Geduld

Wandtafelnachricht zum Test
Gestern hatten die Lernenden des ersten Lehrjahres bei mir Test. Da Vorbildung und Geschwindigkeit innerhalb der Klassen sehr variieren, mache ich mit ihnen jeweils eine Abgabezeit aus. Bis zu diesem Zeitpunkt erwarte ich, dass es mucksmäuschenstill ist, damit die, die Zeit brauchen, diese ungestört nützen können. Wer fertig ist, kann ein (gedrucktes) Buch lesen, jedoch kein Schulbuch ausser Lektüre aus Literatur, Wissenschaft und Kultur (sog. LWK). Gestern sind einigen beim Warten fast die Augen zugefallen. Deshalb habe ich die Regel (wortlos) ergänzt. Die Klasse hat gelacht und jemand hat sich beim Hinausgehen sogar die Mühe gemacht, zu kommentieren (analog! Mit Kreide!).
Abends auf dem Nachhauseweg las ich in einer zerfledderten Gratiszeitung, dass sich Azubis von ihren Ausbilderinnen und Ausbildern vor allem Geduld wünschen. Ich weiss, solche Befragungen sind oberflächlich, aber ich glaube, hier stimmt’s. Wenn sie nicht geheuchelt ist, steht Geduld für Akzeptanz. Sie ist Ausdruck von Verständnis. Wer sie bekommt, kann sie besser aufbringen.

Wohnungsbesichtigung

Heute war hier Wohnungsbesichtigung. Da ich ungern Menschen auswähle – ich würde nie in einer Hausverwaltung oder im Personalwesen arbeiten – bin ich froh, allen sagen zu können, das wir zur Wohnungsvergabe nichts zu sagen haben.
Wenn man günstigen Wohnraum verlässt, dann kommt niemand, um sich einfach ein wenig umzuschauen, nichts von „doch, doch, das wäre ganz nett“, „hmmm – wenn das anders gestrichen würde…“ Da kommen Leute, die eine Wohnung dringend brauchen. Leute, für die die Besichtigung eine weitere Hoffnung und wahrscheinlich eine weitere Enttäuschung mit sich bringt. Gut möglich, dass auch Diebe und Landstreicher darunter sind, aber die Mehrheit ist ehrlich interessiert und in Platznot. Der gehetzte Äthiopier, der gleich wieder auf die Nachtarbeit rennt, die Frauen-WG, die überall sonst drei Mieten Kaution zahlen müsste, die kurdische Familie mit Schweizer Pässen, aber vielerorts chancenlos wegen des Namens, die albanische Familie, die sich schon im ganzen Stadtteil erfolglos beworben hat, die libanesische Familie mit Höhenangst, die ungarische Mutter mit Söhnen, die vielen Familien aus der Nachbarschaft, die ein zweites Badezimmer ersehnen.
Mir ist das alles gar nicht recht: Dass ich mir mehr leisten kann als diese Leute, dass nur eine Partei die Wohnung bekommen wird, dass wir ein so fremdenfeindliches Land geworden sind, dass wir nicht genügend Bewerbungsformulare für alle hatten.

Leergeschrieben

Nach drei Wochen Schreiberei bin ich leer. Ich schrieb Semesterpläne, Einleitungen, Regelungen, Bitten, Entschuldigungen, Anträge, Beileidschreiben, Begründungen, Offertenanfragen, Mängel-, Inventar- und To-do-Listen, Produktebeschreibungen, Lektionenpläne, Veranstaltungsprogramme, Website-News, Zusammenfassungen, Problembeschreibungen und Budgetanträge. Keinen Essay, keine Buchbesprechung, keinen Liebesbrief, nicht den kleinsten persönlichen Notiz. Aber einen gereimten Zweizeiler, der immerhin das Kind zum Schmunzeln brachte.

Statusmeldung Lehrverhältnisse

Der Schulstart ist bis jetzt erfreulich verlaufen. Von den 35 Lernenden, die im August die Lehre begonnen haben, sind noch 33 da, sie haben heute aufgeräumt und gut gelaunt wieder mit der Schule begonnen. Auch wenn man es sich wünschte, ist es nie so, dass 100% von den Azubis das erste Jahr auch wirklich beenden. Alle Seiten bemühen sich aber sehr darum, dass die offenen Fragen und Motivationsschwierigkeiten in dieser Zeit geklärt werden und Lehre nicht erst im zweiten oder schlimmstenfalls sogar dritten Lehrjahr abgebrochen wird.
Im Buchhandel werden die Lehrstellen später besetzt als in anderen Berufen, die Rekrutierungsphase hat jetzt so richtig begonnen und wird erfahrungsgemäss bis Juni anhalten. Trotzdem muss ich aber schon alle Stundenplaneingaben machen, mich bei Personal- und Zimmerbedarf festlegen und den Lehrpersonen bis im April sagen, welches Pensum sie im kommenden Schuljahr haben werden. Jetzt, mit ein paar Jahren Erfahrung, kann ich in der Abteilung Buchhandel gut damit leben, dass viel von meiner Prognose abhängt. Aber in meiner neuen Abteilung Kundendialog mit einem ganz neuen Beruf bleibt das ein Stressfaktor.

Die erste Jahreswoche

hat nicht gerade das Zeug dazu, als erfreulicher Start in die Annalen einzugehen. Aus derlei Gründen und weil die Schule erst nächste Woche anfängt, habe ich heute tagsüber frei genommen und arbeite nun nachts meine Pendenzen ab. Zwischendurch räume ich umzugsbedingt ein paar Schubladen aus, was gut tut, weil’s zeigt, wie das Leben so spielt. Zum Beispiel: Bekenntnisse aus Teenagerjahren.

Schlemmend ins 2012

Inzwischen ist ja schon wieder Arbeitsalltag, aber noch schwelge ich in Erinnerung an eine verschlemmte Neujahrsnacht, welche ich einmal mehr im bestens ausgestatteten Landhaus verbringen durfte. Das Aufdecken, die Sommellerie und das Dokumentieren fällt jeweils mir zu, aber ausgenommen, gekocht, gebacken, gedünstet, geschmort, abgeschmeckt, filetiert, flambiert und serviert wird von den anderen.
Gedeck
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Zum Jahreswechsel

„Quantität vor Qualität“ rief mir ein Aktionskünstler der Siebzigerjahre in Buchform zu; eine Bibliothek steckt immer voller Überraschungen. Auch für die Zügelmänner, weil die glauben der Buchhändlerin ja nie, da kann sie noch so lange sagen und schreiben, dass die paar Büchergestelle wahrhaftig fünfzig Kisten füllen werden.
Immerhin kann ich dieses Mal gelassener erlesen als auch schon, sogar von meinen Tagebüchern habe ich mich relativ leichten Herzens verabschiedet. Es waren bloss noch die zwischen 1989 und 1995 übrig, seither führe ich nur noch Notizbücher, welche ich jeweils schnell nicht mehr entziffern kann. Wahrscheinlich ist mir ungefähr zu dem Zeitpunkt die leserliche Handschrift abhanden gekommen.
Aus den Tiefen der halbverpackten Bibliothek wünsche ich
Statusmeldung Bibliothek einpacken
meinen geschätzen Leserinnen und Lesern
ein wohlgesinntes, freundliches neues Jahr.

Interview mit Juli(a)

Wer Zeit hat zwischen den Jahren, der lese zwei treffende Interviews mit zwei klugen Buchfrauen:

  • Julia Hürlimann, angehende Buchhändlerin, über unseren Beruf, wie sich’s darin lebt und was sie wem empfiehlt.
  • Juli Zeh, Autorin, über fremdbestimmte Selbstoptimierung, reaktionäre Naturüberzeugung und gegen das Klappe halten.
  • Es ist wohl etwas vermessen von mir, stolz auf die beiden zu sein. Doch ich kann’s nicht ändern. Erstere geht bei mir zur Schule und Zweitere lese, empfehle und schenke ich seit sie veröffentlicht.