Nachtzug nach Amsterdam

Vor einer Wochen haben die praktischen Prüfungen begonnen. Sie finden erstmals in den Buchhandlungen (und nicht mehr in der Schul-Buchhandlung) statt. Letzten Freitag habe ich über zwei Stunden eine ganze Prüfung (mehrheitlch fotografisch) dokumentiert und mit Freude festgestellt, dass wir wirklich ein gutes Drehbuch und einen passenden Zeitplan haben. Morgen sind noch einmal zehn Prüfungen, danach sind wir fertig.
Selber hatte ich keine Einsätze, meine grösste Herausforderung (als Chefexpertin) war die Verfügbarkeit. Als Ansprechperson für Lehrbetriebe, Expertinnen und die Lernenden hätte ich einfach weniger anderes zu tun haben sollen. Aber der Schulbetrieb lief völlig normal, zudem mussten Stundenplan und die schulischen Prüfungen fertig werden. Ich lief manchmal derart auf dem Zahnfleisch, dass ich mir während meines Unterrichts Dextro Energy verabreichen musste. Immerhin hatte ich stets genug dabei, um den Schülerinnen und Schülern auch davon abzutreten. (Klingt wie Werbung, aber das war einfach, was unsere Mensa führte.)
Morgen also noch einmal wie oben, am Dienstag dann eine andere Rolle, nämlich lauter Kadertermine. Abends ein willkommener Wechsel, denn dann steige ich mit einer unserer Abschlussklassen in den Nachtzug nach Amsterdam.
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Neunfingersystem

Jedes Mal, wenn ich mir in den Finger schneide, merke ich wieder, wie wichtig er für meine Arbeit ist. Meistens schneide ich mich in die Linke, weil die Rechte die Klinge hält; so auch heute. Leider reichte ein Pflaster nicht, es brauchte Stripes und Verband, um die Zeigfingerbeere festzuzurren. F, R, T, G, B, V auf der Tastatur müssen diese Woche anders bewirtschaftet werden, was alles müh- und langsam macht.
Sonst war der Sonntag sonntäglich, die französischen Wahlen sind meiner Meinung nach richtig ausgegangen und ich hoffe, mein linker Zeigefinger sei ein gutes Omen. Angeschlagen sind wir alle in Europa, manche sogar sehr, mit Narben ist auf jeden Fall zu rechnen. Aber der Mensch hat mehrere Finger und taugliche Verbände – damit sollte doch etwas zu machen sein.

Theaterliches

Die ersten drei Wochentage waren hier dramatisch:
Am Montag hat unser Theaterfreifach zum „Abend der offenen Kellertüre“ eingeladen. 12 junge Leute haben fast ein Jahr an den Improvisationen gearbeitet, immer in ihrer Freizeit, das meiste selbst geschrieben, einige Szenen sogar vollständig. Sie haben neben Schule und Arbeit Nachtschichten eingelegt, Krisen überwunden, Kostüme mitgebracht, CDs gebrannt, die Bühne – die nichts als ein spnnateppich belegter Kellerboden ist – zig Mal umgebaut. Das, was man der „heutigen Jugend“ eigentlich gar nicht zutraut. Wunderbar!
Und ich hatte je drei Lektionen Stellvertretung in zwei Klassen, die mich sonst nur eine (sehr straffe) Lektion vor der Nase haben, was beidseitige Umgewöhnung erforderte. Zumal ich versuchte, das Programm des Deutsch- und Literaturlehrers beizubehalten: Zuerst eine Lektion Haupt- und Nebensätze und dann zwei Lektionen Shakespeare: Romeo und Julia. In solchen Momenten bin ich der Steinersuche für die elenden Theaterproben und Rezitierereien verdammt dankbar.
(Und wie saumässig sich der alte Capulet seiner Tochter Julia gegenüber benommen hat – das hatte ich ganz vergessen. Also, wer in Sachen Vaterehre in Form Töchterjungfräulichkeit einmal etwas anderes lesen möchte als die deutsche Presse, der führe sich Romeo und Julia, dritter Akt zu Gemüte.)
Theatergarderobe vom 30.4.2012

Verlagsvielfalt heute

Ich kenne so viele Buchhandlungen und Sortimente, dass ich in der Regel nicht lange brauche, um zu finden, was ich suche, selbst wenn ich nicht weiss, was ich suche. Oft sind es Bücher zu einem bestimmten Thema, in das ich mich einlesen will. Ich gehe dafür in eine Buchhandlung, von der ich eine gut sortierte Abteilung erwarte. Oder ich suche Bücher für einen gern lesenden Menschen und gehe auch hier in die passende Buchhandlung, für Kinder in Kinderbuchhandlungen, für Journalistinnen in von politisch interessierten Buchhändlern geführte Sortimente. (Die gibt es zum Glück im Moment noch, auch wenn man dafür sicher weiter laufen muss als vor zwanzig Jahren.) Manchmal suche ich auch mehrere Titel für eine ganze Tischgesellschaft, dafür gehe ich in eine Grossbuchhandlung mit sogenanntem Vollsortiment. Wobei mir diese Art Buchschenken immer mehr verleidet, weil ich schon mehrmals in die Lage der unglücklichen Maggie in „Peter’s Friends“ geraten bin, remember?
Das Kind hatte letzte Woche Geburtstag und ich schenkte Bücher über China. Sie sind aus vier verschiedenen Verlagen, und als ich sie als Geschenk verpackte, merkte ich, dass sie ein gutes Bild zum heutigen Verlagsschaffen abgeben und gleichzeitig zeigen, dass Verlegertum überall Engagement bedeutet, nicht nur bei eigenständigen Kleinverlagen.
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Lustige Nacht

Unsere kleine – und irgendiwe doch unzerstörbare – Branche verbrachte eine amüsante letzte Nacht im Casinotheater in Winterthur (gähn). Arm am Beutel macht einfach originell. Aus der der Plane, die im Abstimmungskampf das Buchzentrum zierte, nähte man stabile Buchtaschen. Die Requisiten für Krogerus und Tschäppelers Bühnenschau transportierte der Spiel- und Läselade zum Preise eines Gratiseintrittes, weil die ja diesen praktischen Kleinbuch haben. Durch den Abend moderierten der Redaktor des Branchenblattes und der Geschäftsführer des Verbandes persönlich. Und da sie jeden im Saal kannten, professioneller, als alle Professionellen das gekonnt hätten. Die Ausbildungsverantwortliche machte als DJ furiose Stimmung, aufs Kleid gemalte Büchereule mit Headphones inbegriffen.
Noch gibt es keine Meldung zu den Ehrungen zu verlinken, heute haben alle ausgeschlafen. Deshalb vorab: Buchhandlung des Jahres ist sec52 (grad ohne Website, aber reich an Sortimentstiefe). Verlag des Jahres ist Lenos. Buchmensch des Jahres ist Peter Wille. Alles noch keine Berühmtheiten und eben deswegen preiswürdig.

Ein Merkblatt, das mir fehlt

Dafür, dass ich in einem friedlichen Rechtsstaat mit paradiesischem Anstrich arbeite, bin ich doch oft mit Gewalt konfrontiert. Bei meiner Erwerbsarbeit ist es am häufigsten autoaggressives Verhalten, bei meiner ehrenamtlichen Arbeit häufiger familiäre Gewalt. Aber ich habe in beiden Tätigkeitsfeldern schon beides erlebt.
Deshalb kenne ich zu der Gewalt-Thematik verschiedenste Merkblätter aus mindestens 20 Jahren. Zur Zwangsheirat zum Beispiel sind im Kanton Bern gerade wieder neue Leporellos erschienen (rechte Spalte), die ich bestellt habe, weil sie mir treffend scheinen. Zu Mobbing und Vergewaltigung gibt es ebenfalls gute Unterlagen für Jugendliche. Natürlich gibt es auch Merkblätter zu Gewalt. „Was tun bei Gewalt“ ist in den meisten Kantonen vorhanden und in zig Sprachen übersetzt. Aber diese Merkblätter setzen voraus, dass Menschen Gewalt als Delikt wahrnehmen. Mir ist noch nie eines begegnet, das ganz einfach darauf eingeht, dass Gewalt verboten ist. Ich wünschte mir vor allem für Schulen ein Merkblatt, das in einfacher Art (vielleicht auch mit Emblemen?) Folgendes aufzeigt:

  • Das Gesetz verbietet, dass jemand geschlagen und missbraucht wird. Wer jemanden schlägt oder missbraucht oder beides, kann hart bestraft werden. Wer geschlagen oder missbraucht wird, kann den Täter anzeigen, auf jedem Polizeiposten dieses Landes. Opfer haben ein Recht auf Hilfe, auch das steht im Gesetz.
  • Manche Täter wissen nicht genau, dass es dieses Gesetz gibt. Zwei Beispiele: Täter aus der Familie denken, das Gesetz gelte in der Familie nicht. Leute aus anderen Ländern meinen, das Gesetz gelte für sie nicht, weil sie in ihrem Heimatland ein anderes Gesetz kennen gelernt haben. Sie liegen beide falsch. Das Gesetz gilt für jeden und jede.
  • Die meisten Täter kennen das Gesetz. Und sie haben Angst davor. Täter wie zum Beispiel Schläger sind ja Feiglinge. Deshalb drohen sie dem Opfer mit Strafen, die für das Opfer noch schlimmer sind als die Schläge. Und darum schweigen die Opfer. Sie leiden still, werden verunsichert und krank, ihre Freunde werden immer hilfloser, ihre Beziehungen gehen kaputt, sie verlieren ihre Zukunft.
  • Das dient dem Täter und schadet ALLEN anderen Menschen. Deshalb sagt unser Gesetz: Gewalt richtet einen so grossen Schaden an, dass jeder, der etwas solches beobachtet, eine Meldung machen kann. Bei den Schulen ist es sogar so, dass sie es melden müssen, wenn sie bemerkten, dass jemand gefährdet ist.
  • Schulen, die eine Gefährdungsmeldung machen, handeln aus SORGE. Aber sie handeln auch, weil es ihre PFLICHT ist.
  • Ich glaube, dass vieles einfacher würde, wenn wir in den Schulen so etwas abgeben könnten.

    Buchhandelsticker

    Der Pegasus 107 ist erschienen: Mit Rückblick auf die vielen Veranstaltungen der letzten Monate, einem Bericht über Druck im Klassenzimmer (S. 7), Dampfablassen über schlechte Bücher (S. 21), Finger-Tipps zum Thema Bildsuche (S. 23), Gedichtinterpretation von „Ich saz ûf eime steine“ (S. 25) und mit den ersten Klassenfotos der Azubis im ersten Lehrjahr (S. 31).
    Und die USA haben Apple und die Verlage Hachette, HarperCollins, Holzbrinck, Macmillan und Simon&Schuster wegen Preisabsprachen bei E-Books verklagt.

    «Wir sind der Überzeugung, dass die Kunden als Folge dieser Vereinbarung für populäre Titel Millionen Dollar zuviel gezahlt haben», erklärte US-Justizminister Eric Holder am Mittwoch in Washington. [Quelle]

    Eine weitere Blüte aus dem Kapitel „Von der Konsumgesellschaft zur Informationsgesellschaft und zurück“.