Poesiealbum 4

Chamäleon
ACH RENN DOCH NACH DEM GLÜCK.
DOCH RENNE NICHT ZU SEHR.
DENN ALLE RENNEN NACH DEM GLÜCK.
DAS GLÜCK RENNT HINTERNHER…
ZUM ANDENKEN AN DEINEN… SASHA

1979: Sasha war der, mit dem ich „ging“.
2005: Er macht viel, z.B. Magnolia.
Letzter Kontakt: in Weblogkommentaren. (Ich hoffe, das geht i.O. mit dem Copyright.)
[Übrigens: Die Zeichnung durfte ich wünschen. Chamäleon war mein Lieblingstier.]

Meine Übungslektion

Heute Übungslektion mit Zuhörenden und Zuschauenden, die treue Mitleser (es sind ~ 33, herzlich willkommen nach hier und nach dort) aus früheren Hospitationsberichten kennen. Es lief gut, danke allerseits für das Daumen drücken.
Aber meine Mailbox birst (hoffentlich konjugiert man bersten so), meine Pendenzenberge kippen und abgewaschen ist auch nicht. Darum sollen sich die Ergebnisse erst einmal in Ruhe hinsetzen und wenn ich das auch kann, melde ich mich mit Kurzbericht und der Beurteilung von allen als PDF. Sollen die Lernenden ruhig auch sehen.

Poesiealbum 3

Blume
Wie ich die Welt will,
muss ich selber erst und ganz
und ohne Schwere werden.
Ich muss ein Lichtsrahl werden,
ein klares Wasser.
Und die reinste Hand,
zu Gruss und
Hilfe dargeboten.

1978: Meine Mutter.
2005: Sie hält sich dran.
Letzter Kontakt: Gestern.
[Jedes Kind hatte in der Steiner-Schule jährlich seinen Spruch, den es am Wochentag seiner Geburt vor der ganzen Klasse rezitierte. Das war 1978 meiner. Quelle weiss ich nicht mehr.]

Sekten

Lesen ist schön, lesen ist gut, lesen macht klug, lesen macht reden, lesen macht denken. Aber lesen macht mich manchmal auch fertig. Würde ich nicht so viel lesen, wüsste ich viel Schlimmes nicht. Aber dann wäre ich nicht ich, Frau Meier, die Amsel, wie mich Freunde begründet nennen. [Frau Meier hat zum Beispiel immer genügend warme Getränke und Erste Hilfe parat, falls der Bus aus der Kurve neben ihrem Haus kippen würde, und sie die Passagiere verpflegen müsste, was natürlich nie passiert. Ein ergreifendes Buch ab 5 Jahren.]
Heute war es erneut ein Bericht über Beslan, der für mich schwer erträglich war. Es ist logisch, jedes Massaker in jeder Schule beschäftigt mich als Lehrerin lange (mein Archiv über den erfurter Amoklauf ist ebenfalls grässlich). Auch das Bild von Sergei Grits zum Bericht von Alexander Schrepfer-Proskurjakov ist furchtbar. Es zeigt, wie die übrig Gebliebenen zum zweiten Mal ihren ersten Schultag beginnen. Inhalt des Berichts in der neuen WOZ (Nr. 03/05, S. 27), ist die enorme Zunahme an Sekten in Beslan und die Erzählung der Zuständigen für die Auszahlung an Hinterbliebene. Sie schildert, wie Eltern das dringend benötigte Geld direkt in die Hände der Sekte legen, noch vor ihren Augen.

Während vor dem 1. September [2004] in ganz Beslan nur sechs religiöse Vereinigungen und Sekten bekannt waren, stieg ihre Zahl nach dem Geiseldram auf über fünfzig. Erstanlich schnell tauchten in Beslan die Scientology-AnhängerInnen auf. Sie gaben sich zunächst als freiwillige PsychologInnen aus und konnte das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.

Bis zum heutigen Tage hätte ich mit dieser Gefahr nicht gerechnet. Aber es ist folgerichtig. Sekten sind, wo Verzweiflung ist. Sekten schlagen Kapital. Egal woraus. Egal.

Volksschule II

Ich stehe im Regen.
Aus prügeltechnischen Gründen hole ich diese Woche das Kind von der Schule ab. Und wie immer, wenn ich solcherlei mache, fühle ich mich unpassend und unmütterlich. Bei uns gibt es nicht viele superelterliche Eltern, was mir einerseits gefällt, aber was natürlich auch mühsam ist, zum Beispiel wenn man den Elternrat besetzen und sich am Elternabend oder am Elterngespräch ziegen sollte. Da fühlen sich nämlich eine Menge nicht angesprochen. Viele arbeiten Tag und Nacht (und oft dunkelgrau), viele Kinder leben bei Verwandten oder in Fortsetzungsfamilien, manche Kinder haben fünf oder sechs Geschwister. Aber die echten Schuleltern, die übrigbleiben, die sind waschecht. Bloss zwei Mal zehn Minuten mit anderen echten Müttern auf dem Pausenplatz in der Pfütze stehen und schon habe ich einen Katalog von Unterlassungssünden im Kopf. Und sollte ich jemals richtig Lust auf Zwietracht verspüren, brauche ich mich nur bei Schulschluss auf den Pausenplatz zu stellen und die Million Klagen über Räumlichkeiten, andere Eltern, andere Eltern anderer Nationalitäten, andere Kinder, andere Kinder anderer Nationaliäten und sämtliche Lehrpersonen (ausser den Pensionierten, die waren gut) zu supporten. Aber wenn ich keine Lust habe darauf und wortkarg werde, dann stehe ich halt doppelt im Regen.
There is no such thing as bad weather – only bad clothing.

Hospitation zum 6. und 7.

Heute war meine Lehrbegleiterin in meinem Unterricht und ich in ihrem. Ich weiss schon, warum ich sie gewählt habe. Sie kann besser unterrichten als ich. Und mir gefällt ihr Unterrichtsstil einfach gut. Und natürlich auch ihr Fach, die Literatur. Heute Morgen war die Kurzgeschichte dran. Günter Kunerts schauerlicher Zentralbahnhof und Kurt Martis knappes Happy end haben mich durch den ganzen Tag begleitet.
Ich glaube, ich eigne mich nicht sonderlich gut fürs Hospitieren. Erstens finde ich die Arbeit, die hinter einer Lektion versteckt ist, immer wieder beeindruckend und die Begeisterung der Unterrichtenden (meistens) mitreissend und erst noch tausend Dinge zum Nachmachen. Ich vergesse darüber die gezielte Beobachtung immer ein wenig. Und dann lenkt mich einfach das Lernen ab. Ich bin süchtig nach Allgemeinbildung und wenn ich Parboiled Reis in der Migros-Aktion sehe, dann überlege ich nicht, ob dessen Erwerb klug wäre, sondern wie das nun war mit dessen Herstellung.
So erging es mir auch heute. Während die Lehrbegleitung den narrativen, den deskriptiven und den argumentativen Stil in Form einer erfundenen Erzählung humorvoll aus dem Ärmel schüttelte, habe ich vor meinem geistigen Auge schon die Neuerscheinungen gestapelt, die darauf passen könnten. Narrativ und deskriptiv ist nicht so schwierig zu finden, aber könnte Markus Werners am Hang ein Beispiel für argumentativ sein? Eben, schnell weit weg mit den Gedanken und nicht auf die Didaktik geachtet. Aber vielleicht ist dies Beweis genug für didaktisches Geschick der Lehrbegleiterin.
Umgekehrt war die Lehrbegleiterin mit mir auch zufrieden, sie hat wahrlich nicht an Lob gespart. Und brauchen konnte ich es auch, denn mein Thema „Sammelrevers“ ist nicht besonders einfach zu vermitteln. Aber gleichzeitig, bei aller didaktischen Reduktion, eine nicht wegzudenkende Grundlage. Ich bin am „Sammelrevers“, dem Vertragswerk zur Sicherung der Buchpreisbindung in der Schweiz, schon mit diversen Methoden gescheitert.
Und einen Verbesserungsvorschlag hatte die Lehrbegleiterin auch: Die Leute im 1. Lehrjahr mehr mit Namen ansprechen. Werde ich machen. Mein Problem ist, dass ich Namen, Buchhandlung und Ausbildungsbetrieb gleichzeitig lerne, denn für die Nähe und Bedeutsamkeit meines Unterrichts ist es wichtig, schnell alle drei zu wissen. Aber den Lernablauf kriege ich nicht hin, manchmal fällt mir zu den Lernenden einfach ihre Buchhandlung, ihr Lehrort und ihr Sortiment ein, anstatt ihr Name. Aber ich kann schlecht jemanden mit „Luzern“ oder „Chinderbuchparadies“ oder „Allschwyl“ oder „Olymp & Hades“ oder „Medizin, Psychologie, Recht, Geschichte“ anreden.
Mein Hirn soll gefälligst in der richtigen Reihenfolge lernen: 1. Den Namen 2. Den Namen des Ausbildungsbetriebes 3. Den Namen des Chefs 3. Den Lehrort 4. Das Sortiment und die Spezialgebiete 5. Die Namen von Lernenden der gleichen Firma in anderen Klassen.
Ich wiederhole, Hirn, zuerst den Menschennamen merken!