25 Jahre Ehrenamtliches

Ich mag Ehrenamtliches, bei mir selber und bei anderen. Als Ehrenamtliche kann man sich ohne viel Vorlaufzeit in alles einmischen – ja, man wird geradezu darum gebeten und die anderen müssen auch noch dankbar sein dafür. In der Regel sind solche Gremien (Vereinsvorstände, Kommissionen) geprägt von Verbindungen, die weit über die Gremiumsgrenzen hinausgehen, aber wer nur networken will, bleibt meist nicht lange, dazu gibt’s zu viel zu tun. Ehrenämter fressen laue Sommerabende und gemütliche Winternächte, sie treiben meine Mobiltelefonrechnung in schwindelnde Höhen und zerren an Freundschaften mit Nicht-Ehrenämtlern.
Der Hauptgrund für meine Ehrenämter sind meine guten Erfahrungen damit. Seit 25 Jahren.
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Chwila

Als ich gestern in meiner Tageszeitung den Titel zum Jahrestag 9/11 Der Tag, als die Furcht zur Angst wurde las, ist mir mein Litetaraturlehrer aus der Buchhhändlerschule eingefallen. Dieser zitierte nämlich zu verschiedensten Gelegenheiten (von Prüfungsbammel bis Politikversagen) Kierkegaard mit den immer gleichen Worten „Angst geht tiefer als Furcht“. Ich weiss nicht, ob das Zitat so korrekt ist und ich möchte es auch nicht herausfinden. Kirkegaard kommt im lesenswerten Artikel dann auch nur am Rande vor. Aber das Zitat ist mir in den letzten zweiundzwanzig Jahren häufig im Zusammenhang mit der Schule, Freiwilligenarbeit, Erziehung des eigenen Kindes eingefallen.
So konsequent, wie Res Strehle das in seinem Artikel zu 9/11 tut, habe ich noch nie zu Ende gedacht. Ich habe Kierkegaard zwar stets so vestanden, dass Furcht ein Ergebnis der Vernunft ist, während Angst von Innen kommt und der Verdrängung, Entschuldigung (Rechtfertigung) oder Begründung bedarf. Da es sich dabei um unangenehm anstrengende Tätigkeiten handelt, ist verständlich, dass Angst oft aggressiv macht und der Ängstliche schnell nach dem Schuldigen sucht. Wie sehr das heute im Zusammenhang mit fehlender Aufklärung und Abgeklärtheit steht, war mir weniger bewusst. Dabei hätten die Schweiz, Deutschland und die USA je eine in dieser Hinsicht absolut taugliche Verfassung. Was ich ähnlich wie Strehle neun Jahre nach 9/11 als übermässig empfinde, sind Empörung und Verklärung. (Deshalb hoffe ich sehr, dass deutsche Buchhändlerinnen und Buchhändler nicht aufhören, Heisig zu empfehlen. Sarrazin läuft sowieso von selber.)
Dieser Tage las ich mehrmals das Gedicht von Wisława Szymborska „Fotografie vom 11. September“, in dem der letzte Satz ungeschrieben bleibt. Publiziert wurde es in Deutsch erstmals im Dezember 2001 in der ZEIT, aber es gehört zu der Gegenwartslyrik die eben keine direkt politische und deswegen zeitlos ist. Es ist in ihrem Gedichtband „Der Augenblick“ zu finden:
Umschlag Szymborska, Chwila
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Pegasus Nr. 100: Jubel!

Gestern ist unserer Schulzeitung „Pegasus“ zum 100. Mal erschienen. Es ist keine besondere Jubelnummer mit Gastbeiträgen Prominenter oder Auszügen aus dem Archiv (welches auf Floppy-Discs sein unvollständiges Dasein fristet), wie es sich eigentlich für eine Zeitung gehörte. Wir mussten aus Gründen, die sich jeder denken kann, auf die grosse Kelle verzichten und beim kleinen Löffel bleiben. Mir persönlich gefällt das sowieso besser, es passt zum Buchhandel. Auch wenn es viele nicht begreifen wollen: In unserer Branche ist Grösse und Getöse weder eine Garantie für Qualität noch für Rendite.
Auf den 100. Pegasus!

Redseliges Wochenende

Ich hatte ein äusserst redseliges Wochenende. Freitagabend hatte ich noch Unterricht und viele sehr gescheite Fragen den neuen Lernenden zu beantworten. Sie fragten mich – ich vergass meinen Mund vermutlich offen – was die ISBN 978-88-… der Moleskine-Notizbücher ganz genau bedeute? (Nur nebenbei: Die Bedeutung der einzelnen Teile einer ISBN ist im Suchfensterzeitalter überhaupt nicht mehr relevant und wird in der Ausbildung entsprechend stiefmütterlich behandelt.) Wir guckten also in den Dinosaurier von Nachschlagewerk und stellten fest, dass Moleskine seinen Hauptsitz in Italien haben muss.
Samstags war ich mit meiner Nichte Schuhe kaufen – ein sehr lebhaftes aber erfolgreiches Unternehmen. Nachmittags dann hatten wir unseren jährlichen, freiwilligen Schulausflug, bei dem die Schulleitung, -verwaltung und Lehrerschaft etwas gemeinsam unternehmen. Wir waren im Lichtspiel und sahen mehrere Schul-Filme aus verschiedensten Stufen und Jahrzehnten. Genial und empfehlenswert dieses Kleinod von Kino.
Heute dann war ich auf Besuch und musste zweisprachig…, was mich über Gebühr anstrengte. Dafür habe ich einen der 100 weltbesten Surfer kennen gelernt, soeben geheiratet von der Tochter der Besuchten (die doch gerade erst noch sooo klein gewesen ist und eben erst snowboarden gelernt hat… Ja, ja, wie alt man ist, sieht man an den Kindern, ja, ja, that’s life et c’est la vie).
Danach Abschluss und Anfang der Woche in der Herbstsonne und gute Gründe, dankbar zu sein.
Lunch heute

Empor aus schweren Träumen*

Ich sehe den Untergang nahen, wenn der gute Mensch zum Schimpfwort wird und Vorurteile derart gemainstreamt sind, dass sie es nur noch als Konzentrat in die Charts schaffen. Dass die Zukunft des Buches eine Elektronische sein soll und die Papierproduzenten auf den Tissue-Bereich umrüsten (der Wachstumsmarkt in dieser Sparte: Ultra Soft, With Lotion, Anti-Viral) stimmt auch nicht zuversichtlich.
Aber Lesen hilft. Ich lese seit ich denken kann mindestens eine Stunde pro Tag in einem Buch. In diesen Wochen jedoch lese ich viel mehr Bücher und weniger Zeitung und Internet. Im Moment parallel Jonathan Franzen, Anleitung zum Alleinsein (How to Be Alone) und Ferdinand von Schirach, Schuld und dazwischen in meiner Lieblingsballadensammlung. So hebt denn – langsam – der eine Untergang den anderen auf.
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Das Leben beginnt im Banalen

Die Schweizer Werke, die ich liebe, sind meist kleine Würfe in den See deutscher Literatur, welche für mich alles bezeichnet, was in einer der vielen Facetten deutscher Sprache geschrieben worden ist. Autoren wie Beat Brechbühl („Kneuss“), Beat Gloor („staat sex amen“), Beat Sterchi („Blösch“), Pedro Lenz („Der Goalie bin ig“), Verena Stefan („Fremdschläfer“) sind weniger bekannt als Peter Bichsel, Fritz Dürrenmatt, Franz Hohler, Max Frisch (aber nur seine Fragebögen sind so richtig alltäglich), Jeremias Gotthelf, Ruth Schweikert, Urs Widmer. Jeder von ihnen zeigt die Brüche im Alltag, die feinen, unauffälligen ganauso wie die endgültigen:
Kochen erinnert mich. Beim Schälen von Knoblauch denke ich an meinen längst verstorbenen Freund Schmapi Gerwig. Als ich ihm mal sagte, dass sich Knoblauch besser schälen lässt, wenn man ihn halbiert, sagte er, dass das nur mit frischem Knoblauch funktioniert. Ich vergass mich zu wehren – es funktioniert auch mit altem Knoblauch. Und Schampi starb, bevor ich es ihm mitteilen konnte. (Max Frisch: „Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschen Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?“) Würde Schampi eines Tages plötzlich vor mir stehen, ich würde ihm sagen, dass ich ihm vergessen habe zu sagen, dass das durchaus auch mit altem Knoblauch gelingt.
Ja, das ist banal. Aber das Leben beginnt im Banalen.

Aus: Peter Bichsel „Die Linsen meiner Mutter“ (In: Über Gott und die Welt, Suhrkamp 2009)

Zur Digitalisierung der Öffentlichkeit

Seite aus der Vorschau 4th Estate August 96 bis Februar 97
In seinem Artikel im SPIEGEL vom 23. August 2010 „Demokratie und Heuhaufen“ zeigt Thomas Darnstädt kurz und richtig, dass die Street-View-Entwicklung nicht in erster Linie das Privatleben, sondern die Öffentlichkeit bedroht. Auch wenn einiges davon schon bei Zeh und Trojanov steht, sehr lesenwert, weil Darnstädt aus der entgegengesetzten Richtung denkt.

(…) Haben die Bürger einst die Öffentlichkeit dem Absolutismus abgetrotzt, um frei zu sein, müssen sie nun erleben, dass neue absolute Mächte ebenso unkontrolliert wie einst Ludwig XVI. in Frankreich die Übersicht über alles beanspruchen.
Was Wunder, dass Politiker ratlos sind – es ist noch die klügste Reaktion. Denn selbst gutgemeinte Versuche des Staates, die Digitalisierung der Öffentlichkeit zu stoppen, gehen ins Leere. Die bürgerliche Öffentlichkeit lässt sich nicht durch saatliche Interventionen retten – Öffentlichkeit ist kein Naturschutzgebiet, um das der Staat Zäune errichten kann. (…)

[Bild: Vorstellungsrunde meiner neuen Azubis anhand von Arbeits- und Wohnort auf einer Schweizer Planokarte.]

Die erste Schulwoche

Die Neuen sind sehr nett. Allein schon der Umstand, dass sie in diesen Zeiten Buchhändlerin und Buchhändler werden wollen, macht sie mir natürlich sympathisch.
Die Herausforderungen der ersten Schulwoche sind daher rein organisatorischer Natur. Hufeisen-Bestuhlungen, die über die Ferien wieder zu Reihen geworden sind, Arztzeugnisse für Einschränkungen aller Art verarbeiten, Gesuche für späteren Eintritt in den Unterricht aufgrund langer Schulwege ausfüllen lassen und genehmigen, Azubis beruhigen, die Fächern zugeteilt sind, die sie schon in einer anderen Ausbildung abgeschlossen haben – solche Sachen halt. Prä-Internet hat die Klärung dieser Angelegenheiten das ganze erste Quartal in Anspruch genommen, heute dauert es noch zwei, drei Wochen. Aus chronistischen Gründen nachfolgend ein paar Links zu den Informationen, die wir zu Schulbeginn geben:

  • Verhaltenskodex. Er ersetzt die „Hausordnung“ und gilt natürlich für alle. Auf den Stellschildern mit dem Namen der neuen Azubis ist er aufgedruckt. Das heisst, die Lehrperson sieht auf der Vorderseite den neuen Namen, die Azubis sehen auf der Rückseite den Verhaltenskodex. (Der Kodex inklusive dessen Aufdruck auf dem Namensschild ist das Ergebnis eines halbtägigen Teamworks von uns Abteilungsleitern. Dass es nun schon das zweite Jahr funktioniert, freut mich sehr.)
  • Klassenstundenpläne. Bei uns gibt es keine endgültigen gedruckten Stundenpläne mehr. Die Klassenstundenpläne sind online, die Stundenpläne für Lehrpersonen und Zimmer ebenfalls (aber das nur mit Passwort).
  • Daten und Leitlinien zum Schuljahre 2010/2011. Das Vademecum ist das gedruckte Ding, in dem man alles Wichtige findet, wenn man nicht online ist.
  • FAQ online. Das ist einerseits die Sammlung, die Neue lesen könnten, wenn sie etwas nicht wüssten. Andererseits brauchen wir diese URL hauptsächlich, um die E-Mail-Fragen zu beantworten, die ja trotz (oder wegen?) aller Vorab-Information immer wieder gestellt werden.