Schulbeginn-Tagebuch

Die Buchhändlerschule in Bern gibt es inzwischen seit 93 Jahren. Wir sind heute Teil der kaufmännischen Schule, aber das waren wir zwischendurch immer wieder mal. Unser Schuljahr hat sehr gut begonnen. Die neuen Lernenden sind also der 31. Jahrgang, und sie erinnern mich wieder mehr an meine Generation von Buchhändlerinnen. Sie begründen ihre Berufswahl mit der guten Verbindung ihrer Interesse, sie waren auf der Suche nach etwas, „wo ich voll dahinter stehen kann“. Vielen haben an verschiedenen Stellen geschnuppert und fanden die Teams in den Buchhandlungen „relaxter“, „cooler“, „toleranter“ und entschieden sich teilweise auch deswegen für die Buchhandlung.
Heuer gab es hier erstmals seit einigen Jahren wieder eine Mitarbeiterbefragung. Es war sicher Zeit; aber mein Verhältnis zu derartigen Umfragen ist ambivalent. Da ich häufig und mit deren Auswertungen und dem Erarbeiten von Massnahmen konfrontiert bin, sehe ich mehr und mehr auch Schwierigkeiten. Zum Beispiel, wie lange man verhaftet bleibt in den Resultaten und Datensträngen der Vergangenheit.
Die verwandten und bekannten Kinder um mich herum sind auch gut gestartet. Die unter ihnen, die bald Semesterbeginn haben, brauchen höchstens moralische Untersützung, keinen Schulranzen mehr mit gespitzten Farben drin. Auch schön – führt mir aber das eigene Alter vor Augen. Übrigens auch die Azubis: Deren Eltern und Berufsbildner sind dieses Jahr erstmals mehrheitlich jünger als ich. Wenn ich mir jetzt noch die vielbesungene Gelassenheit aneigne, ergibt sich eine attraktive Perspektive.
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Nachtrag: Der oberste Chef hat wie alle Jahre, auch dieses einen Brief an uns Lehrpersonen geschrieben. Und mehr als das: Er hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass unsere Löhne besser werden. Danke sehr!

Schulanfang

Die Schule hat letzte Woche wieder begonnen, vorerst für die Lehrpersonen. Wir hatten unsere Treffen und Konferenzen. Die Leute aus der Schulverwaltung hatten sowieso keine Ferien, für sie ist zwischen April und August Hochsaison. Da reihen sich die Spitzenzeiten der Administration nur so aneinander, manchmal sind sie auch gleichzeitig, z.B. Prüfungen, Erstellen von Notenausweisen und die interkantonale Verarbeitung von Neuanmeldungen.
Ab morgen füllt sich unsere Berufsfachschule wieder mit neuen Lernenden. Überall auf unserem Gelände mit sechs Schulhäusern werden suchende Azubis anzutreffen sein und wir haben alles getan, damit sie auch finden. Ich mag die erste Schulwoche sehr: Plötzlich wird alles wahr: Aus Namen werden Menschen, aus Zimmernummern belebte Räume, aus Fächerkürzeln wird Unterricht.
Für meine Chronik per heute:

  • Abteilung Buchhandel: 91 Lernende (davon 28 Neue)
  • Abteilung Kundendialog: 91 Lernende (davon 39 Neue)
  • Seit wir 2011 die Abteilung Kundendialog eröffnet haben, haben wir 263 neue Stellenprozente generieren und
  • sieben neue Lehrpersonen anstellen können.
  • Sommerlektüre

    Dieses Mal fahre ich weg, ohne eine Literaturliste zu hinterlassen. Wie Safranski sagt: es gibt heute Bilder statt Worte.
    Die Bücher zur Linken werden wohl mehr vom Mann gelesen, „Das doppelte Lottchen“ rechts ist zum Vorlesen für die Nichte. Clark werde ich bestimmt nicht ganz schaffen und Izzo habe ich bereits gelesen, möchte aber nochmal. Daneben werde ich mich hoffentlich endlich wieder mehr bewegen und ab und zu versuchen, die Schule zu vergessen. (Was etwas schwierig ist, weil man ja in den Ferien auch den eigenen Unterricht vorbereitet.) Mal sehen.
    Meine Sommerferienlektüre 2014
    Guten Juli liebe, treue Leserschaft! Möge allen die Sonne scheinen.

    Lesen verlernen

    Seit einer Woche trage ich ein Interview der Sonntagszeitung mit Rüdiger Safranski herum (in gedruckter Form). Dies als Erinnerung, weil ich über Safranskis Bemerkung zum „sekundären Analphabetismus“ nachdenken wollte. Bisher hatte ich den Eindruck, dass viele Jugendliche nie richtig lesen gelernt hätten. Damit meine ich so, dass sie längere, nicht illustrierte, aber einfache (nicht etwa literarische) Texte soweit verstehen, dass der Inhalt hängen bleibt und bei Bedarf im Wesentlichen wiedergegeben werden kann. Dem ist ja oft nicht mehr so, das wissen alle, die unterrichten. Lehrpersonen von heute machen gescheiter Prezi als Prosa.
    Safranski geht weniger davon aus, dass das Lesen nicht erlernt worden ist, sondern davon, dass es verlernt wird.

    … da sind wir jetzt möglicherweise wieder in einer Revolution drin, deren Ausmass wir noch nicht begreifen können: Dass nämlich nicht mehr die Schrift und das Lesen die zentrale Rolle spielen, sondern das Bild. Bei der Bildkommunikation entfällt der abstrahierende Vorgang vom abstrakten Zeichen zur bildlichen Vorstellung im Gehirn, das Bild ist sofort da in unseren Köpfen, ohne Umweg über das Zeichen. Und wenn diese Fähigkeit zur Abstraktion nicht mehr regelmässig genutzt wird, verkümmert sie.

    Das habe ich so noch nicht überlegt. Aber wenn ich mich selber anschaue, ist es gar nicht so abwägig. Ich teile mir die Lesezeit zunehmend genauer ein und muss dabei alle Elektronik ausschalten und bei anspruchsvoller Lektüre häufiger mehrmals anfangen. Bei Presseartikeln kommt es sogar vor, dass ich sie nicht zu Ende lese, sondern den Sachverhalt einfach rasch google und mir so kein Wissen verschaffe, sondern bloss Information für den Moment.

    Sind Sie Pessimist?

    Keinesfalls. Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, kann man fast nur Optimist sein, allerdings mit viel Geduld. Man muss schon deutlich über die eigene Lebenszeit hinausblicken. Die Menschheit ist eine ausserordentlich erfindungsreiche Gattung. Unseren Nachfahren wird etwas einfallen, es wird schon irgendwie weitergehen. Freilich kann man auch nicht ausschliessen, dass der Faden reisst, dass die Fackel nicht mehr weitergetragen wird. Trotzdem: Pessimismus ist für mich etwas Wichtigtuerisches, weil man seine Nachkommen für Idioten hält. Eigentlich sind wir heute ohnehin alles Glückskinder, verglichen mit früheren Zuständen. Aber das nützt halt nichts, weil jede Generation auf dem Niveau des allgemeinen Wohlbefindens sich ihre eigenen Probleme macht.

    Und nochmal feiern!

    Gruppenhandyfoto Abschlussjahrgang 2014
    Brief an die Lehrerinnen und Lehrer
    Gestern hatten wir die letzte Feier unserer grossen Schule. In passendem Ambiente in Zürich konnten wir den allerersten Fachleuten Kundendialog ihr eidgenössischem Fähigkeitszeugnis überrreichen. Born on the 4th of July: A New Profession.
    Wir hatten die letzten drei Jahre eine intensive Zeit verbracht und die Abschidesgesten der Klasse waren wiederum rührend. Hier zuerst und passend ein Handybild, die Fotos vom Fotografen sind auf unserer Website zu finden.

    Abschluss feiern!

    Abschlussfeier Buchhandel 2014
    Abschlussfeier Buchhandel 2014
    Auch wenn ich im Voraus immer überzeugt bin, dass es sowieso nicht klappen wird, war auch diese Feier schön, vor allem wegen der originellen Beiträge der Lernenden. Den kurzweiligen und rührenden Text der Abschlussrednerin gibt’s dann im ersten „Pegasus“ des neuen Schuljahres zu lesen.
    Und Fotos gibt’s auf unserer Website. Die Jahrgangsbilder am Schluss der Fotogalerie gefallen mir besonders. Und auf das neue Buch, aus dessen Manuskript der Autor Guy Krneta zur Feier des Abends gelesen hat, freue ich mich auch. Die reden da drin wie meine Verwandtschaft und ich fragte mich während der ganzen Lesung, woher er die alle so genau kennt.

    Frühe Erkenntnis

    Wir haben ja praktisch keine Eidgenossen auf dem Fussballplatz. Wobei ich nie weiss, wer die überhaupt wären, weil alle, die den Begriff brauchen, diesen anders erklären. Sei’s drum. Gestern führte ich mit meinem fünfjährigen Neffen (Kind eines Migrationshintergrunds) folgendes Gespräch:
    Ich:
    Hast du das Spiel Schweiz-Honduras gesehen?
    Neffe:
    Nein, ich musste zur Halbzeit ins Bett.
    Ich:
    Aber du weisst, wer alle Goals gemacht hat?
    Neffe:
    Tscherddan Schatschiri. Aber sag Shakiri, wenn du mit Schweizern redest.