Kind:
Schick ja nicht wieder Nussgipfel ins Skilager, die wir dann vier Tage lang zum Dessert essen müssen. Ich schäme mich.
Mutter:
Hmm. Ich dachte wie immer: Besser z’vil als z’wenig.
Kind:
Schick bitte nichts.
Mutter:
Soll ich vielleicht etwas anderes schicken? Carac? Schoggistängeli?
Kind:
Schick b-i-t-t-e einfach nichts. Die anderen Eltern schaffen das auch.
Mutter:
Ich darf immer noch selber entscheiden, was ich mache.
Kind:
Aber ich schäme mich einfach, wenn dann alle essen müssen, was du schickst.
Mutter:
Aber eine Privatschule braucht Spenden! Auch in Naturalien! Ich war auch auf einer solchen, ich weiss das!
Vater [zu Kind]:
Sie kann ja etwas spenden, was ihr sowieso esst. Ruchtbrot zum Frühstück.
Kind [zweifelnd]:
Ja-aaa…
Vater:
Und ich kann die Butter spenden. Eigentlich könnten wir gerade eine Patenschaft übernehmen für das Frühstück. Dann heisst es täglich: „Das Ruchbrot und die Butter wurden gesponsort von Famlie….“
Mutter:
„Jeden Tag für Brot und Anken, sollt ihr seinen Eltern danken.“
Kind [lacht Tränen]:
Neeeeeein…!
Kategorie: Leben daneben
Ausserschulisches und Vermischtes
Philantropische Verdrängung
Seit ich sechzehn Jahre alt war, mache ich Freiwilligenarbeit. Noch nie hatte ich kein Ämtchen oder Amt. Ich habe dabei Angriffe, Beschimpfungen und Häme erfahren, ich habe Misserfolge mitverursacht, mir die Redezeitbeschränkung für andere gwünscht und mich in Menschen getäuscht.
Aber viel öfter habe ich Anerkennung, kleine Geschenke, Freundschaft und Unterstützung bekommen, Gelichgesinnte getroffen, schriftlich und mündlich argumentieren und vor allem zusammenfassen gelernt. Ich war zweimal einen Monat in den USA um in Behindertenheimen zu arbeiten, sonst hätte ich dieses Land bis heute nie kennen gelernt. Der verlässlichere Teil meines sozialen und beruflichen Netzes hängt zusammen mit meiner Freiwilligenarbeit, sie ist genau so Teil meiner Biografie wie der Buchhandel.
Ich verfüge also über 21 Jahre Erfahrung. Aber jedes Jahr vergesse ich, dass ich von Dezember bis Februar für Jahresberichte, Revisionen, Budgets, Traktandenlisten für Hauptversammlungen und nicht auffindbare Nachfolger für Neuwahlen Zeit einrechnen müsste. Und jedes Jahr passieren mir peinliche Fehler, weil sie mir an allen Enden fehlt.
(Der Mann meint dazu beschwichtigend, leiden darunter sei das Echtheitszertifikat der Freiwilligenarbeit.)
Tischgespräch [22]
[Warnung vor Moralischem und Leherhaftem.]
Kind:
Zum Glück gibt es so viele Probleme auf der Welt. Man wünscht sich schon, dass niemand hungern müsste, aber eigentlich wäre es ohne Probleme auf der Welt ziemlich langweilig.
Mutter:
Ich bin nicht sicher, dass mich das stören würde.
Kind:
Und die Bücher, die es nicht mehr gäbe? Die Filme? Die Zeitungen? Die Stars?! Ich meine – Stars reden immer von Problemen und kämpfen extrem gegen Probleme, Angelina Jolie gegen die Armut der Welt, Pink für die gequälten Lämmer in Australien, die in den modischen Stiefeln und Jacken sind. Und die Killerpilze waren in Äthiopien und haben mit den Kindern dort eine Band gemacht. Eminem, 50 Cent, sogar LaFee: Alle machen Texte über Probleme.
Mutter:
Mein Gott! Das ist doch PR-Quark. Niemand von denen ist je auch nur durch einen Hauch von Wissen über Armut aufgefallen. V-ö-l-l-i-g oberflächlich! Ich selber weiss noch nicht einmal, was Armut ist. Weisst du es? Wer ist arm?
Kind:
Jemand, dessen Geld nicht reicht für genügend Essen, sauberes Wasser und Kleidung – die echt schützt. Also Eminem war selber arm, übrigens.
Mutter:
Gut. Sagen wir mal, das Geld reicht diesem Jemand dafür oder er bekommt das Aufgezählte. Was ist, wenn er verletzt wird? Wenn er kein Telefon hat, einen Arzt anzurufen oder kein Spital weit und breit? Was ist, wenn er gar keine Zahlen und Buchstaben kennt, nie in einer Schule war?
Kind:
Natürlich ist er dann auch arm. Er braucht irgendwie Zugang zur Schule und zum Spital und zum Telefon und Internet, sonst ist er arm.
Mutter:
Das ist eben neu, es ist nicht mehr ein Sack Reis und eine Hose. Die Welt hat sich sehr verändert. Aber nicht die Stars…
(Denkpause)
Wir wissen, dass Armut schädlich ist, aber es ist sehr schwierig, einen Massstab für Armut zu finden.
Kind:
Warum sollte man sie überhaupt messen?
Mutter:
Vielleicht weil ich dir gerne sagen würde, dass es einen Fortschritt gibt? Nein, es ist wegen der Politik. Denn Lösungen kommen von dort. Krieg ist ja bekanntlich keine. Wenn wir nicht definieren können, was arm ist, können wir nicht sagen, was das Minimum ist, das dieser (oder ein anderer) Jemand braucht. Weder das Bümplizer Sozialamt noch die Weltbank bekommt Geld einfach so, denn das Geld muss ja irgendwo weggenommen werden.
Kind:
Aber ganz sicher ist doch, dass manche einfach mehr Geld brauchen! Könnte man nicht Geld drucken für die?
Mutter:
Eine Bedingung für Geld ist, dass es rar sein muss. Also wenn es nicht rar ist, ist die Note nur noch Papier. Deshalb würde es nichts nützen, Geld zu drucken.
Kind:
Das stimmt. Wie nach dem ersten Weltkrieg, wo sie mit Wagenladungen von Geld ein Brot kaufen mussten.
Mutter:
Yep. Wir sind auf der Suche nach der Definition für Armut. Definitionen sind wie Formeln. Es dauert lange, sie zu finden oder sich zu einigen. Aber sie vereinfachen die Zusammenarbeit. Sie helfen die Probleme von der Oberfläche weiter nach unten zu holen. Du kannst nicht mehr einfach sagen, der ist arm, sondern musst überlegen, warum ist der arm. Lösungen für grosse Probleme findet man nie an der Oberfläche, die findet man unten. Oder mittendrin.
(Denkpause)
Eigentlich weiss das jeder, deshalb müssen sich die Stars ja unten und mittendrin ablichten lassen. Weil es dann aussieht, als hätten sie Lösungen. Und weil viele darauf reinfallen oder reinfallen wollen, muss die Unicef Tranlampen wie Jolie als Botschafterinnen anheuern, um überhaupt in die Medien zu kommen. Ich hasse es.
Was das Herz begehrt
Sitzungsmarathon in der wahren Hauptstadt. Erstes Meeting schon im Zug, dann durchgehend und speditiv bei Äpfeln, Kaffee und Sandwichs bis in den späten Nachmittag, damit die Tagesordnung nicht zu einer Zweitagesunordnung wird. Nächste Sitzung zu anderem Zweck um 19.30 Uhr am Zentralbahnhof der Nation. Liegt ja an meinem Heimweg.
Eineinahalb Stunden gestohlene Zeit und niemand weiss, dass ich verfügbar wäre.
Es regnet.
Ich suche Schutz in der Buchhandlung. Kaufe endlich mein Buch. Möchte noch des Kindes Wunsch nach seinem Buch erfüllen, aber das fehlt. Renne in die nächste Buchhandlung. Der nette junge Mann hier verkauft mir den Kinderwunsch.
Mein Kopfweh verschwindet mit den Tabletten aus der Apotheke neben der gleichnamigen Bar. Ich quetsche mich auf den letzten freien Hocker. Zu meiner Linken eine alte Dame mit Zigarillo und Nerzstola zu meiner Rechten ein Herr, den ich kennen sollte. (Progammchef DRS? Journalist aus dem Dufourhaus? Pascal Mercier? Adolf Muschg? Eher Mercier.) Er unterhält sich angeregt mit einer Zufallsbekanntschaft über das Interieur und die wilden Siebziger in diesem Etablissement. Die Zufallsbekanntschaft ist ein Herr mit dicker Brille und Zigarre aus Mecklenburg-Vorpommern und war in selbigen Siebzigern in die Bankenstadt abdelegiert worden. Der erste Trabi in Züri, ho, ho.
Ich lese.
Sonst passiert nichts. Die Nerzstola-Dame fragt mich ab und zu leise lächelnd, ob ich ein Bücherwurm sei. Und ob es immer noch regne draussen. Als ich bezahlt habe, begleitet sie mich wie eine Gastgeberin zur Tür.
Publikum
von Theodor Fontane
Das Publikum ist eine einfache Frau,
Bourgeoishaft, eitel und wichtig,
Und folgt man, wenn sie spricht, genau,
So spricht sie nicht mal richtig.
Eine einfache Frau, doch rosig und frisch,
Und ihre Juwelen blitzen,
Und sie lacht und führt einen guten Tisch,
Und es möchte sie jeder besitzen.
Guten Tag, neues Jahr.
Tischgespräch [21]
Mutter [zu Kind]:
Also. Wie willst du das jetzt machen?
Kind:
Ich weiss es nicht, ich bin leer.
Vater:
Du bist leer, ich bin leerer, sie ist Lehrerin.
Kind:
Nein, sie ist auch mit „ee“.
Mutter:
Sicher. Würde man uns alle drei aufschneiden, wäre ich die Leerste.
Vater:
Aber aus dir würden garantiert lauter unfertige Sätze herausquillen.
Kind [grinst schief]:
Genau.
They have their exits and their entrances;
(…) 200 million people have already stopped writing their blogs.
Everyone thinks they have something to say, until they’re put on stage and asked to say it.
sagt Gartner Analyst Daryl Plummer BBC. Via die schöne Sammlung 100 things we didn’t know last year. Entdeckt dank slashdot.
***
Ist Zukunftsangst irrational?
Nicht per se. Wenn Sie etwa in Israel wohnen und die Reden des iranischen Präsidenten hören, ist Zukunftsangst durchaus berechtigt. Auch ein aidskranker Dorfbewohner in Simbabwe hat allen Grund, düster in die Zukunft zu blicken. Das Seltsame ist das düstere Zukunftsbild der Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht, die aber die Apokalypse durch Mobilfunkantennen fürchten.
sagt Dirk Maxeiner im Interview mit dem heutigen Migros Magazin (klick PDF, dann im Dropdown auf „Interview 16-19“). Er ist Mit-Autor des demnächst erscheinenden Buches Schöner Denken und Teil des Duos Maxeiner und Miersch. Beides Autoren, die sich – mehr oder weniger lesenswert – den Schattseiten der Weltverbesserung verschrieben haben. Das geht ja heut‘ nicht mehr ohne viel Hass auf sich zu ziehen.
***
Und in Zeiten der Selbstdarstellung sollten wir uns auch ohne Jubiläen ab und zu der Helden erinnern, die der Menschheit den Anstoss zum Performen geliefert haben. Zum Beispiel Shakespeare. Ist eigentlich bekannt, wie viele Volltextsuchen inzwischen zur Verfügung stehen? Die Überschrift hier ist aus dem bekannten Monolog von Jaques in „As You Like It“ Act II, Scene VII.
Wellennebel
Schatten des Stockhorns auf dem Nebelmeer, welches heute Bern und das ganze Mittelland zudeckte.
Ich habe viele Monate meines Lebens an verschiedenen Meeren verbracht. Ich bin den Wellen seit meiner Kindheit mit Freude und Respekt begegnet. Die ertrunkenen Protagonisten der Literatur jedoch haben mich nicht sonderlich beeindruckt. Um den jungen Pater in Dornenvögel hat es mir als Jugendliche noch leid getan, aber den Partner der Frau in Ohio konnte ich ohne viel Emotionen im Meer lassen.
Seit dem Tsunami vor zwei Jahren hat sich mein Verhältnis zur Welle verändert. Ihre Form erinnert mich an Zerstörung und Ungleichheit. Selbst die asiatischen Holzschnitte und Tuschzeichnungen mit dem Motiv erscheinen mir eher todbringend denn ein Abbild positiver Wechselbewegungen des Lebens.
Ich habe sieben Jahre für die DEZA gearbeitet. Und ich war mir nie sicher, dass Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe die Lösungen für die grössten Probleme der Menschheit sind, obwohl genau diese deren Dauerauftrag rechtfertigen.
Man kann sagen, dass es bei einem Tsunami an der Pazifikküste weniger Tote gegeben hätte – das stimmt sicher. Aber jede Katastrophe, unabhängig davon wo sie geschieht, illustriert und verstärkt die Ungleicheit, die schon da ist. Dashalb sehe ich nach wie vor keine Alternative zur Entwicklungszusammenarbeit und zur Humantären Hilfe zwischen Nationen wie auch zwischen vereinigten Nationen. Und private oder semi-private Hilfswerke leisten ebenfalls Gutes – nicht alle, aber viele.
Zweifel darf – muss sogar – sein. Aber den Misstrauischen, Nörgelden, noch mehr Evaluationen Fordernden, kann ich nur entgegnen, dass kein noch so ausgeklügeltes Kontrollsystem über Steuer- und Spendengelder eine interessierte, politisierte Zivilgesellschaft und unabhängige Medien ersetzen kann.
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Am Wintermorgen
von Werner Bergengruen
Am Wintermorgen zur bleichen Zeit,
grau starren die Gärten und kahl.
Zwei Mädchen frösteln im dünnen Kleid,
und der Wachtposten gähnt am Kanal.
Alte Weiblein, wie Dohlen dunkel und schmal,
flattern und rudern herum.
Sie huschen gescheucht ums Klosterspital,
doch ihre Schritte sind stumm.
Wie willst du den traurigen Tag bestehn?
Und zum Abend ist es noch weit.
Du wirst dir die Füsse blutig gehn
in deiner Verlassenheit.
Da tritt aus dem Düster tastend ein Strahl
wie schüchterne Vogelmusik.
Und über dem schwarzen Kirchenportal
aufglüht das Goldmosaik.
Guten Heiligmorgen.
Und schöne Weihnachtstage.
[Alle Jahre wieder]
[Kleine Orientierung für Nazis.]
Wegen einzelner Stichworte landen Sie wellenartig in grosser Anzahl bei mir. Manche von Ihnen erlauben sich, Links hierhin zu setzen. Und Sie, die Sie sich mindestens in einem Blog-Header auf Orwell berufen, haben ihn leider nicht gelesen, denn einen Falscheren können Sie gar nicht zitieren.
Ein gutes Indiz übrigens dafür, dass Sie nur als Stimmungs-Vieh eingesetzt werden, das das Internet befüllt. Ihre stillen Helfer würden sich hüten, Orwell’sches auf ihre Fahnen zu schreiben, aber das könnten die Ihnen eigentlich selber sagen.
Ich halte nichts von Beschimpfungen. Und ich halte nichts von Ihnen. Wie viele andere sind Sie Profiteure der Vernichtung. Aber Sie – damit meine ich genau Sie und nicht die „Fremdenfeindlichen“ oder die „Rechtsextremen“ – haben ein Nachwuchsproblem. Und ich gehöre zu denen, die dafür sorgen, dass es grösser wird.
Nur damit Sie wieder einmal wissen, wen Sie da verlinken.