Gepunktet (gegenüber Ahnen)

Aus Ahnensicht habe ich bestimmt ein akzeptables Wochenende zugebracht. Ich habe freitags bis spät gearbeitet und bin dennoch samstags früh aufgestanden, um dem letzten Wäscheberg in der alten Wohnung Herrin zu werden. Danach habe ich gemeinsam mit dem Kind weitere drei Taschen Spielzeug fürs Heilsarmee-Brockenhaus aussortiert, nicht ohne auf Qualität und Vollständigkeit zu achten. Nach deren Ablieferung zerlegten wir das Errexgestell aus dem Kinderzimmer sauber und ohne Wunden (was nicht selbstverständlich ist) in zügelbare Teile, welche wir nach Typus stapelten und so verpackten, dass auch für die Zügelmänner keine Verletzungsgefahr besteht. Nach einem bescheidenen Mahl aus Resten und nachdem ich dem Kind sinnvolle Aufträge erteilt hatte, machte ich mich auf ins Büro, um noch ein, zwei Stunden Unerledigtes abzuarbeiten. (Ins Hintertreffen war ich vor allem am Freitag geraten, weil ich Reich-Ranicki live im Bundestag hatte hören wollen.)
Auf dem Weg hatte ich zweimal eine halbe Stunde für Franzens Freiheit und ich denke, das wäre selbst für meine unermüdlichen Vorfahren noch ein tolerierbarer Freizeitanteil. Zurück daheim räumte ich den Keller auf, verpackte, was nötig war und sortierte das Übrige schweizerisch fürs korrekte Recyling an unzähligen verschiedenen Stellen. Zu sauertöpfisch erschien ich zum Nachtessen, welches vom – ebenfalls von Wochenendarbeit zurückgekehrten – Mann eingekauft und zubereitet worden war. Nach einer letzten Debatte ums Gewähren und Verbieten gegenüber Sechzehnjährigen und ein paar Seiten Franzen folgte Tiefschlaf.
Heute, Sonntagmorgen, erledigte ich verhältnismässig frisch den letzten Korrekturlauf für die neue Pegasus-Ausgabe, damit „mein“ GzD sicher das sei, womit der Grafiker seine neue Woche beginne. Über Mittag lösten wir gemeinsam ein Problem in der neuen Wohnung, wobei ich mit einem Schaden am frischen Anstirch wieder eines schaffte. Nachmittags verpackte ich Geschirr und Küchenutensilien, es ging nur ein wunderbares, grünes Glas zu Bruch und ich kniete bloss in eine Scherbe. Am Ende markierte ich alle Umzugskartons mit einem (andersfarbigen) Aufkleber nach Zielort, welcher natürlich dann am neuen Ort auch markiert sein wird und auf dem Grundrissplan seine Entsprechung findet. Denn dass ich gegenüber hart arbeitenden Zügelmännern einen Befehlston anschlüge oder sie gar mehrmals mit ihrer schweren Last hin- und herdirigierte – das würden meine Ahnen nicht goutieren.
Markierung Küche1 Markierung Küche2

Wohnungsbesichtigung

Heute war hier Wohnungsbesichtigung. Da ich ungern Menschen auswähle – ich würde nie in einer Hausverwaltung oder im Personalwesen arbeiten – bin ich froh, allen sagen zu können, das wir zur Wohnungsvergabe nichts zu sagen haben.
Wenn man günstigen Wohnraum verlässt, dann kommt niemand, um sich einfach ein wenig umzuschauen, nichts von „doch, doch, das wäre ganz nett“, „hmmm – wenn das anders gestrichen würde…“ Da kommen Leute, die eine Wohnung dringend brauchen. Leute, für die die Besichtigung eine weitere Hoffnung und wahrscheinlich eine weitere Enttäuschung mit sich bringt. Gut möglich, dass auch Diebe und Landstreicher darunter sind, aber die Mehrheit ist ehrlich interessiert und in Platznot. Der gehetzte Äthiopier, der gleich wieder auf die Nachtarbeit rennt, die Frauen-WG, die überall sonst drei Mieten Kaution zahlen müsste, die kurdische Familie mit Schweizer Pässen, aber vielerorts chancenlos wegen des Namens, die albanische Familie, die sich schon im ganzen Stadtteil erfolglos beworben hat, die libanesische Familie mit Höhenangst, die ungarische Mutter mit Söhnen, die vielen Familien aus der Nachbarschaft, die ein zweites Badezimmer ersehnen.
Mir ist das alles gar nicht recht: Dass ich mir mehr leisten kann als diese Leute, dass nur eine Partei die Wohnung bekommen wird, dass wir ein so fremdenfeindliches Land geworden sind, dass wir nicht genügend Bewerbungsformulare für alle hatten.

Leergeschrieben

Nach drei Wochen Schreiberei bin ich leer. Ich schrieb Semesterpläne, Einleitungen, Regelungen, Bitten, Entschuldigungen, Anträge, Beileidschreiben, Begründungen, Offertenanfragen, Mängel-, Inventar- und To-do-Listen, Produktebeschreibungen, Lektionenpläne, Veranstaltungsprogramme, Website-News, Zusammenfassungen, Problembeschreibungen und Budgetanträge. Keinen Essay, keine Buchbesprechung, keinen Liebesbrief, nicht den kleinsten persönlichen Notiz. Aber einen gereimten Zweizeiler, der immerhin das Kind zum Schmunzeln brachte.

Die erste Jahreswoche

hat nicht gerade das Zeug dazu, als erfreulicher Start in die Annalen einzugehen. Aus derlei Gründen und weil die Schule erst nächste Woche anfängt, habe ich heute tagsüber frei genommen und arbeite nun nachts meine Pendenzen ab. Zwischendurch räume ich umzugsbedingt ein paar Schubladen aus, was gut tut, weil’s zeigt, wie das Leben so spielt. Zum Beispiel: Bekenntnisse aus Teenagerjahren.

Schlemmend ins 2012

Inzwischen ist ja schon wieder Arbeitsalltag, aber noch schwelge ich in Erinnerung an eine verschlemmte Neujahrsnacht, welche ich einmal mehr im bestens ausgestatteten Landhaus verbringen durfte. Das Aufdecken, die Sommellerie und das Dokumentieren fällt jeweils mir zu, aber ausgenommen, gekocht, gebacken, gedünstet, geschmort, abgeschmeckt, filetiert, flambiert und serviert wird von den anderen.
Gedeck
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Zum Jahreswechsel

„Quantität vor Qualität“ rief mir ein Aktionskünstler der Siebzigerjahre in Buchform zu; eine Bibliothek steckt immer voller Überraschungen. Auch für die Zügelmänner, weil die glauben der Buchhändlerin ja nie, da kann sie noch so lange sagen und schreiben, dass die paar Büchergestelle wahrhaftig fünfzig Kisten füllen werden.
Immerhin kann ich dieses Mal gelassener erlesen als auch schon, sogar von meinen Tagebüchern habe ich mich relativ leichten Herzens verabschiedet. Es waren bloss noch die zwischen 1989 und 1995 übrig, seither führe ich nur noch Notizbücher, welche ich jeweils schnell nicht mehr entziffern kann. Wahrscheinlich ist mir ungefähr zu dem Zeitpunkt die leserliche Handschrift abhanden gekommen.
Aus den Tiefen der halbverpackten Bibliothek wünsche ich
Statusmeldung Bibliothek einpacken
meinen geschätzen Leserinnen und Lesern
ein wohlgesinntes, freundliches neues Jahr.

Interview mit Juli(a)

Wer Zeit hat zwischen den Jahren, der lese zwei treffende Interviews mit zwei klugen Buchfrauen:

  • Julia Hürlimann, angehende Buchhändlerin, über unseren Beruf, wie sich’s darin lebt und was sie wem empfiehlt.
  • Juli Zeh, Autorin, über fremdbestimmte Selbstoptimierung, reaktionäre Naturüberzeugung und gegen das Klappe halten.
  • Es ist wohl etwas vermessen von mir, stolz auf die beiden zu sein. Doch ich kann’s nicht ändern. Erstere geht bei mir zur Schule und Zweitere lese, empfehle und schenke ich seit sie veröffentlicht.

    Abendspaziergang

    Handybild vom Abendspaziergang
    Nach prallen Tagen habe ich heute Abend einen Spaziergang durch den leise rieselnden Schnee gemacht in der Erwartung, einige kummer- und harmlose Nachbarn zu treffen und ihnen einen angenehmen Jahresausklang zu wünschen. Doch in den Fenstern schimmerte das blaue Licht der E-Geräte und auf den Balkonen der Eidgenossen funkelten wild die Weihnachtsmänner auf Rentierschlitten, lila Blumen und orange Sonnen erhellten die Wohnungen der südostasiatischen Mieter. Und so blieb meine Spur die einzige und auch sie war bald wieder zugeschneit.

    Dreitagebuch

    Unterhaltung am 10.12.2011

    Gestern haben meine Schwester und ich unsere Geburtstage gefeiert. Es war zugleich ein Abschiedsfest von einer langjährigen, geschätzten Wohnung und vom Quartier, in dem wir beide aufgewachsen sind. Fleischbällchen mit Minze, Pouletschenkel mit Sesam und Honig, gedämpftes Gemüse, sauber gepulte Kichererbsen und von Hand geriebenes Coucscous ergaben ein royales Menu. Die Kuchen aus dem Quartierladen in unserer zukünftigen Nachbarschaft und glücklich unterhaltene Kids verschafften uns Plauderzeiten bis tief in die Nacht.

    Heute
    musste ich etwas vom mir Verhasstesten tätigen, nämlich Sonntagseinkauf bei IKEA. Da der Mann um meine Fluchtinstinkte in derlei Situationen weiss, hat er mich zuerst in ein Corbusiersessel-IKEAmitat gesetzt und IKEAtee geholt. Es war dann alles halb so schlimm. Ein Häkchen mehr auf der Umzugscheckliste.
    Morgen wird zwischen 8.00 Uhr und 9.00 Uhr eine Stunde frei, weil ein Treffen abgesagt wurde – der perfekte Wochenanfang. Der nächste Termin um 10.00 Uhr ist eine Sitzung, deren Dauer sich erfahrungsgesmäss leicht verdoppelt. Am Nachmittag dann endlich shopping my way: Ich besuche wie letztes Jahr eine Buchhandlung, die neu eine Auszubildende in unserer Schule schickt. Ich freue mich, bei Aleph und Tau so entspannt Weihnachtsgeschenke zu kaufen, wie das eben nur in kleinen Buchhandlungen möglich ist.