Lesen und lismen

Lismen in der Steiner-Schule
So, liebe Leserinnen und Leser, ich bin offline, ich brauche einmal eine Woche Zeit zum Lesen. Das ist immerhin ein wesentlicher Teil meines Berufs. Socken stricken ist nicht geplant, aber solche anziehen ganz bestimmt.
[Quelle Bild: Tag der offenen Tür in den Rudolf-Steiner-Schulen Melchenbühl und Ittigen, Faltprospekt.]

US Pressefreiheit

Die Mehrheit der US-Schülerinnen und Schüler scheint sich – immer gemäss Umfrage – nicht besonders über die staatliche Zensur aufzuregen. Nur 51% der Lernenden glauben, dass die Zeitungen frei und ohne Erlaubnis der Regierung publizieren können müssen. Droht der erste Verfassungszusatz mit der neuen Generation vor die Hunde zu gehen? Mit dem alltäglichen Schwur darauf, dem Fahnen hissen und dem Absingen der Nationalhymne scheint es jedenfalls nicht gemacht. Indes beruhigend ist die Schlagzeile: „Schuld haben nicht nur Schulen und Lehrer“. Danke, danke, danke!

Sekten

Lesen ist schön, lesen ist gut, lesen macht klug, lesen macht reden, lesen macht denken. Aber lesen macht mich manchmal auch fertig. Würde ich nicht so viel lesen, wüsste ich viel Schlimmes nicht. Aber dann wäre ich nicht ich, Frau Meier, die Amsel, wie mich Freunde begründet nennen. [Frau Meier hat zum Beispiel immer genügend warme Getränke und Erste Hilfe parat, falls der Bus aus der Kurve neben ihrem Haus kippen würde, und sie die Passagiere verpflegen müsste, was natürlich nie passiert. Ein ergreifendes Buch ab 5 Jahren.]
Heute war es erneut ein Bericht über Beslan, der für mich schwer erträglich war. Es ist logisch, jedes Massaker in jeder Schule beschäftigt mich als Lehrerin lange (mein Archiv über den erfurter Amoklauf ist ebenfalls grässlich). Auch das Bild von Sergei Grits zum Bericht von Alexander Schrepfer-Proskurjakov ist furchtbar. Es zeigt, wie die übrig Gebliebenen zum zweiten Mal ihren ersten Schultag beginnen. Inhalt des Berichts in der neuen WOZ (Nr. 03/05, S. 27), ist die enorme Zunahme an Sekten in Beslan und die Erzählung der Zuständigen für die Auszahlung an Hinterbliebene. Sie schildert, wie Eltern das dringend benötigte Geld direkt in die Hände der Sekte legen, noch vor ihren Augen.

Während vor dem 1. September [2004] in ganz Beslan nur sechs religiöse Vereinigungen und Sekten bekannt waren, stieg ihre Zahl nach dem Geiseldram auf über fünfzig. Erstanlich schnell tauchten in Beslan die Scientology-AnhängerInnen auf. Sie gaben sich zunächst als freiwillige PsychologInnen aus und konnte das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.

Bis zum heutigen Tage hätte ich mit dieser Gefahr nicht gerechnet. Aber es ist folgerichtig. Sekten sind, wo Verzweiflung ist. Sekten schlagen Kapital. Egal woraus. Egal.

Volksschule II

Ich stehe im Regen.
Aus prügeltechnischen Gründen hole ich diese Woche das Kind von der Schule ab. Und wie immer, wenn ich solcherlei mache, fühle ich mich unpassend und unmütterlich. Bei uns gibt es nicht viele superelterliche Eltern, was mir einerseits gefällt, aber was natürlich auch mühsam ist, zum Beispiel wenn man den Elternrat besetzen und sich am Elternabend oder am Elterngespräch ziegen sollte. Da fühlen sich nämlich eine Menge nicht angesprochen. Viele arbeiten Tag und Nacht (und oft dunkelgrau), viele Kinder leben bei Verwandten oder in Fortsetzungsfamilien, manche Kinder haben fünf oder sechs Geschwister. Aber die echten Schuleltern, die übrigbleiben, die sind waschecht. Bloss zwei Mal zehn Minuten mit anderen echten Müttern auf dem Pausenplatz in der Pfütze stehen und schon habe ich einen Katalog von Unterlassungssünden im Kopf. Und sollte ich jemals richtig Lust auf Zwietracht verspüren, brauche ich mich nur bei Schulschluss auf den Pausenplatz zu stellen und die Million Klagen über Räumlichkeiten, andere Eltern, andere Eltern anderer Nationalitäten, andere Kinder, andere Kinder anderer Nationaliäten und sämtliche Lehrpersonen (ausser den Pensionierten, die waren gut) zu supporten. Aber wenn ich keine Lust habe darauf und wortkarg werde, dann stehe ich halt doppelt im Regen.
There is no such thing as bad weather – only bad clothing.

Volksschule I

Meine Haltung gegenüber Volksschullehrpersonen ist seit vielen Jahren, in denen ich in Integrationsprojekten mit ihnen zusammenarbeite, die:
Das ist ein harter Job, da gibt es nie Geld für Anschaffungen und schon gar keine brauchbare Elektronik, einen Klassensatz von Lesebüchern nach neuer Rechtschreibung müssen sich zwei Klassen teilen (jedenfalls hier im Quartier ist es genau so) , die Kopierkontingente sind strikter als strikt und die Elterngespräche ausbrennend und hauptsächlich von Kritik und Drohungen geprägt. Die klassen sind zu gross, die allgemeine Sparerei ist eine Zumutung, die Integration im besten Falle ein steter Tropfen.
Die Frage ist nur, weshalb mir diese Haltung gerade gegenüber der Lehrerin meines Sohnes gänzlich abhanden gekommen ist. In gerade nur drei Semestern. Es kann nämlich jeden Augenblick sein, dass mein Wohlwollen und mein Verständnis erschöpft sind. Und zwar gänzlich.
[Echt frustriert.]

Gemacht

gemacht:

  • Znüüni
  • Kind zur Schule ermutigt (und versagt)
  • Nerven (ziemlich) verloren
  • Tipps für Ausbildungsverantwortliche entworfen (i.A. Abteilungsleitung)
  • 3. Lehrjahr in meinem Fach auf eine Exkursion zu Huber&Lang begleitet
  • bei der Französischlehrerin entschuldigt, weil wir zu spät zurück waren
  • beim 2. Lehrjahr ebenfalls, weil ich zu spät zurück war
  • 1. Lektion unterrichtet: 2. Lehrjahr, Test
  • 2. Lektion unterrichtet: 2. Lehrjahr, Einkaufskriterien ermittelt in Gruppenarbeit
  • 3. Lektion unterrichtet: immer noch 2. Lehrjahr, Rückgabe Semesterarbeiten, Evaluation dessen
  • Kaffee und Sitzung mit dem Abteilungsleiter
  • Tagesanzeiger gekauft
  • Busfahrt und den gelesen
  • Kind aus Schule empfangen (ging besser)
  • Franzaufgaben (mit Kind)
  • Mails zu begreifen versucht
  • Mails beantwortet sofern obiges gelungen
  • noch vor:

  • Diesen Blogeintrag
  • Essen
  • Marketingarbeit für verschiedene
  • 14 Tests korrigieren
  • 5 Nachholtest kreieren
  • Bin ganz froh, heute nicht auch noch DIK-Kurs zu haben. Nächste Woche habe ich einen aktiven wie passiven Hospitations-Marathon, dann ist noch ein Besuch an der GIBBUL in Burgdorf geplant und dann ist der Praktikumsteil abgeschlossen. Aber die 10 dafür veranschlagten Stunden waren wohl ein Witz? Aber man soll ja nie von sich auf andere schliessen, vielleicht gibt es jemanden da draussen, der die Anforderungen in dieser Zeit bewältigt.
    So oder anders: Mir Daumen drücken wäre sehr nett.

    Spenden?

    Die UNO hat nur 74% des nötigen Geldes für Hilfe im Sudan, 53% für jene in den palästinensischen Gebieten, 37% für Haiti und nur 9% für Simbabwe oder 5% für die Philippinen. [Quelle: Swissinfo ]

    Die hie und da gehegten Befürchtungen sind nicht von der Hand zu weisen.
    Aber mich irritieren einige Kommentare in der Presse. Zuerst hiess es da, jetzt können wir nichts als spenden. Dann, als die 100 Millionen der Glückskette zusammen waren, hiess es, das war ja ganz leicht, schliesslich ist es eine „politisch korrekte“ Katastrophe. Jetzt, da 140 Millionen zusammengekommen sind, wird gefragt, ob die Leute denn jegliche Verhältnismässigkeit verloren und keine Ahnung von Afrika hätten? „Tsunami“ scheint eine neue Masseinheit geworden zu sein. Für den Welthunger „täglich ein Tsunami“ (oder war es stündlich?), für die Toten im Kongo der letzten sechs Jahre, „das entspricht alle fünf Monate einem Tsunami“.
    Hunger ist oft ein Folgeproblem von Konflikten. Und es ist sehr viel schwieriger für Opfer von Konflikten zu spenden, als für Menschen in einer für jeden fassbaren Naturkatastrophe. Ich hätte mir gewünscht, (und wer weiss, vielleicht geht ja mein Wunsch noch in Erfüllung oder er ist schon von mir unbemerkt in Erfüllung gegangen,) dass jemand wirklich gut über die Hilfsbereitschaft als Markstein schreibt. Über den Eckpfeiler, der Solidarität in unserer globalen Gesellschaft werden sollte.
    Ich hätte mir gewünscht, dass jemand recherchiert, wie die multilaterale Zusammenarbeit es schwer hat, ihr Anliegen im Palament durchzubringen. Wie die bilaterale Zusammenarbeit gekürzt wird. Wie die langfristigen Konflikte aus den Medien verschwinden, weil niemand mehr Zeit und Geld für die Recherchen hat und der Platz in den meist gelesenen Medien muss sich auch nach der Lifestyle-Werbung richten.
    Wenn wir unsere Bereitschaft transformieren können, wenn wir dadurch ein ein besseres Verständnis für Nachhaltigkeit (Sustainability) bekommen, anstatt den Begriff lächerlich zu machen, weil er scheinbar überstrapaziert worden ist – das wäre ein Erfolg. Möge der weltweite Grundkurs in Seismografik und Tsunamiforschung überleiten in einen Grundkurs über Armut als Grundproblem, über ihre konfliktreichen Folgen und die Massenvernichtungswaffe Hunger, die aus und für Krieg gemacht ist.
    (Und was ist eigentlich mit Jean Ziegler? Ich war perplex, dass man ihn auch ausgezeichnet hat, das fand ich echt nett. Nachdem er Jahre als Schiessbudenfigur von Interview zu Interview gereicht worden ist. Als ein Leierkasten, der immer und überall über den Welthunger leiert und krakhaft Komplotte gegen die Armen wittert.)

    Königstag

    Immerhin sie wissen den Weg
    Ich räume die Krippe mit den alten Bullyland-Figuren ab, wische die Sterne zusammen. Inzwischen gibt es neue Figuren, die Krippe ist vergriffen. Weil nicht jeder König ein Kamel hatte, haben wir noch zwei hölzerne im Brockenhaus erworben, sie hatten dort auf uns gewartet.
    Und morgen werden die Männer mit Kran kommen und die grosse Tanne, auf die ich aus dem 12. Stock hinunterblicke, von den Lichtern befreien. Der Schulhausabwart wird die berühmten Bethlehemer Weihnachtslaternen, die hier Alt und Jung im Wettbewerb machen, von den Strassenlaternen ablösen und vorsichtig eilagern.
    Und den Kindern, die sich fast nicht trennen können von der besonderen Zeit und ihren Zeichen, werde ich erzählen, die drei Könige hätten alles abgeholt. Und sie werden wissen, dass das nicht stimmt und es trotzdem glauben. Fast wie ich.