Ungehinderte Kindheit

Als ich neulich einen Abendspaziergang machte, fielen mir – ich weiss nicht, ob es an einem Duft, der Jahrezeit, einem entgegenkommenden Spaziergänger lag – viele Namen von Behinderten ein, mit denen ich als Kind viel Zeit verbracht hatte. Ich habe zu Hause meine Fotos hervorgeholt und mich noch besser erinnert. (Und ich habe auch gesehen, dass ich zwischendruch ganz schön wild und unfreundlich sein konnte, wie auf dem letzten Bild.)
Eriz 4
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Ich verbrachte eine Menge meiner Vorschulzeit mit Behinderten, ich habe es in einer Buchbesprechung schon einmal erwähnt. Ich dachte seither manchmal, das hätte meine Sozialisation erschwert, aber inzwischen sehe ich, wie gut mir das getan hat. Diese Kindheit vermochte mich zwar nicht genormt zu erziehen und ich musste diesbezüglich einiges nachholen. Aber sie lehrte mich das, was man braucht, um sich überall schnell zu integrieren: Umgang mit dem Fremdsein. In diesem Zusammenhang ein Hoch auf die Kuschel-Heilpädagoginnen und -pädagogen, die anstatt Abgrenzung Basisdemokratie anstrebten, die mit Wiedersprüchen und Rückschlägen umzugehen wussten, die mein Leben liebe- und verständnisvoll prägten und die mir bis heute Vorbilder geblieben sind.

Kollegialität bei Spickzetteln

Ich schätze und sammle Spickzettel und freue mich über Gleichgesinnte. Ich weiss eingermassen mit der Spickerei umzugehen und kann einschätzen, wie erfolgreich oder -los ich und meine Schülerinnen und Schüler im Spick-Metier sind. Kurz: Meine diesbezüglichen Herausforderungen halten sich im Rahmen. Zum Glück muss ich fast nur am Anfang und am Ende der Lehre ein paar spickbare Begriffe vermitteln, der Rest sind entweder offene Fragen oder Open-Book-Tests.
Obwohl die Spick-Problematik bei mir nicht drängt, treibt mich neuerdings eine kollegiale Frage um: Verlagt es das Kollegialitätsprinzip, andere Lehrpersonen zu informieren, wenn bei ihnen gespickt wird? Da ich ständig die Schulzimmer aufräume und immer gern nach Spickzetteln suche, finde ich auch. (Wenn möglich archiviere ich sie, aber oft sind sie fix, also irgendwo aufgekritzelt.)
Nicht erwischt worden? Dann ist’s eben so – ist meine Meinung.
Nun habe ich diese Woche wieder einmal ein paar Spickzettel aus Tests im Fach Wirtschaft und Rechnungswesen entdeckt, die auf Buchplakate, welche wir in unseren Schulzimmern aufhängen, aufgemalt waren. Die habe ich – eher zum Amüsement – einer Kollegin gezeigt. Sie fand es selbstverständlich, dass ich nun alle Kolleginnen und Kollegen über diese Gefahr informieren müsse.
Unkollegial möcht ich gar nicht sein. Aber ich kann unmöglich alle informieren. Es gibt viel zu viele pfiffige Ideen für Spickzettel! Der Mensch in einer Schule lernt weder für den Lehrer noch fürs Leben, sondern für eine akzeptable Note! Für die Promotion! Das eidgenössiche Fähigkeitszeugnis! Der Mensch ist rational, der Mensch in der Schule ist nicht blöd und das ist gut so.
Was sie irgendwo abschreiben oder nachschauen können, lernen die meisten nicht freudig auswendig. Ich glaube, ich begebe mich ab sofort auf Mission mit dieser Erkenntis. Das ist auch kollegial. Laufend über Spick-Gefahren zu informieren oder gar Spickzettel zu analysieren und Kolleginnen und Kollegen zuzuordnen übersteigt meine Möglichkeiten.
Buchplakat mit Spickfunktion
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Widerstände

Zwischen Auffahrt (dt. Himmelfahrt) und Pfingsten hat die Volksschule hier meistens Landschul- oder Projektwoche. Eher auf kollegialen Druck denn aus freien Stücke hat das Kind „Elektronik“ belegt. Der Lehrer und ehemalige Elektriker, der die Projektwoche geleitet hat, brannte für das Thema. (Und mein Verdacht, dass Projektwochen wohl der beste Platz sind für brennende Lehrer ist jedenfalls nicht widerlegt worden.)
Täglich hat das Kind begeisterter von Transistoren, Stromrichtungen, Schaltungen, Widerständen und vom Löten erzählt. Mir hat sehr gefallen, wie zielorientiert hier gearbeitet wurde und wie sehr die Jungs auch abends noch bei der Sache waren. Ich selber hatte die Ohm ziemlich vergessen und mich nur noch erinnert, einmal eine ganze Reihe Widerstände in Regenbogenfarbreihenfolge auf eine Jeansjacke genäht zu haben. Für die Teilnahme an einer Friedens- oder Abrüstungsdemo. Das Kind schüttelte den Kopf und meinte in einem Ton zwischen Abgeklärtheit und Belustigung, der sonst mir vorbehalten ist: „was iiiihr damals nicht alles gemacht habt…“
Projektwoche Elektronik

Mangel an Reflexionsfähigkeit

In den letzten vierzehn Tagen hatte ich so viel Dringendes, dass ich nur noch Post auf Schulbuch auf Klassenlisten auf Fachzeitschriften auf Verordnungen auf Stundenplanentwürfe auf Literaturzeitschriften auf Prüfungsserien auf Notentabellen auf Leseexemplare auf Notizzettelberge gelegt habe, bis ich Ende letzte Woche die Übersicht im Büro gänzlich verloren hatte, was selten vorkommt.
Heute Morgen früh ist der Mann mit mir in die Schule gefahren und hat mir beim Aufräumen und bei der Abstufung der Dringlichkeiten geholfen. Am Nachmittag war ich mit Nichten und Neffen bei Regen im Freibad.
Abends habe ich mit dem Kind eine Hausarbeit über Gartenerbsen (von der Verpackungsbeschreibung bis zur Zubereitung) beendet. Eine konfliktreiche Angelegenheit, weil ich einfach nicht einsehen konnte, weshalb man Dinge vierzehn Tage nur herumstapelt und am Ende sonntags langwierige Unterstützung braucht, um am Montag die Woche überhaupt einigermassen geordnet anfangen zu können.

Schulkonferenz

war heute. Ist bei uns zweimal pro Jahr, im ersten Semester noch vor Schulbeginn, in der letzten Sommerferienwoche. Im zweiten Semester gleich am Anfang. Es geht da immer um Schulentwicklung und Informationen, die die Schulleitung persönlich und nachdrücklich geben will. Seit 2007 gehört zur Schulkonferenz auch ein „aktiver Teil“. Das ist gut, denn auch Lehrerinnen und Lehrer können nicht allzulange nur zuhören.
Heute war die Überarbeitung unserer Hausordnung das Thema der Workshops, an denen sich fast alle beteiligten, auch Leute aus der Verwaltung. (Für Interessierte aus anderen Schulen in unserem Vademecum ab Seite 30 zu finden.)
Die Grundsatzfrage: „Ist unsere Hausordnung noch zeitgemäss?“ wurde nach 70 Minuten Debatte in Gruppen mit „beinahe“ beantwortet, die Änderungsanträge hielten sich in Grenzen. Dagegen kamen etliche Ideen für die schnellere, nachhaltigere, bessere Umsetzung auf den Tisch. Und ich dachte – wie alle anderen wohl auch – bei den einen Vorschlägen „Hach, das ist ja sonnenklar!“ und bei den anderen „Wow, darauf wäre ich nie gekommen.“
Richtig ist in Gruppenarbeiten, nur Zweiteres zu sagen und schön, nur Zweiteres gesagt zu bekommen.

Lesen über das Lesen

In der nächsten Ausgabe unserer Schulzeitung geht es um das Lesen und ich bereue inzwischen, so etwas Gigantisches zum Thema gemacht zu haben. Ich dachte, dazu habe jeder etwas zu sagen und die Seiten füllten sich schnell. Aber einfacher macht es die Redaktionsarbeit – mein nächtliches Hobby – dann doch nicht.
Heute Abend habe ich zehn Bücher herausgesucht, die mir persönlich Anregung waren, über mein Lese- und Schreibverhalten nachzudenken, ja, es vielleicht sogar zu verändern oder wenigstens zu begründen. (Ruiz „Der Schatten des Windes“ ist nicht so mein Geschmack und auch Moers „Die Stadt der träumenden Bücher“ haute mich nicht um. Fantasy-Wälzer, in denen Bücher eine Hauptrolle spielen, sind für mich eher Gebrauchtsgegenstände wie Krimis oder der Pschyrembel.)
Hier die Titel aus meiner Bibliothek, in denen ich etwas Neues über mein Lesen und das Lesen im Allgemeinen entdeckt habe (Daniel Pennac lasse ich nur weg, weil seine unentbehrlichen Regeln hier schon mehrmals Erwähnung fanden):

  • Auf Lesereise
    Was unterwegs alles schiefgehen kann. Wahre Geschichten. Hrsg. v. Klaus Bittermann
    2004 Edition Tiamat
    ISBN 978-3-89320-072-6
  • 112 einseitige Geschichten
    Hrsg. v. Franz Hohler
    2007 Luchterhand Literaturverlag
    ISBN 978-3-630-62000-8
  • Verse auf Leben und Tod
    von Oz, Amos;
    2008 Suhrkamp
    ISBN 978-3-518-41965-6
  • Eine Geschichte des Lesens
    von Manguel, Alberto;
    Große illustrierte Ausgabe
    2008 S. Fischer
    ISBN 978-3-10-048752-0
  • Der Leser. Das Erzählen – Frankfurter Poetik-Vorlesungen
    von Bichsel, Peter;
    1997 Suhrkamp
    ISBN 978-3-518-39143-3
  • Die Kunst des Unmöglichen oder Jedes Ding hat (mindestens) drei Seiten
    von Hamm, Peter;
    Aufsätze zur Literatur. Edition Akzente 282 S. 20 cm 335g , in deutscher Sprache.
    2007 Hanser
    ISBN 978-3-446-20872-8
  • Das Wilde und die Ordnung
    von Matt, Peter von;
    Zur deutschen Literatur. 292 S. 23 cm 520g , in deutscher Sprache.
    2007 Hanser
    ISBN 978-3-446-20840-7
  • Die souveräne Leserin
    von Bennett, Alan;
    2008 Wagenbach
    ISBN 978-3-8031-1254-5
  • Lolita lesen in Teheran
    von Nafisi, Azar;
    2008 Goldmann
    ISBN 978-3-442-15482-1
  • Dossier K.
    von Kertész, Imre;
    Eine Ermittlung.
    2008 Rowohlt TB.
    ISBN 978-3-499-24207-6
  • Stimmung: aufgeräumt

    Vergangene Woche ist – nach zwölf Jahren wackerer Lehrerschaft – endlich eine meiner zahlreichen Befürchtungen eingetroffen.
    Mir ging ein Test verloren. Die Schülerin hat ihn abgegeben, ich habe ihn korrigiert, beim Rückgabetermin war sie krank, ich habe ihn aufbewahrt und weg war er.
    (In Lehrerblogs ist schon viel Aufschlussreiches über Unterrichtsarchive geschrieben worden und die Tipps in den Kommentaren waren nicht minder nützlich. Nur leider ist und bleibt meine Realität, dass ich – egal, was ich mir vorgenommen habe, egal wie viele verschiedenfarbige Mäppchen, Register oder Stapel ich vorbereite – am Ende der Stunde den ganzen Krempel zusammenschiebe.)
    Ich hatte keine Ahnung, was ich tun würde, wenn der Test verschwunden bliebe. Es erschien mir deshalb angebracht, mich in den Heuhaufen zu stürzen und ihn zu suchen. So begann ich heute in der Zehnuhrpause mit dem Aufräumen und machte bis zum Abend ausser Konversation nichts anderes. Etwas, was sonst nur in den Schulferien vorkommt.
    Ich habe den Test gefunden. Und im selben schwarzen Loch noch einiges mehr.

    Ich komme auf dich zu

    Seit Killerphrasen in Verruf geraten sind, bekommt engagiertes Personal auf Vorschläge und Nachfragen die Antwort: „ich komme auf dich zu.“
    Der Mann und ich, die wir uns wahrlich in sehr verschiedenen Arbeitswelten bewegen, haben uns beim Abendessen problemlos auf fünf Grundbedeutungen dieses Satzes geeinigt:

  • Ich werde nichts unternehmen.
  • Ich weiss, dass ich wissen sollte, worum es geht.
  • Ich könnte herausfinden, wovon du sprichst. Vielleicht später.
  • Ich will, dass das vergessen wird.
  • Frag nie wieder.
  • Amuse Bouches der Archivierung

    Während ich nicht nennenswert selber blogge, empfehle ich:
    Tafelbilderpool via Lehrer Rau:
    Amüsant, nachahmenswert und lehrreich. Epik, Dramatik, Lyrik in Lehrer Raus gestochener Schrift und anderes von anderen. Zum Beispiel Angela in Wechselpräposition und dann und wann ein weisser Elefant.
    Social Bookmarking via Lehrer Spannagel:
    Er macht mit seinen Schülern virtuelle Seminare und bloggen tun sie auch. In seiner schönen Einführung lobt er ihre bisherhigen Beiträge, erklärt danach wie’s weiter gehen könnte und gibt am Ende seiner Freude auf weitere Postings Ausdruck. So hätte ich das als Schülerin sehr gemocht.
    Herr Robes sammelt immer und immer weiter Ideen:
    Er schreibt nicht nur über neue Archivierungsmöglichkeiten, er führt selber ein Archiv erster Güte. Sein Blog ist ein Siebenmeilenstiefel der internetten Lernentwicklung. Ein Blog, das Bildungsentwicklung nachvollziehbar macht und eines der wenigen, das auch die Berufsbildung im Auge behält.

    Ordentlich

    Ich bewundere Kolleginnen und Kollegen, die Ordnung halten und das eine beenden, bevor sie das andere beginnen. Im Moment habe ich drei mit Schule überstellte Tische und bräuchte einen vierten zum Decken.
    Tisch 1
    Tisch 2
    Tisch 3
    Aber das neue Semester wartet, korrigieren muss ich auch und über Piatti möchte ich halt doch noch etwas machen. Schwer vorstellbar, dass von ihm nie wieder neue Eulen kommen.