Mitten unter uns

Ich habe viele Jahre bei einem Integrationsprojekt des Roten Kreuzes mitgemacht. Es hiess und heisst noch „mitten unter uns“. (Der Mann im Haus nannte es fälschlicherweise immer „Kraft durch Freude“ und ich fand das gar nicht so schlimm wie man meinen könnte, aber darum geht es jetzt nicht.)
Ich habe die Fortschritte der Kinder stets so gut dokumentiert, wie es zwischen Pizzateig und Abfalltrennung, Verkehrsregeln und Hausaufgaben eben ging. Einige Kinder haben es geschafft sich soweit zu integrieren, dass ihnen mindestens die Türen zu den unteren Stockwerken offen stehen. Andere sind weiter gezogen und ich habe den Kontakt verloren. Wieder andere sind in Sonderklassen oder gar in Heimen gestrandet. Ganz abgestürzt ist meines Wissens keines meiner Mitten-unter-uns-Kinder.
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Wenn ich meine Unterlagen heute anschaue, muss ich lachen über meine Pedanterie in solch einem erklärt niederschwelligen Projekt. Was ich notiert habe, ist hingegen oft zum Heulen. Am 17.10.2003, am 24.10.2003, am 31.10.2003 und am 7.11.2003 hat ein Kind immer geweint, kaum hatte es die Türe hinter sich geschlossen. So lautlos, wie ich es vorher und nachher nie erlebt habe. Es stand einfach stocksteif, während die Tränen in kleinen Bächen endlos an ihm herunterrannen und schliesslich auf den Boden tropften. Trost und Ablenkung war durch die heldenhafte Yugiho-Charaktere möglich, allen voran durch den weissen Drachen, welchen ich jeweils via Scanner von Karten- auf A4-Format vergrösserte. Am 14.11.2003 hat das Kind erstmals seit einem Monat nicht geweint, da hatte ich es nämlich von der Schule abgeholt und bin mit ihm Yugiho-Karten-Mäppchen kaufen gegangen. Am 21.11.2003 hat es dann wieder geweint.
Im Dezember 2003 wurde die Lage einfacher, weil ich endlich begriffen hatte, dass das Kind in jedem Raum volle Beleuchtung brauchte. Die Lehrerin hingegen unterrichtete von da an hauptsächlich bei Adventskranz-Kerzenlicht und das Kind schmiss kurz vor Weihnachten mit dem Locher eine Scheibe des Schulzimmers ein. Es wurde im Februar darauf in eine Sonderklasse in einem anderen Quartier überwiesen.

Besuch in der Turnhalle

Zu meinen Schuljahreszielen gehört, dass ich bis im Juni alle Lehrerinnen und Lehrer meiner Abteilung einmal im Unterricht besucht habe. Und zwar ohne Krisenintervention, ohne Reklamation, sondern einfach zum Mitmachen.
Heute war ich beim Sport. Sportunterricht ist nicht abhängig von der Art der Berufslehre, er ist nicht freiwillig sondern steht sogar samt Lektionenzahl im Berufsbildungsgesetz. Und das ist aus vielen, vielen Gründen absoult richtig.
Rückblick auf heute Nachmittag:
Top – Der Sportlehrer. Man merkte ihm das Feuer eines begeisterten Trainers an. Daneben war er sehr gut organisiert und dokumentiert und drückte mir einen perfekten Lektionenplan in die Hand. Wunderbar.
Flop – Die Absenzenliste. Lauter Kartoffeln. Auch heute wurde von einer nicht geringen Anzahl Lernender geschwänzt, die vorher normal am Unterricht des Tages teilgenommen haben.
Was ich überdenken werde: Ich habe im laufenden Stundenplan die Sportstunden in voller Absicht ans Ende des Schultages genommen. Dies, damit die Lernenden ihren Tag mit Bewegung beenden können, ohne danach noch für zwei Stunden Rechtskunde ins Schulhaus zu müssen. Aber es scheint schwieriger, den Sportunterricht – in dem es keine Noten gibt – ernst zu nehmen, wenn es die letzten Schulstunden sind.

Die Farbe des Donnerstags

Die Wochentage treten in meinem Hirn unter ihren Abkürzungen Mo, Di, Mi, Do, Fr, Sa, So auf. Ihre Schrift ist schwarz und wahrscheinlich eine Helvetica, jedenfalls serifenlos. Ich glaube in Kindertagen waren sie noch mit Füller und von Hand geschrieben. Eine Farbe jedoch hatten sie schon immer.
Der Donnerstag zum Beispiel war die letzten zehn Jahre lang braun. Einmal mehr Taupe, einmal mehr Zimt, aber immer ein Braunton. Ausnahmen gab es nur, wenn die Bezeichnung des Tages unwichtig war, wie zum Beispiel in den Ferien.
In den letzten beiden Wochen ist nun die gewohnte Donnerstagsfarbe verschwunden. Mo (grelles Gelb) und Di (in einem Rotton), Mi (Zwetschgen-Blau) und Fr (Grünton) sind unverändert. Dass Samstag und Sonntag ab und zu die Farbe wechseln ist normal.
Ich hätte das Changeant eigentlich früher erwartet, zum Beispiel damals, als ich mich aus dem aktiven Buchhandel zurückzog. Dort war das nämlich ein atemloser Tag, die Teilzeitler vom Wochenanfang waren nicht mehr, die vom Wochenende noch nicht voll da, und mindestens ein Lernender war in der Schule. Aber alle Lieferungen und Botengänge mussten gemacht werden, weil wir bis dann die Ware der Woche beisammen und fakturiert hatten. Für die Geschäftskunden und Bibliotheken war’s der letzte Arbeitstag, an dem sie noch richtig viel verlangten. Egal wann ich anfing oder aufhörte, der Donnerstag war immer zu kurz.
Die letzten paar Jahre habe ich donnerstags fünf Stunden unterrichtet und eins davon abends Weiterbildung gemacht, was beides nichts an der Farbe änderte.
Seit dem neuen Schuljahr, seit ich an diesem Tag weder unterrichte noch bediene, ist der Donnerstag ein anderer geworden: hellblau mit blendend weissen Flecken, wie ein Sommerhimmel.
(Beim Gute-Nacht-Sagen ermittelt: Beim Kind sind die Tage auf einer – nicht gerade hängenden! – Holzleiste aufgenagelt und die Termine schweben unten dran in der Luft. Viel wichtiger denn die Tage sind Monate und Jahreszeiten, welche sich das Kind im Kreis angeordnet vostellt. Die Abstände sind ungleich, Weihnachten und Sommerferien liegen einander direkt gegenüber. Zeugnisse, Feste, Bravo-Erscheinungstermine und Ausscheidungsspiele kommen in diesen Kreis, Farben sind nicht relevant. Mit der realen Handy-Agenda des Kindes hat seine Vorstellung aber genau so wenig zu tun wie meine Farben mit meinem Outlook.)
Hirne sind halt eigenmächtig.

Wochenrückblick

Am Montag endlich wieder Rückentraining, dringend nötig. Unterricht im 1. Lehrjahr und im 3. Lehrjahr. Besprechung der Unterrichtsbeurteilung im 1. Lehrjahr. Gutes Gespräch, neue Gruppenarbeits-Methoden festgelegt.
Am Dienstagmorgen ein Meeting, welches mich hässig gemacht hat, besonders der informelle Teil. Am Abend dafür eine sehr konstruktive Sitzung (Freiwilligenarbeit kann so erholsam sein). Kein Unterricht, nur Büro.
Am Mittwoch Fall der Buchpreisbindung. Unterricht im 1. Lehrjahr und im 2. Lehrjahr. Das Thema war natürlich gegeben, die Lernenden wollten wissen, wie es jetzt mit der Branche weitergeht. Aber ebenfalls – pragmatisch wie stets – genaustens informiert werden, welche von ihren Schulunterlagen sie jetzt wegwerfen und vergessen könnten? Besprechung der Unterrichtsbeurteilung, keine Klassen-Beschlüsse, nur individueller Massnahmen.
Am Donnerstag 2. Lehrjahr und 3. Lehrjahr. Wieder Thema Buchpreisbindung. Was man denn sagen solle, wenn man von der Kundin in der praktischen Prüfung gefragt würde, wie viel Rabatt sie auf 21 Maria Stuart im Reclam bekäme? Ebenfalls eine angenehme Unterrichtsbesprechung im 2. Lehrjahr und doch noch genügend Zeit für meine Einführung in die Verkaufspsychologie. Meine Grundlagen liefern immer noch Underhill und Winter.
Am Freitag Exkursion zum Salon du livre. Die war freiwillig, die Kollegin vom Französischunterricht führte sie durch (ich konnte nicht mit). Die Exkursion schien sehr beliebt zu sein, manche Klassen waren so geschrumpft, dass die Kollegen ganz entsetzt fragten, ob sie denn überhaupt unterrichten sollten? Aber sicher! „Der Unterricht wird durchgeführt“ ist immer das übergeordnete Ziel.
Am Samstag 1.5 Kilo Pommes Frites, 1 Kilo Rindshackfleisch in Hamburger-Form gebracht, zwei Liter Softdrinks, zwei Liter Wasser, ein Sack Bärentatzen, vier Tüten Popcorn, ein James-Bond-Film, ca. 15 BRAVOs, ca. 30 Mickys, = eine Geburtstagsparty für Jungs.
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Unmündigkeit. Selbstverschuldet?

Neben Fachwissen und Fairness gehört vor allem Anregung zur Selbständigkeit zum Lehrauftrag.
Und ich muss zu meinem Bedauern gestehen, dass ich noch nie eine Klasse hatte, von denen mir alle folgen konnten. Frage ich: „Eine Lehrerin kommt in den Laden und möchte wissen, ob sie auf dem Klassensatz Jugend ohne Gott ein Lehrerfreiexemplar…“ dann schreibt immer eine: „Das entscheidet der Chef.“ Wenn ich diese Antwort verunmögliche, indem ich anders formuliere: „Ihr iPod, den Sie zu Weihnachten bekommen haben, ist kaputt. Sie gehen damit ins Elektrogeschäft und es zeigt sich, dass Sie ihn einschicken lassen müssen. Bitte notieren Sie das otimale Reklamationsgespräch nach den Prinzipien von Meid,“ notiert mindestens eine: „Das macht mein Bruder für mich.“ Selten kommt es auch vor, dass ich Entscheidungsgrundlagen fordere und „ich befrage Gott im Gebet“ als Antwort bekomme. So lerne ich – mehr noch als von der Weltpolitik – von meinen Schülerinnen und Schülern, dass Aufklärung nur für einen Teil der Menschheit geht.
Aber ich bin ja eine Überzeugungstäterin. Wie die meisten Kollegen.

Zum Schulschluss ein Rundgang

Produktekommnikation war heute das Thema in der Verkaufskunde: sachbezogen, kurz und klar.
1. Blick
Eingestiegen sind wir mit einem Vergleich der verschiedenen Weihnachtsbriefe mit Empfehlungen, die Buchhandlungen in dieser Zeit unter die Leute bringen. Das war interessant, weil es in der Schule zur Konkurrenzangelegenheit wird.
1. Blick
Daran ändern auch Buchhandelsketten nichts. Selbst Lernende, die zum gleichen Konzern gehören, grenzen sich gern von den anderen Filialen ab. (Ich bin ohnehin der Überzeugung, dass Lehre ohne Identifikation nicht möglich ist.)
1. Blick
Danach haben wir eine Schaufenster-Tour gemacht. In kleinen Gruppen natürlich. (Sollte ich je den guten Ruf unserer Schule ruinieren wollen, muss ich im Dezember mit analysierenden Azubis die Buchhandlungseingänge versperren.)
1. Blick
Es ist ein schöner Rundgang geworden. Ob er auch seinen Zweck erfüllte, gucke ich dann nach der Hochsaison. Jetzt ist zuerst einmal schulfrei.

Testkorrekturen

Ich korrigiere an die 1000 schriftliche Tests im Jahr. Und je-des-mal frage ich mich, ob ich nun
a) pro Frage korrigieren
b) pro Person korrigieren
soll.
Wenn ich pro Frage korrigiere hat das den Vorteil, dass meine Abweichungen gering sind und die Gefahr der Interpretation minim, weil ich kaum merke, wessen Test ich in der Hand habe. (Ich und wohl auch andere Lehrerinnen und Lehrer interpretieren bei starken Lernenden eher die richtige Antwort in ein Gekritzel als bei schwachen. Es ist ein ständiger Kampf gegen sich selber, das nicht zu tun.)
Wenn ich pro Person korrigiere, hat das den Vorteil, dass meine Kommentare passend und für die Lernenden hilfreich sind. Hingegen lässt meine Konsequenz und die Konzentration, die ich brauche, um die Antworten aller gleich zu bewerten, nach. Ich muss die Beige noch einmal in der Gegenrichtung durchgehen, um meine Abweichungen zu bemerken. (Ich korrigiere auf eine Kommastelle und zum Glück ist das bei den meisten Usus. Denn Kolleginnen und Kollegen die auf x Kommastellen hinter der Note korrigieren, gaukeln eine Präzision vor, die es nicht geben kann.)
Und weil ich nach 10 Jahren immer noch nicht weiss ob a) oder b), wechsle ich mit beiden Methoden einfach ab. Vielleicht ist sie das ja, die Antwort.

Hausaufgaben in 5 Schnipseln

Hausaufgaben heute, 17:00 Uhr

Hausaufgaben sind in der Schweiz eine Institution. In den meisten Kantonen ist sogar festgelegt, wie lange Hausaufgaben in welcher Klasse dauern sollen. Also als das Kind in die 4. Klasse kam, sagte die Lehrerin am Elternabend: „Ab jetzt gibt es 20 Minuten Hausaufgaben.“ Die bestanden darin, dass sie „20 Minuten Lesen“ oder „20 Minuten Rechnen“ in diesem und jenem Buch aufgab, ohne jemals zu prüfen, ob es gemacht worden ist. Andere Lehrerinnen dieser Schulstufe haben die Hausaufgaben als zentrale Herausforderung bezeichnet und benotet.
Hausaufgaben sind meiner Erfahrung nach in der Schweiz ein häufigeres Gesprächsthema als in anderen Ländern. Nachdem ein Schüler auf dem Familienfest die Fragen nach seinem Alter und nach der Klasse, die er besucht, beantwortet hat, wird er oft noch gefragt, ob er denn „seine Aufgaben auch immer schön mache?“ und wenn er „ja“ sagt, besteht die Chance, dass eine Greisin mit zitternder aber gepflegter Hand ein kleingefaltetes Nötlein für ihn aus dem Handtäschchen klaubt.
Meine Einstellung zu Hausaufgaben ist eine unentschlossene. Einerseits bezweifle ich, dass das eigene Heim ein guter Lernort ist. Dort werden Hausaufgaben leicht zu einem Ritus der Eltern, zu einem Quell unablässigen Streits oder unüberwindbar, weil vielen Kindern die nötige Ruhe, das nötige Material und die nötige Hilfe fehlt. Gut ausbalancierte Aufgabenbewältigung ist eher selten anzutreffen. Deshalb halte ich Schulen und verwandte Institutionen für den besseren Ort, selbständiges Arbeiten zu lernen.
Andererseits bin ich natürlich Lehrerin an einer Schule, in der die Lernenden weder Gelegenheit noch Platz für die Erledigung ihrer Hausaufgaben haben. Ich erwarte aber, dass sie die Aufgaben machen und habe die Macht, sie zu bestrafen, wenn sie diese nicht oder leidlich abliefern. Doch ich unterrichte ein Fach, in welchem ich nur wenig Hausaufgaben geben muss, weil Selbständigkeit, Zeiteinteilung und das Erstellen von Arbeitsjournalen ja in der Lehrfirma vermittelt wird. Das entbindet mich von vielem.

Kleine Reflexion zu kurzer Stunde

Wie gestern beschrieben, habe ich heute ausserhalb der Planung das Thema Nürnberger Prozesse „eingeschoben“.
Ich hatte die Einführung über Aufarbeitung der Vergangenheit aus historischer und rechtlicher Perspektive bereits im Zusammenhang mit Armenien gemacht, ich musste nur noch anknüpfen. Aber wie es so geht im Lehrerinnenleben, dauerte das vorherige Thema länger und es blieben kaum 40 Minuten für die ganze Aktion. Doch wollte man immer alles, was nicht richtig aufgeht, abblasen, könnten Lehrpersonen gleich ihre Sachen packen.
Ich habe die SPIEGEL-Geschichte „Das Weltgericht“ verteilt, weil die leicht zu lesen ist. Dazu habe ich ein ganz einfaches Arbeitsblatt abgegeben. Das Lernziel war, klüger und für die Probleme und Chancen internationalen Rechts sensibler zu werden. Wir haben eine Zeit vereinbart, zu der ich das Thema mit einem Schlusswort zu den Aktualitäten und Neuerscheinungen abrunden würde.
Es gab drei Möglichkeiten, alle in Einzelarbeit.
Niveau 1: Zweieinhalb Seiten lesen und Fragen 1-5 des Arbeitsblattes beantworten.
Niveau 2: Vier Seiten lesen und Fragen 1-11 beantworten.
Niveau 3: Den zwölfseitigen Artikel lesen und die Fragen beantworten, die einen interessieren.
Mit den eher Langsamen habe ich persönlich kurz über die Ziele gesprochen. Eine Lernende hatte den Artikel bereits gelesen, auch das kommt vor. Ihr habe ich den neusten SPIEGEL zur Lektüre gegeben, unter anderem wegen der mehrheitlich empörten Leserbriefe.
Gelungen:

  • Interesse geweckt.
    Ruhige, konzentrierte Stimmung.
    Fast alle haben (gerne) Fragen beantwortet.
  • Missraten:

  • Zeitplan.
    Erfolgskontrolle (Feedback).
    Abschluss (zu gehetzt).
  • Gelangweilt hat sich glaub‘ ich niemand, immerhin. Selber bin ich zufrieden, wenn nur eine/r oder zwei gemerkt haben, dass diese Probleme nicht „von damals“ sind. Dass juristische Haftbarkeit nicht dort am geringsten sein darf, wo die Macht am grössten ist. Lernende reagieren nicht besonders gut auf gewichtige Problemstellungen. Aber sie reagieren auf Grundsatzfragen der Gerechtigkeit, deshalb lohnt sich der Aufwand.

    Immerhin

    Als der
    Krieg ausbrach
    war niemand da
    ihn wieder
    einzufangen
    erst recht niemand
    der ihn bestrafen
    konnte, für
    seine Untat,
    seinen Ausbruch
    Da niemand da war
    den Krieg einzufangen,
    wollten – oder mussten
    einige vor ihm fliehen
    Dann waren doch
    welche da
    die straften
    i m m e r h i n
    und hängten
    die Fliehenden.

    Siegfried Essmann (meines Wissens naiver Gedichtemacher der Arbeiterbewegung, ansonsten unbekannt.)

    Morgen klaue ich der Betriebswirtschaft eine Stunde Unterrichtszeit. Weil ich gemerkt habe, dass die Diskussion um die Aufarbeitung von Völkermordvergangenheit – einerseits durch den Türkeibesuch unseres Justizministers, andererseits durch den Literaturnobelpreis für Orhan Pamuk – für viele interessant aber unklar ist, will ich auf einen Wendepunkt der Geschichte eingehen.
    Die Nürnberger Prozesse sind in Form von wichtigen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt präsent. Doch der schnelle Blick durch die Medienbrille wird den Lernenden Motivation und Selbststudium abverlangen. Der Erfolg der Stunde ist also äusserst ungewiss, dass einzelne sich nicht darauf werden einlassen können, hingegen sicher. Aber als Lehrerin für Buchhandel kann ich versuchen, was eine Geschichtslehrerin sich kaum erlauben könnte. Und diesen Spielraum nutze ich gern, weil jüngere Generationen – shift. beschreibt es immer wieder treffend – oft unerwartete Beiträge liefern.
    Auch wenn ich in der Berufsfachschule wenig Zeit habe und auch wenn mir manche Aussage das Blut in den Adern gefrieren lässt, gilt in meinem Unterricht das Prinzip der Bücher: kein Thema ist kein Thema.