Nachrichten aus der Abteilung von 2006

Seite aus dem Fotoalbum zum 1. Lebensjahr
Weil ich ein Bild brauchte, habe ich willkürlich sechs Pegasus-Ausgaben von 2006 aus dem (unvollständigen) Archiv geholt. Und wie immer, wenn ich alte Zeitschriften oder Zeitungen lese, stellt sich bei mir grosses Erstaunen ein: Darüber, wie anders das Leben dereinst gewesen ist und darüber, wie gleich die Probleme geblieben sind. Im Mai 2006 bemerkte mein (stilistisch wie konzeptionell unterschiedlich gearteter Vorgänger) im Artikel „Wo bleibt denn der nächste Pegasus?“:

Als unser offizielles Organ kann der Pegasus nicht „so nebenbei“ verfasst werden. Deshalb müssen angesichts der bemerkenswert angewachsenen so genannten Peripheriearbeiten oder, salopp ausgedrückt, des Papierkrams, zwangsläufig Prioritäten gesetzt werden.

Im August 2006, nach den Abschlussprüfungen, schrieb er:

Nach dem Motto: Milde erreicht mehr als Heftigkeit haben wir von jeder und jedem gefordert, was sie/er zu leisten im Stande ist. Auch haben wir stets ein offenes Ohr gehabt für die tendenziell leider start zunehmenden psychischen Probleme, privaten Sorgen und Nöte und versucht zu trösten, zu beraten, zu leiten. Auf diese Weise wandelte sich Fremdsein, Skepsis, hier und da Lausiskeit, in gegenseitige Anerkennung, Achtung, Vertrauen und Freundschaft.

Im September titelte er „Chaos“ zur Rechtschreibereform. Im Oktober verfasste er einen hellsichtigen Artikel zur gerade eben knapp nicht aufgehobenen Buchpreisbindung. Auf die guten Wünsche zum Jahreswechsel folgte im Januar 2007 „Das Lehrstück“:

Ein kürzlich genommener Augenschein in Londons Buchhandlungen offenbarte wenig Erquickliches. Seit die feste Preisbindung, das Net Book Price Agreement, 1997 abgeschafft wurde, verkaufen sich in Grossbritannien zwar Bücher mehr denn je. Aber welcher Art sind diese Bücher?

Das waren Sorgen.

Ab(schied) in den Weihnachtsverkauf

Wir haben schulfreie Zeit, weil die Azubis seit dieser Woche voll in den Buchhandlungen arbeiten. Dort werden sie nämlich immer gebracht. Wenn das Geschäft schlecht läuft, sind in der Spitzenzeit zu wenig Leute angestellt und es gibt viel Putz- und Einpackarbeit, welche die Azubis verrichten. Und wenn der Laden gut läuft, braucht es in dieser Zeit erst recht jeden und jede.
In der letzen Stunde durften die Klassen des ersten Lehrjahres bei mir wünschen, was sie machen wollten. Sie haben – etwas ungläubig wie mir schien – gefragt, ob sie wirklich ganz frei wählen dürften? Da wurde ich selbst unsicher und dachte, sie würden wohl einfach länger Pause machen oder früher nach Hause gehen wollen. Ich lag jedoch völlig falsch! Die eine Klasse wünschte sich, das Geschenkpakete machen zu üben, die andere wollte…
… Weihnachtslieder singen! Beide Klassen brachten das Material von Einpackpapier bis Notenblätter selber mit. Ich musste fast nichts machen und es sind traumhafte Stunden geworden.
Päckli-Stunde BB1A_2010 Päckli-Stunde BB1A_2010
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Junger Wein in neuen Schläuchen

Dieses Schuljahr ist für mich vom Unterrichten her anstrengender als andere, weil wir immer noch in der Übergangsphase zwischen der alten und der reformierten Ausbildung stecken. Viele denken, die Berufe würden nach neuen Berufsbildungsgesetz bloss ein wenig aufgepeppt und vor allem zu häufig umbenannt. Von Aussen mag das vielleicht scheinen, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Ausser Sport hat jedes Fach, das ein neuer Buchhandels-Azubi besucht, mindestens einen neuen Lehrplan oder ist überhaupt neu. Für mich heisst das, dass ich

  • die zwei Klassen des 3. Lehrjahrs nach alter Ausbildung unterrichte und nächsten Juni praktisch, mündlich und schriftlich prüfe,
  • die vier Klassen des 1. und 2. Lehrjahres nach neuer Ausbildung unterrichte und sie am Ende der Lehrzeit mündlich prüfen werde.
  • Konkret bedeutet es, dass ich neu

  • Themen unterrichte, die ich noch nie zuvor unterrichtet habe (Prozessdarstellung zum Beispiel)
  • Themen unterrichte, die ich Jahre nicht mehr unterrichtet habe (Novitäteneinkauf zum Beispiel)
  • Themen, die ich bereits unterrichtet habe, auf anderem Niveau unterrichte (Kennzahlen ein Lehrjahr früher zum Beispiel)
  • keine Doppellektionen mehr habe, sondern nur noch Einzellektionen (45 Minuten), was didaktsich völlig etwas anderes ist.
  • Ich will gar nicht klagen, im Gegenteil, diese Reform war mir ein Riesenanliegen, ich kreiere sehr gerne neue Unterlagen aller Art. Gerade mein neuster Test in einem ersten Lehrjahr – die betreffenden Azubis sind gerade mal vier Monate im Beruf – war ein schöner Erfolg. Ich konnte schon viele ihrer Antworten für das Lösungsblatt verwenden. Damit ist allen gedient, denn was Azubis voneinander lernen merken sie sich einfach lieber (und schneller und besser).
    Doch es stört es mich mehr und mehr, dass es keine zusätzliche Minute Zeit für diese Veränderungen gibt und dass ich bloss immer wieder den Spruch vom „nur alter Wein in neuen Schläuchen“ höre. Wäre das die Methode unsere Berufsbildung aktuell zu halten, würden sich kaum zwei Drittel der Jugendlichen samt Eltern für diesen Weg ins Berufsleben entscheiden.
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    Farewell

    „(…) Wirklich dankbar bin ich für etwas viel Simpleres: dafür nämlich, dass ich an dieser Schule und in diesem Umfeld tagtäglich, auf Schritt und Tritt und Jahr für Jahr der schnörkellosen Realität, dem prallen, zwiespältigen und widersprüchlichen Leben habe begegnen dürfen. Ich habe mir weder Romane noch Filme, weder Erbauungs- noch Horrorgeschichten „reinziehen“ müssen, um meinen Alltag mit Spannung, Hoffnung, Entsetzen, Entrüstung und Ängsten zu ergänzen. Die ganze unfassbare, unglaublich faszinierende, dürrenmattsche und fellinische Widersprüchlichkeit und farbige Gegensätzlichkeit des Menschen – hier habe ich sie begegnet, im wahrsten Sinne des Wortes erlebt. Genau das entspricht denn auch meinem Menschenbild. Wir sind keine vom Himmel gefallenen Engel, sondern immer auch zoologische Parvenus. (…)“
    – Niklaus Ludi (1944 – 2010) im Jahresbericht der BFF 2008/2009
    „Farewell“ weiterlesen

    Berufswahlsaison

    Gestern war ich zu einer Veranstaltung eingeladen, um den Beruf der Buchhändler/in vorzustellen. Neben dem meinigen waren auch noch andere Verkaufsberufe mit Fachlehrern, Verbandsleuten und Berufsbildnerinnen vertreten. Dazu erzählten Azubis im letzten Lehrjahr aus ihrem Alltag und gaben Tipps für die Bewerbung. In den Pausen hatte jeder Beruf Gelegenheit, seine Unterlagen an einem Marktstand zu präsentieren und zu verteilen.
    Die Harmonie, der ich am Tor zum Emmental in der Berufswahl begegnete, traf mich unvorbereitet. Es kamen so viele ausgesprochen freundliche Jugendliche mit vorbildlicher Selbsteinschätzung und flankiert von mindestens einem gut vorbereiteten Elternteil. Höchstens zwei Menschen im Publikum konnte ich Migrationshintergrund unterstellen. Ich musste immer mal wieder an Frau Freitag und ihre Berufswahlvorbereitung mit der leidlichen Beteiligung denken. Und ich verstand wieder einmal, weshalb das Emmental wählt, wie es wählt, denn hier kann man schon auf den Gedanken kommen, die Entwicklung sei noch aufzuhalten. (Nur zwei der Azubis, die am Anlass Fragen beantworteten, waren aus der Stadt, auch die Buchhändlerin. Eine trug einen spanischen, die andere einen vietnamesischen Namen.)
    Dass die Berufswahl Saison hat, merke ich auch daran, dass selbst das Kind beim BIZ war. Es wollte erfahren, was ausser dem Gymansium noch zu ihm passen würde? Nach drei Sitzungen gab der Berufsberater seine Empfehlung bekannt:
    1. Buchhändler mit Berfusmatura
    2. Informations- und Dokumentatiosassistent mit Berufsmatura
    Danach: Sozialarbeiter
    Ich glaube, einen grössere Motivation für den Verbleib im Gymnasium gibt es nicht für dieses Kind.

    Pegasus 101: Lyrik und Buchmesse

    Die beiden ersten Schulzeitungen im Schuljahr erscheinen ziemlich nahe aufeinander, der Pegasus 101 ist schon fertig. Schwerpunkt ist die Lyrik von den Absatzzahlen über die Definition und selbst gemachte Gedichte bis zur Webtipps für die Gedichtsuche. Gefällt mir selber sehr, hab‘ ja eine Schwäche dafür. Im zweiten Teil gibt es den Rückblick auf die Buchmesse. Mein Bild der Buchmesse 2010 ist „Vorfreude“ aus der Azubi-Reportage (ab Seite 22).

    Pegasus 101 S. 22 - Vorfreude auf die Buchmesse 2010

    Zwischen(Messe)stand

    Wir sind gut aus Frankfurt zurückgekehrt. Nur hatte der ICE auf der Rückreise unsere 82 Platzreservationen zweimal verkauft. Die anderen 82 kamen vorwiegend aus Berlin und sassen schon. Das ging zurest nicht so gut, weil die Azubis an der Buchmesse ihr Gepäck vervielfachen – aber die Aufregung legte sich schon in Mannheim weitgehend und in Karlsruhe haben dann definitiv alle irgendwo geschlafen.
    Jetzt sortiere ich Fotos und Verlagsunterlagen und mache Schulzeitschrift und Unterricht daraus. Ich arbeite mit Notstrom, der nur für meinen PC und dessen Umgebung reicht. Der Umbau unseres Schulhauses ist noch immer nicht beendet, aber ich hoffe, dass die Heizung bald wieder geht. Sonst müssten wir dann irgend ein Bewegungsgerät unter den Pulten installieren und die Energie selber machen. Denn hierzlande ist wahrlich Winter eingebrochen.
    Der Bücherfragebogen ist eine so schöne Idee, ich könnte stundenlang lesen, was die Bloggerinnen hierzu schreiben, besonders, wenn sie es akribisch tun. Für eine traditionelle Buchhändlerin wie mich sind das alles tolle Kundengeschichten und eine sprudelnde Quelle für kommende Beratungsgespräche. Ich war noch nie beleidigt, dass Buchkonsumenten einander Bücher empfehlen oder einander davon abraten, das ist ja weissgott nicht erst seit dem Internet so. (Ein wenig komisch wirkt es auf mich, wenn die Software die Empfehlung übernimmt. Aber da alle Onlinebuchshops vermelden, es sei gewünscht und funktioniere.)
    „Zwischen(Messe)stand“ weiterlesen

    Argentinien: Von Azubis gelesen

    Jetzt, wo eine Schweizerin den deutschen Buchpreis bekommen und es damit sogar ein gutes Buch in die Boulevard- und Gratismedien der Eidgenossen – ich war wie erschlagen heute von diesem Wunder -geschafft hat,
    jetzt, wo die Buchmesse angefangen und jedes Presseerzeugnis viele, viele Buchempfehlungen veröffentlicht hat, muss ich unbedingt einen Hinweis auf die Tipps unserer Azubis machen. Vier ganz verschiedene Besprechungen sind ausgewählt und im aktuellen „Der Schweizer Buchhandel“ abgedruckt worden.
    Ich finde es schön, wenn Azubis etwas publizieren können, was über die Schule hinausgeht – und erst noch in der Messenummer. (Aber jetzt sind wir wirklich weg.)

    Wochenrück- und -ausblick

    Ich finde meine Lernenden in aller Regel nett, höflich und sorgfältig im Umgang mit Material. Aber sie sind auch kommunikativ und initiativ und originell. Klagen über sie höre ich daher ungern. Aber seit wir die schönen neuen Schulzimmer haben, häufen sie sich. Denn der neue, hohe Standard führt zu überhöhten Erwartungen an das Verhalten des gemeinen Azubis. Der Boden habe vom Herumschieben der Stühle und von den Schuhabsätzen schon zu viele Kratzer – Azubis tragen einfach keine Finken in der Schule! Die frisch getrichenen Wände hätten neben den Fenstern bereits den einen oder anderen Schlag von der Rolladen-Kurbel abbekommen – mit Beamer im Zimmer wird die Rollladenbedienung halt öfter nötig! Manchmal räumen wir offenbar nicht genügend schnell auf – ein Durcheinander und ein paar Brosamen auf dem Boden fallen jetzt sofort ins Auge. Aber fallen sie dann auch wirklich so viel mehr ins Gewicht? Ich möchte nicht soweit gehen zu sagen, dass Renovationen in Schulhäusern zweischneidig seien – nein, man muss sie machen. Aber ich mag die Azubis einfach nicht ständig für normale Abnutzung rügen, sonst fühle ich mich dann irgendwann selber ziemlich abgenutzt. Doch weil wir jetzt ohnehin schulfreie Zeit haben, ziehe ich mich ein paar Tage aus dem Schulleben zurück und lese offline:

  • Fox, Was am Ende bleibt (weil’s Franzen in seinem sog. Harper’s Essay lobend erwähnt)
  • Franzen, Mehr von seinen Essays – auf „Freiheit“ habe ich aber noch keine Lust
  • Roberts, Shantaram (weil’s mir einige Azubis sehr ans Herz gelegt haben – ist ja ein Wälzer…)
  • Grashoff (Hg.), Ich möchte jetzt schliessen (weil ich das schon lange lesen wollte)
  • Danach kommen letzte Vorbereitungen für die Buchmesse dran, auch dieses Mal wieder eine Exkursion mit zwei Klassen. (In unserer Fotogalerie finden sich noch ein paar Bilder von Messebesuchen frührerer Jahre.) 98% ist organisiert, reserviert, bis ins Detail geplant und ich freue mich.