Wenn ich gegen Mitternacht den iPod vom schlafenden Kind bei Track 39 von Pink Floyd ausschalte, frage ich mich schon, wohin die Zeit sich verkrümelt hat. Erst wenn ich in das Archiv meiner Jugend abtauche und merke, wie innig Floyd zu meiner Zeit mit maxell UL 90 verbunden war, habe ich meine Orientierung wieder.
Kategorie: Leben daneben
Ausserschulisches und Vermischtes
Warum ich nicht bei Amazon kaufe
bin ich heute von jemandem gefragt worden, der gar nicht weiss, dass ich Buchhändlerin bin. Ich konnte die Feindschaft der Unterlegenen (Amazon hat den Webshop mit Millionen perfekt digitalisierten Buchdaten eröffnet, für die Bezos nie bezahlt hat) nicht ins Feld führen.
Ich musste mich auf die banalen Argumente einer urbanen Konsumentin beschränken: Ich kaufe nie bei Amazon,
Tischgespräch [38]
Kind:
Heute hatten wir wieder einmal Aufklärung.
Mutter:
Und, wie war’s?
Kind:
Wir haben einen Film von 1975 geschaut. Die waren angezogen wie die im Franzbuch, nur noch etwas krasser.
Mutter:
Aber der ist ja noch älter als der, den ihr letztes Mal gesehen habt! Der war immerhin von 1990!
Kind:
Ist ja auch ein anderer Lehrer.
Mutter:
Und, was weisst du nun mehr?
Kind:
Dass die Jungs krasser drauf waren und die Mädchen mit Autounfällen beeindrucken wollten.
Mutter:
Und über Sex?
Kind:
Nichts Neues, das was immer kommt: Kein Glied ist zu kurz, kein Busen zu klein.
Mutter:
Stimmt halt.
Kind:
Aber der Film war immerhin mehr für Jungs. Der Lehrer hat sich am Ende bei den Mädchen dafür entschuldigt, dass der Film fast nur über Jungs war.
Mutter:
Er hätte die Klasse ja nach Geschlecht trennen können, wär eh besser.
Kind:
Ja. Der Film wollte das auch so. Es gab den gleich langen nämlich auch für Mädchen und aus Mädchenperspektive.
Mutter:
Und wieso habt ihr gemischt nur den für die Jungs geguckt?
Kind:
Weil der Lehrer das vielleicht nicht gewusst hat.
Mutter:
Und woher weisst du’s?
Kind:
Es stand auf dem Video.
Zu Frau Kalékos Geburtstag
ein Kindergedicht zur Wäsche. Weil andere Blogs auch waschen. blogk im Speziellen Teppiche. Und die kaltmamsell bügelt und grübelt über Erbsünde.
Das Gedicht ist aus dem längst vergriffenen und vergessenen Kindergedichtband „Wie’s auf dem Mond zugeht“, erschienen bei Blanvalet, aus der Garamond Antiqua auf der Monophoto bei Fotosatz Tutte in Salzweg bei Passau gesetzt und im Herbst 1971 bei August Raabe in Berlin gedruckt.
Nicht haushälterisch
Viele Mütter – berufstätige und Hausfrauen – erzählen, dass ihnen Hausarbeit manchmal durchaus Freude mache. Sie sei unkompliziert und eine gute Abwechslung zu anderen Herausforderungen. Es sei schön, gut sichtbare Ergebnisse zu haben, wie z.B. gebügelte Wäsche oder eine Familie, die sich freudig über ein Menü hermache. Eine Bekannte von mir erledigt alles ausser „dem Elektrischen“ im Hause selber, malt und bohrt und züchtet sogar die Balkonpflanzen so, dass sie in den selbstgetöpferten Töpfen optimal zur Geltung kommen.
Ich freue mich sehr am Gedeihen des eigenen Kindes und der verwandten und befreundeten Kinder und weiss, dass meine Hausarbeit ihren Teil dazu beiträgt. Aber ich kann ihr beim besten Willen nichts abgewinnen. Ich versuche täglich positive Gedanken, gerade heute wieder, als ich für Kind und Freund Sandwiches gestrichen habe. Es gibt an dieser Arbeit doch wirklich schöne Komponenten, das Brot ist frisch, Senf und Butter riechen angenehm, und die Jungs bedanken sich sogar.
Aber ich? Ich bin froh, wenn ich es hinter mir habe. Ich vernachlässige meine haushälterischen Pflichten oft ohne böse Absicht. Gestern wurde ich dabei erwischt, wie ich während der samstäglichen Putzerei (an welcher sich die ganze Familie zu beteiligen hat) eine Geschichte von Annie Proulx gelesen habe. Bei laufendem Staubsauger.
Den 137. Psalm entsorgen
Er ist ein Überbleibsel aus meiner Buchhändlerzeit an vorderster Front: den ganzen Tag Beratung, Verkauf, Vertreterbesuche, Telefonate, Bestellungen und unzählige Schaufenster.
Das Gedicht „Der 137. Psalm“ von Franz Hohler habe ich irgendwann in den Neunzigern für ein Weihnachtsschaufenster abgetippt, gelayoutet und auf grauem Hintergrund aufziehen lassen. Die Buchhandlung, in der ich arbeitete, hatte den Leitsatz „kritische Bücher zur Zeit“ und es wäre nichts falscher gewesen, als Sterne im Winterschaufenster.
Ich erinnere mich, dass ein Kunde das Gedicht unbedingt kaufen wollte. Aber ich sagte, es sei nur in Buchform verkäuflich und behielt diese Variante viele Jahre im Back-Office aufgehängt. Als ich die Buchhandlung verliess, durfte ich es mitnehmen und nahm es in mein Heimbüro.
Nun ist das Gedicht vergilbt und eingestossen und vielleicht auch passé.
Gestern, heute, morgen
Gestern habe ich die Kids meiner Schwester gehütet, damit sie mit meinem Kind dessen Zimmer umstellen und aufräumen konnte. Ich und das Kind können das nämlich nicht zusammen, wir schreien nur. (Ich kann Eltern den Kindertausch sehr empfehlen, denn die meisten Kids sind auswärts braver und für einen selbst ist es ganz angenehm, zwischendurch nicht Elter, sondern bloss Betreuerin mit klarem Auftrag zu sein.
Heute haben ich mithilfe einer anderen, sehr schnellen Buchhändlerin der Prüfungsbuchhandlung den zweitletzten Schliff gegeben. Da das entsprechende Zimmer erst noch für schriftliche Prüfungen genutzt wird, konnten wir noch nicht fertig einrichten. Aber ich bin sehr froh um alles, was getan ist.
Morgen werde ich bei einer Prüfung Aufsicht haben und unmittelbar danach die Erstkorrektur machen. Das ist der Beginn einer Zeit mit täglichen Prüfungen bis zu 12 Stunden. (Wahrscheinlich ahnen die Azubis gar nicht, wie sehr auch ich mich auf das Ende der Lehrabschlussprüfungen am 12. Juni 2009 um 18.00 Uhr freue.)
Rätselhaftes Deutschland
Es gibt viel Rätselhaftes an Deutschland und den Deutschen für uns. Und es ist schon genug darüber geschrieben worden. Gemessen an der unspektakulären Rollenverteilung sogar zuviel. Deutsche finden Schweizer nett bis niedlich und sich selber besser. Schweizer finden Deutsche nett bis überheblich und haben an der eigenen, höheren Qualität keinen Zweifel. (Ich nehme mich nicht aus und habe einige bescheidene Erfahrung in zwei Berufen, in die seit über zehn Jahren sehr viele Deutsche einwandern.)
Als Deutschschweizerin muss ich mich ohnedies mit Deutschland beschäftigen, denn ich lese Deutsch: 90% der Bücher, ein Grossteil der lesbaren Zeitungen und Zeitschriften sowie 90% deutschsprachiger Blogs und 99% anderer Communitys, mit denen man sich internett in der „Muttersprache“ unterhält, sind nunmal aus Deutschland. Folglich ist meine Perspektive automatisch deutscher als die von Deutschen schweizerisch sein könnte.
Was ich trotz all der Abermillionen in mich hineingelesenen deutschen Buchstaben nicht verstehe, ist deutsche Politik.
In der Schweiz ist die Anpassung von Gesetzen an neue Gegebenheiten ein vertrauter politischer Prozess. Er wird häufig unsachlich gesteuert, er birgt meist mehr emotionale Aspekte als vermutet und er dauert. C’est tout. Der Prozess führt aber kaum dazu, dass persönliche Angriffe über Tage und Wochen undifferenziert multipliziert und möglichst ausgebaut werden.
Oder bin ich betriebsblind? Hanflegaliserung, Heroinabgabe, Ausländergesetze, Verwahrungsinitiative und sogar die Buchpreisbindung (dieser Nebenschauplatz): ganz schön emotional und unsachlich. Aber doch nicht immer und überall unter die Gürtellinie der Leute, die – ziemlich absehbar und gradlinig – den Willen ihrer Wählerschaft erfüllen.
Es ist nicht mein Mitleid mit den Politikerinnen und Politikern, sondern eher eine Frage, die mich umtreibt: Geht politische Debatte ohne minimalen gegenseitigen Respekt? Ohne das Abkommen, nicht ständig auf den Mann oder die Frau zu spielen?
Vielleicht kann halt doch erst die nächste Generation „Gesetz im Zeitalter des Internets“ so diskutieren, dass etwas anderes dabei herausschaut als Politik- oder Generation2.0-Bashing.
(Doch die Schweiz wird dazu nichts beitragen. Denn wenn Ben Vautiers art claim von 1992 irgendwo passt, dann aufs Internet: la suisse n’existe pas.)
Reversibler Ungehorsam
Die Auffahrtsbrücke
ist ein Zankapfel im Schulwesen. Wenn man am Freitag nach Auffahrt normal Unterricht macht, erstickt man als Schule in den Dispensationsgesuchen, weil dieser Tag – normative Kraft des Faktischen – vielerorts zu einer Art Nach-Feiertag mutiert ist. Wenn man den Freitag „überbrückt“ und schulfrei macht, kriegen alle Lehrpersonen, die freitags Unterricht haben, diese Stunden vom Lohn abgezogen, weil’s ja eben kein echter Feiertag ist. Wenn man die Brücke akzeptiert, aber den Unterricht in der Ferienzeit vor-oder nachholt, kriegt man wieder ebensoviele Gesuche.
Bei uns ist im Moment Variante Auffahrtsbrücke mit Abzug für Freitagslehrpersonen. Ich gehöre zu denen, bin aber um die Brücke froh. Punkt 19.00 Uhr am Samstag war ich mit dem Korrigieren und Kreieren der letzten Prüfungsfragen aller Branchenkundefächer fertig. Das ergibt einen freien Sonntag, den ich ohne Auffahrtsbrücke nicht gehabt hätte. Ausserdem konnte ich endlich wieder einmal Nicht-Dringendes angehen:
Schönen Sonntag noch!