBS-Vorsteher Samuel Schmid und den desolaten Zustand der Armee reden wollten, forderten SP und Grüne dringend eine Sondersession zur Finanzmarktkrise. Die US-Regierung hatte die ­Kontrolle über die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac übernommen, die Investmentbank Lehman Brothers hatte die Bilanz deponieren müssen, der weltgrösste Versicherer AIG stand vor dem Konkurs – es war absehbar, dass auch die Schweiz bald in den Strudel der Krise geraten würde. Der freisinnige Finanzminister Hans-Rudolf Merz lag derweil wegen eines Kreislaufkollapses im Berner Inselspital – just in der Stunde der Krise. Der Linken gelang es zwar, eine Sondersession einzuberufen, die bürgerlichen Parteien allerdings zeigten sich wenig begeistert. Die wirtschaftliche Situation sei gut, hiess es. Und die UBS kündete zu jenem Zeitpunkt noch Gewinne für das dritte Quartal an. Zwei Wochen später mussten Bund und Nationalbank das Rettungspaket für die UBS mit dem beschönigenden ­Titel «Massnahmen zur Stärkung des Finanz­systems Schweiz» verabschieden – in der Höhe von über sechzig Milliarden Franken, ein Finanzpaket in noch nie gesehener Grösse.
Es folgte eine Welle der Empörung, die jedoch selten über moralinsaure Kritik an den übertriebenen Managergehältern hinausging. Die Krise schien zu gross, das Thema zu komplex, um grundsätzliche Fragen zu stellen. Die Sondersession wurde trotz oder vielleicht gerade wegen der Brisanz der Finanzmarktkrise verschoben und schliesslich auf den Montag zwei Tage vor der Bundesratswahl angesetzt. Die politische Diskussion um den Finanzplatz war damit für Wochen blockiert, sie lief höchstens – sehr personalisiert – über die Medien.

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Advent: Was ich daran mag

  • Sonne am Winterhimmel
  • Geschenke machen
  • Geburtstag haben
  • Samichlousestiefel
  • Briefe schreiben
  • Familientreffen
  • Adventskalender
  • Adventskränze (ohni Chrisescht)
  • Stoffservietten
  • Wohnblöcke bei Nacht
  • Bücher kaufen
  • Fotos ohne Blitz
  • Beim Backen zusehen
  • Bundesratswahl
  • Chorkonzerte
  • Berner Restaurants
  • Die Aare von oben
  • Das Münster von Weitem
  • Kerzen ziehen in Bethlehem
  • Glühwein trinken auf Kopfsteinplätzen
  • Als ich zwanzig war

    Als ich zwanzig war, war es so kalt, dass der Zürichsee gefroren war.
    Als ich zwanzig war, schrieb ich meinen Matura-Aufsatz über Kräfte, die jenseits von Politik und Wissenschaft unser Leben bestimmen. Ich schrieb vor allem über die Phantasie.
    Als ich zwanzig war, durfte ich zum erstenmal abstimmen. In meinem Primarschulhaus betrat man eine Wahlkabine, konnte dort seinen Stimmzettel mit „Ja“ oder „Nein“ beschriften und ihn nachher in die Urne werfen. Ich weiss nicht mehr, wozu ich damals Ja oder Nein gesagt habe. Stimmen durften, als ich zwanzig war, nur die Männer.
    Als ich zwanzig war, gab es an der Universität so viele Studenten, dass man für die Vorlesungen des berühmten Germanistikprofessors Platzkarten lösen musste. Etwa 700 andere studierten auch Germanistik. Mindestens die Hälfte davon waren Frauen. Darunter, dachte ich, müsste auch eine für mich sein. Ich hatte Recht.

    aus:
    Franz Hohler
    Das Ende eines ganz normalen Tages