Im Contactcenter

Meine Lernenden haben es wirklich nicht leicht. Die Buchhändler/innen werden wie eine aussterbende Spezies behandelt, die die Kurve nicht mehr kreigt und die Fachleute Kundendialog stehen schon fast aus Prinzip ständig in der Kritik. Denn am Telefon gut bedient zu werden, ist selbstverständlich, die Kundschaft speichert nur schlechte Erlebnisse ab.
Die NZZ hat wieder einen von diesen schon zahlreich erscheinen kritischen Artikel über „Callcenter“ veröffentlicht. Immerhin kam dabei noch der Präsident des Berufsverbandes zu Wort. Er erwähnt die neue Lehre, an der wir hier täglich bauen und nutzt die Gelegenheit zu erklären, warum Callcenter längst zu Contactcentern geworden sind.
Letzte Woche haben wir mit dem Kundendialog-Kollegium unsere Lernenden im Contactcenter der Swisscom besucht. In der Stunde, in der ich an der Hotline mithören durfte, wurde kein einziges Geschäft abgewickelt, es war reiner Support. Dabei spielten technische Fragen eine Rolle, aber oft ging es um Einzelschicksale: Rentnerinnen, die noch nicht bezahlen können, weil die Rente neu später eintrifft, Ehemänner, die merken, dass noch andere Handynummern in der Familie existieren, von denen sie nichts wissen und Menschen, die bei entsprechenden Angeboten (25.00/Sek). zuerst 5 Sekunden Musik bekommen und so Hunderte Franken vertelefoniert haben.
Besonders überrascht hat mich die Grösse der Abteilung Social Media, die sich hauptsächlich mit Twitter befasst. Auf Fragen, Bemerkungen und Kritik @swisscom wird hier rund um die Uhr reagiert. Es erschien mir aber nicht der Schreckensjob zu sein. Die Mitarbeitenden waren Networking-Fans, es war eher eine Stimmung wie in Büros der IT-Branche. Motivation gepaart mit Geschwindigkeit und ab und zu ein träfer Spruch.

World Press Photos

Mich beeindruckt das World Press Photo 2013. Es zeigt vieles in einem: Die meisten Menschen zirkulieren nahe ihrer Heimat auf Fluchtrouten, Handys sind universell, Männern kriegen mehr Chancen, Menschen orientieren sich an Küsten. Daniele Muscionico schrieb heute in „Der Bund“ treffend:
(…) es [das Bild, nja] tut das mit einer poetischen Leichtigkeit und mit einem Ernst, die dazu führen, dass hier an die Lage der Flüchtlinge erinnert wird mit einem wichtigen, würdigen Protokoll.
Ich schätze den World Press Photo Contest, weil er mir als Privatperson ein gut sortiertes Archiv der internationalen Pressefotografie eines Kalenderjahres öffnet und dem vernachlässigten Photojournalismus eine Plattform bietet. Zudem dient er als Journal, weil dank des Wettbewerbes eine Auswahl von Ereignissen in einem Jahr gegenüber dem Publikum noch einmal visualisiert wird.
Wie der Anschlag auf den Bostoner Marathon. Mir ist dieser nahe gegangen, weil ich damals in den USA war, aber auch, weil die blutjungen Täter wieder so ein Beispiel furchtbar schief gelaufener Integration waren. Zudem gehören Laufschuhe neben Büchern zu meinem alltäglichen und vertrauten Lebensmaterial.

Zum Abstimmungsergebnis

Natürlich bin ich frustriert über das Abstimmungsergebnis, danke der Nachfrage! Eure Nachrichten haben mich aufgemuntert und das geteilte Leid hat mir über den Montag geholfen.
Das, was ich wie auch mein Mann und mein Sohn für dieses Land und seinen Wohlstand zu leisten vermögen, wird durch dieses Resultat gehemmt und geschmälert. Wir können leider alle drei nicht jagen, uns fehlen die Kenntnisse in der Gerberei und die Erfahrung im Sammeln von Beeren, Pilzen und anderen Geschenken der freien Natur.
Unsere Aufgaben liegen in der Versorgung der Schweiz mit Bildung, Software und Pflege. Jeder von unserer kleinen Familie kann seine Arbeit nach der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative weniger gut machen und sich und sein Team weniger oder überhaupt nicht mehr entwickeln.
Aber wir sind halt eine Minderheit. Dass die Mehrheit der Schweizer Selbstversorger sind, macht das Abstimmungsergebnis irgendwie verständlich.

Schuljahre überspringen

Ob Gotthelf oder aktuelle Zeitschriften der Erziehungsdirektionen: Egal, was ich über die Schweizer Volksschule lese, sie scheint mir auf das Mittelmass und höchstens noch auf die Schwachen ausgerichtet zu sein.
Das überrascht nicht weiter, denn überragende Leistungen sind in der Schweiz wenig angesehen und wenn, dann nur bei besonders bescheidenen Persönlichkeiten. Würde Roger Federer nur schon die Frau wechseln oder ab und zu eine Party schmeissen, wäre er wohl noch bewundert, aber nicht mehr respektiert.
Zurück zur Volksschule: Eltern und Lehrer überlegen es sich deshalb sehr genau, ob sie ein Kind eine Klasse überspringen lassen wollen, wenn es mit dem Schulstoff, ein, zwei Jahre voraus ist. Hat das Kind eine genügend bescheidene Persönlichkeit, um in der neuen Klasse nicht aufzufallen? Wird es beim traditionellen Orientierungslauf in der neuen Altersgruppe das Mittelfeld erreichen? Kann es das Turnsäckli zuziehen, die Schuhe schnell binden, die Veloprüfung bestehen? Kann es stillstitzenstillsitzenstillsitzen? Bei Jungs fragt man sich auch, wie das mit der Rekrutenschule laufen soll, denn da gibt es weissgott nichts zu überspringen. Und was sagen die anderen Mütter, die das Kind von der Spielgruppe kennen, wo es – mit Verlaub – nicht das Zuverlässigste war?
Eben, so geht das hin und her und am Ende findet man die Langeweile das kleinere Übel. Ich kenne leider nur einen einzigen Fall, wo das Überspringen völlig problemlos gelaufen ist und das übersprungene Jahr die ganze Schullaufbahn hindurch bestehen bleiben konnte. Das war mein Schwiegervater, eines von sechs Pfarrkindern. Da die Lehrerin ihn nicht in der ersten Klasse sah, weil die Kindergärtnerin vermeldet hatte, er könne lesen und schreiben wie ein Zweitklässler, bestellte sie geistesgegenwärtig den Schulinspektor, um das Kind zu beurteilen. Keine Diskussionen mit Eltern oder Kollegium oder dem Kind selber, keine Vorabinformation, keine Fragen.
Als mein Schwiegervater die dritte Woche in die erste Klasse ging, kam also der angesehene Schulinspektor aus der Region vorbei, nahm ihn zur Seite und liess ihn rechnen. Danach wollte er ihm einen Satz diktieren, um Schrift und Rechtschreibung zu prüfen.
„Wir haben zu Hause Kaninchen,“ war der Satz des Schulinspektors. „Nein, wir haben zu Hause keine Kaninchen,“ bekam er zur Antwort. „In der Taubstummenanstalt haben sie Kaninchen,“ korrigierte sich der Inspektor, denn das wusste jedes Kind. Mein Schwiegervater schrieb den Satz und der Inspektor wies ihn an: „Ab morgen gehst du zu Frau Hostettler in den Unterricht.“ Die Frau Hostettler war die Zweitklasslehrerin. Gemunkelt wurde im Dorf schon hin und wieder, aber angezweifelt wurde der Entscheid nie, mein Schwiegervater machte seinen Weg und wurde Professor der Chemie.

Pas un jeu d’enfant

Agglomération genèvienne Agglomération genèvienne
Aujourd’hui j’étais à Genève pour trouver une chambre ou studio à louer. Tout le monde m’a dit: « Une tâche insoluble ! » Tout le monde a raison.
Agglomération genèvienne Agglomération genèvienne
Quand même c’est le bon moment de commencer la documentation de mon séjour linguistique avec une nouvelle catégorie. D’une part pour moi-même, d’autre part envers le Canton de Berne, qui m’a donné la permission. Le projet: Passer le DELF B1 à Berne (déjà fait) et passer les mois octobre et novembre 2014 en Suisse Romande pour faire le B2, visiter des autres écoles de formation et les nouveaux apprentis agents relation client.
Agglomération genèvienne Agglomération genèvienne
Je fait encore plein de fautes. Mais j’espère le progrès affleurerait.

Jeden Sonntag

setze ich mich abends hin und schaue meine vergangene und kommende Woche an. Zu erzählen gibt es immer etwas, gerade jetzt zu Semesterende zum Beispiel überraschende Leistungen und lausige Ausreden. Mit zunehmendem Alter merke ich einfach, dass ich meine freie Zeit nicht mit elektronischen Geräten sondern mit Menschen verbringen und hinaus ans Wetter will. So wie als Kind. Leben in einer analogen Welt.
Jetzt bin ich wieder eingeschaltet. Und das ist schon recht. Ich muss halt weder zu den Kühen noch in den Hühnerstall, um mich und die meinen zu ernähren. Ich muss ins Internet.

Lesen in der Öffentlichkeit

Natürlich, Lektüre und Wissen sind verschiedene Dinge. Aber gegen kein Glück der Welt würde ich den Lesehunger tauschen, den auch die grösste Menge von Büchern, bedruckten Seiten und Worten nicht befriedigt, dieses süsse Gefühl von einem noch nicht gelesenen guten Buch.*
Ich habe beruflich keine besonders gelungene Zeit, auf jedes gelöstes Problem folgen fünf neue. So tute ich, was ich in eher aussichtsloser Lage meistens tue: Ich gehe öfter in die Buchhandlung und kaufe ein Buch. Neulich eines, auf dessen Erscheinen ich mich schon lang gefreut hatte. Schon auf dem Weg von meiner Lehrbuchhandlung zur Haltestelle drehte und wendete ich es die ganze Zeit in der Hand, stieg dann in den Bus, setze mich neben jemanden, entfernte endlich das Einschweissplastik und liess das Lesebändchen baumeln.
Ich begann. Auf S. 26 wurde ich sanft angestossen. Die Dame neben mir flüsterte: „Bitte entschuldigen Sie. Aber ich müsste bei der nächsten Station aussteigen.“ Es klang nett. Ich schaute auf und war doch unangenehm berührt zu merken, dass noch andere Leute mich beobachteten und der Mensch auf dem Sitz hinter mir weit über meine Schulter lehnte.
Auf diese Weise öffentlich zu lesen ist hier so selten geworden, dass es auffällt. Wer heute sichtbar liest, liest ein und dasselbe Printprodukt oder auf einem Handy.
Ich fühle mich befangen.

*aus Warlam Schlamaow, Das vierte Wologda, Erinnerungen, das Buch, in dem ich las.