Aufräumen

Während ich hier, in meinem Büro und auch ein wenig in meinem Leben aufräume, empfehle ich drei Geschichten, die mir am Herzen liegen:
Eine Buchgeschichte von Herrn Rau. Über die Freuden des Buchbesitzes und die Vorfreuden auf das Lesen.
Eine Migrantinnen-Geschichte. Über die Selbstverwirklichung der Eltern und die eigene.
Eine kurze Geschichte des Volksschul-Dilemmas.
Bis dann.

Schwermut kommt vor dem Fall

In meiner Lehrerinnen-Rolle neige ich zeitweise zur Schwermut. Ich ertrage nicht immer, dass die Welt, in die ich „meine“ Lernenden entlasse, schlecht ist und nicht einmal der tote Papst kann mir helfen. Er ist nicht mein Vater und ich vermag mich nicht einzugliedern in den Schwall euphorischer Menschen, die wieder wahre Werte finden.
Ich lese dann so Sachen wie beim Shopblogger letzten Samstag und sehe, dass die Welt trotz viel mehr Pilger keinen Deut besser geworden ist. Ich denke an die junge Frau aus meiner Klasse, der ein Kunde die Bibel angeschmissen hat, mit dem Aufschrei „haben sie die üüü-ber-haupt jemals gelesen ?! Haben sie eine Ahnung, wie sie sich versündigen?“ Und warum? Die Lernende arbeitet zwar in einer theologischen Fachbuchhandlung, hat aber auch Harry Potter im Regal.
Ja, so ist es nicht weit her mit den heeren Werten von Verständnis und Menschlichkeit. Gerade im Verkauf sind Beschimpfungen und Verunglimpfungen an der Tageordnung, selbst Tätlichkeiten kommen vor.
Die gute Nachricht: Inzwischen habe ich zu dem Brand der Synagoge, der mich in verschiedenen Zusammenhängen beschäftigt hat, etwas gefunden, was mein ungutes Gefühl treffend beschreibt.

Gute Volksschule

Die Merkmale guter Schulen beschäftigen mich im Moment sehr und einige andere auch. Darum habe ich wieder das Referenzwerk von Ruth Meyer konsultiert. Die Vorstellungen guten Unterrichts sind widersprüchlich, aber in guten Schulen findet mehrheitlich guter Unterricht statt. Deshalb steht die Checkliste für die gute Schule ganz am Anfang. Ich möchte das zuerst einmal im Hinblick auf die Volksschulklasse vom Kind kommentieren. Morgen komme ich dann selber mit der Berufsschule dran. Die Leitsätze sind frei nach Ruth Meyer und mit Ergänzungen von mir, meine Kommentare sind kursiv.

Die didaktischen Grundlinien der Schule sind trasparent.

Ist nicht gegeben. Ich kenne weder die Lernziele noch die Bewertungskriterien. Die Lernziele kann ich mir in Form des Lehrplanes erfragen, die Kriterien der Bewertung bleiben unklar.

Alle Lehrpersonen kennen die Grundsätze der Schule und können sich mit ihren identifizieren.

Hier habe ich meine Zweifel, kann aber nicht abschliessend sagen, wie begründet die sind. Wenn ich das Leitbild zitiere, ernte ich allerdings verständnislose Blicke.

Die Infratstruktur, das Honorar, das Weiterbildungsangebot für die Lehrpersonen, die Zusammenarbeit und die Führungskultur der Schule entsprechen andragogischen (erwachsenenbildnerischen) Leitvorstellungen.

Die Infratruktur ist teilweise gut, teilweise ungenügend und es ist (auch aus Spargründen) schwierig, dem entgegenzuwirken. Zum Honorar kann ich nicht viel sagen, es sind „normale“ Ansätze, wobei die Kindergarten-Stufe ihre Lohndiskriminierung nur per Klage aufheben konnte. Die Zusammenarbeit ist von aussen betrachtet ungenügend, die Kommunikationswege sind unklar. Diese Meinung teilen aber längst nicht alle. An die Führungskultur hätte ich als Elternteil noch eine Menge Wünsche.

Die Übereinstimmung mit den Gesetzen, den Lehrplänen und den Ämtern wird sporadisch überprüft.

Für mich als Mutter gibt es keinen Hinweis darauf.

Es werden Lehrpersonen mit viel und aktueller Berufserfahrung beschäftigt.

Viel Berufserfahrung auf jeden Fall, bei der Aktualität bin ich nicht einig mit den Lehrpersonen, wir interpretieren neue Erkenntnisse absolut unterschiedlich, die Literatur zum Thema Mobbing nahezu gegenteilig.

Die Schule hat ein anerkanntes Quailtätszertifikat (ISO, TQM, eduQua) und es gibt einen Qualitätsverantwortlichen, der direkt der Schulleitung untersteht.

Gibt es nicht, auch kein parzielles Controlling.

Es besteht ein attraktives Weiterbildugsangebot für Lehrpersonen.

Ja, das besteht.

Unter den Lehrpersonen finden pädagogische Konferenzen und Austausch statt.

Konferenzen bestimmt, Austausch erlebe ich kaum.

Lehrpersonen besuchen sich gegenseitig im Unterricht.

Ich habe es in fünf Jahren Schule vom Kind nur einmal erlebt. Aber er ezählt ja auch nicht alles.

Lehrpersonen werden regelmässig im Unterricht durch einen ausssenstehende Fachkraft besucht und beurteilt.

Nein, werden sie nicht. Schulkommissionsmitglieder machen Besuche, aber die Ziele und die Häufigkeit werden nicht überprüft.

Alle Beteiligten schätzen ihre eigene Leistung ein.

Nein, höchstens informell. Bei den Schülerinnen und Schülern gibt es unregelmässige Selbsteinschätzungen.

Lehrende und Lernende verfolgen ihren Lernverlauf aktiv und ermutigen sich gegenseiteig, Erkenntnisse auf verschiedene Bereiche zu übertragen.

Kann ich nicht beurteilen. Das Kind macht es nur, wenn wir Eltern helfen.

Das Beurteilungssystem regt an, sich über Verbesserungen Gedanken zu machen und fördert selbstverantwortliches Lernen.

Nein, auch bei den Lernenden nicht. Da selbst offizielle Elterngespräche nicht protokolliert werden und das Notizen machen jedem selbst überlassen ist, sind die Fortschritte nur im Jahreszeugnis dokumentiert und das reicht nicht für selbstverantwortliches Lernen.

Die Schule hat eine neutrale Beratungs- oder Fachstelle, die bei Problemen konsultiert werden und für Moderationen zugezogen werden kann.

Ja, mit der neuen Schulsozialarbeit haben wir hier eine sehr gute Lösung. Allerdings hat sich das noch nicht ganz eingespielt, Moderationen hätte ich zwar schon nötig gehabt, habe sie aber noch nicht bekommen.

Spiegel

Wer die Synagoge in Lugano angezündet hat, wissen wir noch immer nicht. Aber Paul Spiegel, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, sagt im SPIEGEL-Gespräch [SPIEGEL Nr. 12, 21.3.05]:

SPIEGEL: Was tun? [gegen“ die neue Enthemmung“]

Paul Spiegel: Der Schlüssel liegt in den Schulen. Viele Lehrer tun ihr Bestes, da erlebe ich wunderbare Beispiele für Engagement weit über das übliche Masse hinaus. Aber wo, frage ich mich, gibt es zum Beispiel Fortbildungsseminare für Lehrer, die ihnen helfen, dieses Thema Holocaust didaktisch so umzusetzen, dass die Schüler nicht genervt abwinken. Die meisten Jugendlichen wissen doch heute, was in der Nazi-Zeit mit den Juden geschehen ist. Die wollen vielmehr wissen, warum so etwas in Deutschland passieren konnte. Da klaffen grosse Informationslücken. Und die Lücken werden bestimmt nicht kleiner, wenn ausgerechnet im 60. Jahr der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz deutsche Kultusministerien Fahrten von Schulklassen in Gedenkstätten mit der Begründung ablehnen, dafür sei kein Geld übrig.

Und aus Herr Raus Beitrag „Warum manche Leute gerne Bücher verbrennen und ich nicht“ erwächst eine Diskussion.

Haben wollen

Eine Kollegin wollte Anfang Woche etwas von mir. Etwas, was nichts mit der Schule zu tun hatte, nämlich Beratung zum Thema Usability von Websites. Dann wollte sie, dass ich die Navigation für eine Website mit Warenkorb entwerfe, die sie als Hobby betreiben würde. Ich mache derlei seit vielen Jahren, ich bin – auch wenn man das diesem Weblog nicht ansieht und das ist ja gerade das Erholsame daran – in diesen Dingen bewandert genug, um Aufträge zu bekommen und habe ihr meinen Preis genannt. Darauf hin ist sie ziemlich aggressiv geworden. Und ich habe pariert. Mit den üblichen Argumenten, die zu brauchen mir allerdings im Kopierräumchen ungewohnt waren. Argumentiert habe ich z.B. damit, dass wohl niemand auf die Idee kommen würde, einer Musikerin vorzuwerfen, dass sie in der Zeit, in der sie übt, auch ein Dach über dem Kopf haben muss? Und dass sie auch bedenken muss, dass sie einmal ein neues Instrument braucht. Und dass sie das im Preis für ihren Auftritt einrechnet. Es sind nicht alle Lehrerinnen und Lehrer und können auf eine (wenn auch unterschiedlich gute) Infrastruktur zurückgreifen. Ich bin sehr sachlich geblieben, war aber trotzdem ziemlich frustriert nach den Schimpftiraden als Reaktion auf meine mangelhafte kostenlose Kooperation (O-Ton: „heute ist das Kollegentum nichts mehr wert, heute geht alles bachab und wenn man etwas will, muss man es selber lernen, den Rest kann kein Mensch bezahlen“).
Heute ist die Kollegin zu mir gekommen und hat mir gesagt, sie hätte lange darüber nachgedacht und könne mich nun verstehen. Das sind Erfolge, wie ich sie nur in der Schule erlebe. Und es muss ja nicht immer eine Entschuldigung sein.

Volksschule III

Ich wollte es lange nicht eingestehen, aber inzwischen bin ich zur Überzeugung gelangt, dass viele Repräsentantinnen und Repräsentaten der Volksschule meine Auffassung von Pädagogik und Bildung nicht teilen. Ich weiss sehr wohl, dass es auch andere gibt, nur leider ist die Trefferquote bei mir mit einem einzigen Kind sehr klein. Selber schuld.
Ich rede hier nicht von riesigen Gemeinsamkeiten und Visionen, sondern vom kleinsten gemeinsamen Nenner. Wie zum Beispiel, dass Ziele im Leitbild ernst genommen werden. Eben Ziele sind, nach denen man gemeinsam strebt und nicht Zeilen, die man unter den Tisch kehren kann.
Pädagogik ist Erziehungslehre und zu jeder Lehre gehört die Erfahrung, die andere schon gemacht haben.
Sicher, ich wohne in einem „schwierigen“ Quartier, aber ist das ein Grund, die Leitgedanken zu vernachlässigen? Eher das Gegenteil. Maria Montessori, Rudolf Steiner und Janusz Korczak haben mit Kindern aus der Unterschicht oder gar aus Elendsvierteln gelernt und genau in dieser Arbeit die Richtlinien für ihre Pädagogik gefunden. Und über diese Richtlinien werden heute Tausende von Seminar- und Doktorarbeiten verfasst.
Indes, alles Gesagte und Geschriebene, alles noch so logisch Durchdachte ist nicht das Wegweisende, und Korczaks Bedeutung liegt nicht darin, dass er es gesagt und aufgezeichnet, obwohl bei ihm Wort und Schrift sich durch ein Höchstmass an menschenmöglicher Empathie auszeichnen, sondern darin, dass er dem Gesagten und Geschriebenen nachgekommen ist mit der Tat.
Werner Licharz in: Janusz Korczak – Zeugnisse einer lebendigen Paedagogik (ich glaube, das ist ein Aufsatz im vergriffenen Titel: „Mehr als ein pädagogisches Credo,“ aber ganz sicher bin ich nicht.)
Ich könnte meine Ungehaltenheit gegenüber der Volksschule des Kindes vielleicht so ausdrücken: Bildung ist ein Menschenrecht. Ein Mensch, dessen Beruf es ist zu lehren, braucht also eine Haltung zum Lehren. Und diese Haltung können wir nur teilweise in Kursen vermitteln oder vermittelt bekommen. Diese Haltung müssen wir uns erarbeiten, genau wie der Arzt, der heute noch in Thailand Leichen identifiziert. Man kann ihm Stategien und Instrumentarien beibringen, aber die Haltung muss er sich erarbeiten. Und damit muss er in guten Zeiten anfangen.
Wenn es gut geht, bedeutet das nicht, dass man nichts machen kann.
Und wenn es schlecht geht, bedeutet das nicht, dass man nichts machen kann.

des Tages Fülle

Heute war ein prallvoller Tag, ich kann nicht mehr wirklich gerade stehen. Aber Bloggen geht ja im Sitzen.
Gut: Unser Perspektiveworkshop ist auch mit der Parallelklasse sehr gelungen und ich habe seit Montag schon dik’sche Verbesserungen anbringen können. Was befriedigend war.
Gut2: Ich habe heute die perfekte Übungslektion erlebt. Chapeau, Manuela (die Schneiderin)!
Gut3: Ich bin stolz auf meine letztnächtlich geschriebenen Buchtipps.
Schlecht: Ich bin praktikumsmüde, ich kann diese Kreise und Beurteilungen und Reflexionen fast nicht mehr ertragen.
Schlecht2: Mein Kind will (meines und Fachpersonen Erachtens aus guten Gründen) nicht mehr in die Schule. Es geht aber trotzdem und lässt seine Wut an mir aus, indem es mich mit Kissen und Schimpfwörtern bewirft.
Schlecht3: Meine Erwerbsarbeit steht in einem selten miserablen Verhältnis zur unbezahlten Arbeit und mein (einziges!) Konto zeigt CHF 9.75. (Obwohl ich natürlich als Schweizer Bürgerin über so etwas nicht reden, geschweige denn schreiben dürfte.)
Gute Nacht.

Goa no more

Eigentlich eine schöne Geschichte, die wortschnittchen heute gepostet hat. Mit Hermann Hesse und dem Chilom ist die goastische Stimmung treffend beschrieben. Und dass der letzte Hippie pünklich ist kann schon sein.
Aber ich bin noch ganz im Buch von Sophie Dannenberg, Das bleiche Herz der Revolution. Eine Story, die nichts tut als Salz in die Wunden streuen und Oberflächlichkeit und Verlogenheit der Achtundsechziger anprangern. Die Sophie Dannenberg hat Jahrgang 1971 und lässt kein gutes Haar an der Generation.
Nun, Hippies und Achtundsechziger sind vielleicht nicht per se das Gleiche. Und Hippie oder Achtundsechziger-Bashing ist üblicherweise nicht mein Ding.
Aber wortschnittchen hat Recht, in Goa, das waren sie. Und wenn nicht, wars ihr inneres Exil.
Dieser Eintrag ist ein reines Fragment. Die Erklärung ist rein persönlicher Natur.