Schlecht geordnete Gedanken zur Toleranz

Für mich gehört das Lesen von Blogs nicht minder zum Bloggen denn das Schreiben in solchen. Um Beiträge und Kommentare wie die zur Toleranz (z.B. bei Liisa) zu lesen, gebe ich gerne ein paar Stunden Schlaf her.
Manchmal versuche ich, mich einem gesetzten Thema zu nähern und scheitere. Bloggen ist für mich eine authentische Angelegenheit und sobald ich mich anhänge, will ich zwanghaft originell sein. (Ich wäre niemals fähig, einen Fragebogen ehrlich zu beantworten.)
Wenn mich eine Thema schon vorher argumentativ beschäftigt hat wie die Mohammed-Karikaturen oder Banlieu, kann ich leicht und offen darüber schreiben, auch wenn es ganz viele andere ebenfalls tun. Unbekanntes oder meinungstechnisch Abgeschlossenes wie eben Toleranz kann ich bloggisch weniger gut aufgreifen. Aber drei Bemerkungen dazu habe ich nun doch:

  • Die Toleranz gegenüber Intoleranten habe ich mir (vor allem dank Freiwilligenarbeit im Quartier) abgewöhnt und fahre gut damit.
  • Zu meinen jahrelangen Stammgebieten der Intoleranz (= Rassismus und Ungelichbehandlung von Frauen) ist mit dem Kreationismus leider noch ein drittes hinzugekommen. Es ist anstrengend für mich als Hippiekind auch noch Gläubigen gegenüber intolerant zu sein, ich hätte gern darauf verzichtet. Aber in der Volksbildung geht Naturwissenschaft vor. Immer. Sonst können wir auch gleich zumachen und unsere Leute schön auf Koranschulen und Klöster verteilen.
  • Übrigens etabliert sich „Toleranz“ im Schulbereich schleichend als Schimpfwort. Ich schätze, im Moment befindet sie sich auf halbem Weg zur Mutter aller pädagogischen Reizwörter, der Antiautorität. Wenn es so weitergeht, wird die Toleranz im Schulwesen in wenigen Jahren nur noch von wenigen Ewiggestrigen betrieben werden.
  • Nachrichten aus der gewonnenen Stunde

    Ich brauchte sie, um ein Wunderwerk von wahrer Liebe ein zweites Mal zu lesen. Ja, sicher, ich werde es besprechen. Im Autobiografischen erkenne ich stets, dass es den Menschen immer schon an Zeit gebrach und sie dennoch unbegründet häufig und ohne Aussicht auf Erfolg geschrieben haben.
    Dass zunehmende Geschwindigkeit die hemmungslos unreflektierte Schreiblust fördert ist nur ein gern gehörter Irrtum.
    ***
    Heute Nacht habe ich darüber nachgedacht, warum ich ein erstes Blog begann. Idealismus? Geltungsdrang? Experimentierfreude? Es ist etwas mehr als drei Jahre her und ich habe es schon vergessen. Das einzige, was ich noch weiss, sind meine Argumente aus der Sitzung für dieses erste Buchhandlungs-PR-Blog:

  • Ein Blog ist abrufbar, darum ist es weltbürgerlich
  • Ein Blog ist kommentierbar, darum ist es demokratisch
  • Ein Blog ist billig, darum liegt es drin
  • Ein Blog ist gegenwärtig, was zählt ist heute
  • Ein Blog ist chronisch, darum hilft es bei Jahresberichten
  • Ein Blog ist ein Notizzettel, darum spart es Papier
  • Ein Blog ist legitim persönlich, man muss nicht immer ans Zielpublikum denken
  • Ein Blog ist der Anlass zum Alltagsbewusstsein
  • Ein Blog ist ausbaubar
  • Ein Blog ist nicht nötig
  • ***
    Das allererste Blog mit Buch-Content, welches ich freudig gefunden und begeistert gelesen habe, war netbib. Leider ist das Archiv für meine nächtliche Nostalgie nicht verfügbar. Der brave Archivar denkt an sich selbst zuletzt.

    Fragen beim Warten auf das Ende

    der 60-Grad-Wäsche.
    Wie lange kann es ein Blog ohne Update geben? Ist es zu verantworten, dass ich noch nie in My Space war und seit Monaten auf nichts mehr geklickt habe, worauf YouTube stand?
    Und all’ die schönen Maltes und Ingos und Maries und Kerstins, die bei flickr Wunderbares unternehmen und in bezaubernden Ländern intelligente Sportarten ausüben, wenn sie nicht gerade an einem echt urbanen Ort eine erfolgreiche Lesung durchführen – manifestiert sich hier der Komplex der Schweizer gegenüber Deutschen?
    Und wenn die Zeit so rasch vergeht, dass Blogger, die gerade eben geheiratet haben, schon den dritten Hochzeitstag begehen und ein neues Kind in ihrem Wäschekorb liegt – was passiert eigentlich mit Blogs, wenn Blogger sterben? Sind wir nicht alle ziemlich gleich alt?

    3 von 1000 Gründen nicht zu bloggen

  • Zum Beispiel nie darüber, dass ich dem Kind seinen Gameboy in die Ludothek zurückgebracht habe, auch wenn es witzig war. Weil sonst jemand denken könnte: Jetzt tat die immer so, als wäre das Kind einigermassen selbständig und dann reicht es ihm nicht einmal, sein Zeugs rechtzeitig in die Ludothek zu bringen und Mami muss. (Kategorie: Ruf als Erzieherin.)
  • Zum Beispiel über mein politisches Engagement und die Politikerinnen, die ich unbedingt ins Parlament gewählt haben will. (Kategorie: Polit-PR, mies getarnt.)
  • Und überhaupt. Es gibt Abende, da hätte ich so viele Ideen für Blogbeiträge aber auch so viel pendent aus der Freiwilligenarbeit, dass ich mich gar nicht traue meine Anwesenheit im Internet bekannt zu geben, weil ich die dann vor meinem geistigen Ohr keifen höre „Unser Newsletter konnte sie nicht aufschalten, aber ja, ja, zum Bloggen hat sie immer Zeit.“ (Kategorie: Ruf als Gutmensch.)
  • Heute gedacht

    Die Bloggerinnen kommen, EMMA 3/4 2007
    Heute habe ich die neue EMMA aufgeschlagen und daraus hat überraschend Lyssa rausgeschaut. Der Artikel „Die Bloggerinnen kommen“ gibt Einblick in die Bloggerei und speziell die von Frauen. Die gezogenen Schlüsse werden Leserinnen wohl widersprüchlich finden, was bei diesem Thema schon mal ein guter Ansatz ist.
    Interessant war, dass es offenbar über die Studie der Ruhr-Uni Bochum hinaus ein Thema ist, wie Frauen und wie Männer bloggen. Für mich persönlich ist Bloggen eher ein Gender-Ding. Wer schreibt wie ein Mann, ist ein Mann, wer schreibt wie eine Frau, ist eine Frau. Ich bin öfter mit meiner – ebenfalls bloggenden – Mutter über das Geschlecht eines neuen Blogs uneinig, was zu nachhaltigen Debatten führen kann, obwohl Beweise natürlich in aller Regel ausbleiben.
    Lyssa wurde – Kollateralschaden der meisten Frauenerfolge – derart angegriffen, dass sie sich zu folgedem Urteil gezwungen sah:

    Männer bloggen einfach lauter, aggressiver. Immer nach der Devise; viel Feind, viel Ehr.

    (Ich hoffe, EMMA habe sie im Gegensatz zur Süddeutschen richtig zitiert.)
    Ich bin wie gesagt nicht besonders sattelfest in Sachen Geschlechtsmerkmale im Internet. Doch wenn ich mir die Häme in Erinnerung rufe, die Lanu (von der ich jetzt einfach mal annehme, dass sie eine Frau ist) in der Dotcomtodgeschichte entgegenschlug, so scheint mir Lyssas Urteil nachvollziehbar. Die damaligen Entgleisungen wirkten auf mich ähnlich und männlich, aber eben www-männlich. Vielleicht bräuchte ich neben „Sex“ und „Gender“ auch noch ein „Virtual“, weil im Netz sowohl biolgoisches wie gefühltes Geschlecht nach Bedarf geändert und vom User verschieden gelesen werden kann.
    Übringens ist diese EMMA auch sonst die Lektüre wert, besonders die heroische Titelgschichte über Ségolène Royal und die beiden Essays über die Kinderfrage von Iris Radisch („Der Preis war zu hoch“) und Annette Antons („Mein Leben als Mann“).

    They have their exits and their entrances;

    (…) 200 million people have already stopped writing their blogs.

    Everyone thinks they have something to say, until they’re put on stage and asked to say it.

    sagt Gartner Analyst Daryl Plummer BBC. Via die schöne Sammlung 100 things we didn’t know last year. Entdeckt dank slashdot.
    ***
    Ist Zukunftsangst irrational?

    Nicht per se. Wenn Sie etwa in Israel wohnen und die Reden des iranischen Präsidenten hören, ist Zukunftsangst durchaus berechtigt. Auch ein aidskranker Dorfbewohner in Simbabwe hat allen Grund, düster in die Zukunft zu blicken. Das Seltsame ist das düstere Zukunftsbild der Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht, die aber die Apokalypse durch Mobilfunkantennen fürchten.

    sagt Dirk Maxeiner im Interview mit dem heutigen Migros Magazin (klick PDF, dann im Dropdown auf „Interview 16-19“). Er ist Mit-Autor des demnächst erscheinenden Buches Schöner Denken und Teil des Duos Maxeiner und Miersch. Beides Autoren, die sich – mehr oder weniger lesenswert – den Schattseiten der Weltverbesserung verschrieben haben. Das geht ja heut‘ nicht mehr ohne viel Hass auf sich zu ziehen.
    ***
    Und in Zeiten der Selbstdarstellung sollten wir uns auch ohne Jubiläen ab und zu der Helden erinnern, die der Menschheit den Anstoss zum Performen geliefert haben. Zum Beispiel Shakespeare. Ist eigentlich bekannt, wie viele Volltextsuchen inzwischen zur Verfügung stehen? Die Überschrift hier ist aus dem bekannten Monolog von Jaques in „As You Like It“ Act II, Scene VII.

    Réflexion e(s)t sélection

    Zwölf von unzähligen Blogbeiträgen, die ich aus naheliegenden wie mysteriösen Gründen gebookmarked habe:
    29.04.2003: Halböffentlichkeit, Aufmerksamkeit by Erratika
    05.05.2004: Streber und stolz drauf by Lehrerzimmer
    28.08.2004: Banditen by Ostblog
    13.09.2004: [was ist glück] by alles-wird-gut
    15.10.2004: Leichen pflastern ihren Weg by Frau Julie
    25.10.2004: über das Wasser by taberna kritika
    19.05.2005: Text-Praktikum by Anke Gröner
    21.12.2005: Die Fee by kaltmamsell
    29.12.2005: Die tägliche kleine Demokratie by Blog 14
    21.02.2006: 100%-Dilemma by niemehrschule
    05.09.2006: Der Bahnhof spät abends by apropos
    10.11.2006: Die Wolke by Hanging Lydia
    Viele, viele meiner Liebsten sind nicht mehr erreichbar – im Laufe der Jahre verschwunden im Netznirvana: Lilas Araber mit der Geige am Checkpoint, Lanus Erzählung über das verloren gegangene Kind –
    den japanischen Informatiker, der Hotelhandtücher fotografiert hat, find ich auch nicht mehr.
    Blogbeiträge bleiben im Kopf, wenn sie an etwas Bekanntes anknüpfen. (So funktionieren alle Hirne, das muss die Lehrerin wissen.)
    Und also sind für mich Weblogs geblieben, was sie von Beginn an waren: aktive und passive Meta-Tagebücher.
    Die Auswahl des Fremden ergibt das Eigene.
    (Keine bahnberchende Erkenntis, ich weiss. Jedes Büchergestell funktioniert so.)

    Nominated as a cuckoo’s egg

    Thank you very much for nominating me for the Edublog Awards Best Library/Librarian Blog 2006.
    It is a great honour for me.
    I’d just like to point out that I am a bookseller. As well I educate apprentices who have chosen this unprofitable but great profession usually because they love reading books and talking about it. A profession with a touch of everything: literature, science, investigation, consultation but also selling, buying, exhibiting, calculating – commercial stuff.
    I adore what librarians do, but it is not the same job booksellers do. If you want to vote a cuckoo’s egg in this category, you can vote for me.
    You have been warned now.

    Blogreferat beim AVP

    Heute Abend spreche ich beim Schweizer Treffen des AVP über Weblogs und ihre Einsatzmöglichkeiten im Verlags-Marketing. Dies ist nach Lehrpersonen, Sozialarbeitern und Frauen der Entwicklungszusammenarbeit mein viertes Referat zum Thema. Für mich sind Verlagspressesprecherinnen das „einfachste“ Publikum, denn Blogs sind trotz aller technologischen Entwicklung ein klassisches Textmedium geblieben.
    Ich freue mich sehr, eingeladen worden zu sein. Es geht um eine Einführung und die geht einfacher als ein Workshop. Workshops bedingen einfach „Dos“ und „Dont’s“ und da muss ich immer aufpassen, dass ich den Überblick nicht verliere und redundant rede. Allerdings habe ich punkto Sündenregister für das Betreiben von Corporate Weblogs mächtig an Standfestigkeit zugelegt.
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