Aus dem Reisenotizbuch [9]

11. April 2007 16:00
Wir sind durch den Zion gewandert und danach bin ich viel gefahren. (Schön für mich, aber gab e. Lücke hier im Reisenotizbuch.) Drei Stunden durch das Gebiet um den Sevier River. Nur Landstrasse, vorbei an heruntergekommenen Ranches mit abwechslungsweise Felsfarbenfächern und verschneiten Bergen im Blick. Bei dem Big Rock Candy Mountain mussten wir natürlich unbedingt das Schlaraffenlandlied hören, überhaupt kein Problem mit dem automatischen CD-Wechsler in diesem Auto. Man speist einfach seine ganze Sammlung in den Tower und wählt dann aus – wie ich das sonst nur von Läden kenne.
Zion National Park 2007
11. April 2007 18:00
Ein paar Meilen vor Green River, Utah ist wundervoll. Canyons soweit das Auge reicht und Vieh auf den Weiden dazwischen. Kühe und Rinder wie in Lucky Luke. Ich wundere mich nicht mehr, dass meine Schülerinnen die Lehre abbrechen, um hierhin zu heiraten. Wir hören und übersetzen dem Kind Cashs America, gerade „The West“. Im nächsten Stück „Big Foot“ werden dann die Indianer erschossen. Es wird klingen wie ein Kinderlied mit Abzählreim. Weiss noch nicht, wie ich das alles erklären soll.
Green River ist Nest und Metropole zugleich. Wie alle Städte, um die nichts ist.
11. April 2007 20:00
Fazit bei Rib-eye und Broccoli mit Kartoffeln „indian style“: Die Interstate 70 East zwischen Richfield und Green River ist der schönste Highway der Welt.

Wohin nach der Lehre?

Jedes Jahr machen ich, meine gute Kollegin und eine Sachverständige aus der Gewerkschaft einen Perspektivehalbtag für die Abschlussklassen. Dazu gibt’s von uns auch eine Linkseite, die wir laufend aktualisieren.
Im ersten Teil stellen die Lernenden Fragen, die sie schon früher anonym eingegeben haben. Die gehen meist in eine ähnliche Richtung: Wie viel Geld brauche ich, um selbständig leben zu können? Darf ich an einem Bewerbungsgespräch etwas fordern? Woher bekomme ich gute Referenzen? Wie gehe ich mit der Konkurrenz aus meiner Klasse um, wenn wir uns auf die gleichen Stellen bewerben? Wie viel Sozialversicherung bezahle ich?
Dann gibt es einen zweiten Teil in welchem wir längere und kürzere Laufbahnen vorstellen. Auch die, die ihr Fähigkeitszeugnis erst vor einem halben Jahr erhalten haben, schreiben uns ihre Erfahrungen im Beruf und im Leben. An den jungen Biografien haben die Abschlussklassen immer grosse Freude, weil sie ja zusammen in der Schule waren.
Der Buchhandel in der Schweiz kennt keine Meisterlehre, es gibt keine schulische Tradition der Weiterbildung. Das wird meist bedauert, auch von mir. Allerdings hat es auch seine guten Seiten: seit Generationen bringen wir einander Neues bei.
Ich habe noch nie erlebt, dass mir eine Buchhändlerin Informationen vorenthalten hätte. Auch heute, wenn ich jemanden – auch eine Verlegerin oder einen Zwischenhändler – etwas frage, weil ich nicht weiss, wie ich ein Thema anpacken soll oder wenn ich mit jemandem zu Aufklärungszwecken essen gehe: lauter offene Türen. Und wir reden dann eben nicht darüber, was das Gegenüber sowieso supergut kann, wie ich das oft bei anderen beruflichen Lunchs höre, sondern über das, was nicht geht, nicht rund läuft, wo Potential wäre, aber keine Zeit. Und überhaupt, was wir alles unterlassen haben und inskünftig in Angriff nehmen müssen und dass gute Bücher in der Regel immer noch nicht so richtig gut verkläuflich sind.
Pespektiven 2008
(Vielleicht gelten wir deswegen als Jammerbranche?)

Man hat ja schliesslich auch seinen Stolz

Es finde das irgendwie unpassend, wenn einer in dem Alter Skateboard fahre und erst noch mit Converse, meinte das Kind, als heute auf dem Bahnhofplatz ein grau melierter Rollbrettfahrer entsprechend beschuht an uns vorbei steuerte.
Nicht zum ersten Mal wuchs sich das Thema zu einem Disput aus, der keine Einigung zuliess. Vielleicht haben wir deswegen am Abend anstatt Gamen den Film „Back to the Future“ zwangsverordnet. Ein Ausflug in die Achtziger – „als deine Eltern jung waren“ sowie in die Fünfziger, „als deine Grosseltern jung waren“.
Der Mode schenkten wir besondere Beachtung. Michael J. Fox alias Marty McFly – „Uff, der ist inzwischen sicher schon vierzig!“ – trägt zu Beginn Rüeblijeans und eine weit geschnittene Jeansjacke ohne erkennbare Produktbezeichnung, darüber ein rotes Daunengilet „wie es heute nur noch Sechsjährige anhaben.“ Aber schon weisse Nikes mit rotem Logo. In den Film-Fünfzigern stellt er um auf Nylonhemd und Faltenhose und trägt dazu … Converse! Diesen Brand halten Kind und Peers zwar für hip, das Dilemma besteht nur darin, dass es Mutters Marke ist, weswegen man die und ihresgleichen lieber zur Abkehr davon anhält.
Doch zurück zu Marty: Egal in welchen Turnschuhen und in welcher Zeit, Marty fährt Rollbrett wie der Teufel. Und so ist dank Spielbergs Dokumentation bewiesen, dass meine Generation Skateboard und Converse erfunden hat und diese Accessoires beibehalten wird, solange es ihr passt.
Aber wir teilen gern.

Vom Meienberg selig

eine Nachricht zum Valentinstag, der ihm sicher gleichgültig wäre, wenn auch nicht die Reaktion des gemeinen Volkes darauf, das die letzten 24 Stunden wie verrückt nach Liebesgedichten fahndet und sogar hier. Dieser Meienberg, den ich unerfahrene Praktikantin als wütenden Zeitungsgenossen nur einmal an einer Redaktionssitzung erlebt habe, beschloss vor knapp 15 Jahren, sich mithilfe eines Coop-Plastiksackes des Lebens zu entledigen, doch nicht bevor er noch eine Geschichte der Liebe und des Liebäugelns erscheinen liess und ich daraus ein Schaufenster machte. Aber das ist wie gesagt lange her:
LIEBE SCHLECHTHIN (II)
Die Liebe ist langmütig und freundlich
Die Liebe eifert nicht
Die Liebe treibt nicht Mutwillen
Sie blehet sich nicht
Sie stellet nicht ungeberdig
Sie süchet nicht das ihre
sie lesset sich nicht erbittern
sie tracht sich nicht nach Schaden
sie frewet sich nicht der Ungerechtigkeit
sie frewet sich aber der Wahrheit
Sie vertreget alles
Sie gleubet alles
Sie hoffet alles
sie duldet alles
Die Liebe wird nicht müde
... übersetzte Luther aus dem Griechischen,
bevor er seinen Freunden, den Fürsten, den Ratschlag
gab, die Widertäufer auszurotten, und Kohlhaasen riet,
sich der weltlichen Gerechtigkeit zu beugen, nachdem
der Junker von Tronka ihm Unrecht getan hatte,
und seiner Ehefrau Katharina sagte In Der Woche Zwier
Schadet Weder Ihm Noch Ihr,
und sie dann regelmässig
bestieg, und den Juden Pest und Cholera an den Hals
wünschte. Dann übersetzte er weiter:

Wenn ich mit Menschen und mit Engelszungen redet
und hette der Liebe nicht
So were ich ein donen Ertz oder eine klingende Schelle
Und wenn ich weissagen kündte
und wüste alle Geheimnis
und alle Erkenntnis
und hette allen Glauben
also
das ich Berge versetzte
und hette der Liebe nicht
So were ich nichts

Tischgespräch [32]

[An jedem Ferienende stellt die Mutter dem Kind die Gretchenfrage.]
Mutter:
Und, was wirst du am Montag erzählen oder im Aufsatz schreiben?
Kind:
Alles sei so klein geworden.
Mein Kleiderbudget ist zu klein,
meine Freizeit ist zu klein,
meine Skihose ist zu klein,
mein Taschengeld ist zu klein,
mein Bildschirm ist zu klein..
Mutter:
Einspruch!
Kind:
.. mein Bildschirm war zu klein.
Meine „Ronaldinhos“ sind zu klein,
mein Büchergestell ist zu klein,
mein Duvet ist zu klein,
mein Pyjama ist zu klein,
meine Mutter ist zu klein…
Mutter:
Stimmt.

Dass früher alles besser war,

ist ja eigentlich allen klar und ebenso, dass das Unsinn ist.
Über diese beliebte Aussage im Lehrerzimmer wollte ich schon lange etwas in die Schulzeitung schreiben. Aber kein Text ist mir gelungen.
Dann kam letzten Oktober Frau Schmitt zum Kommentieren hier vorbei. Sie war die erste, die eine meiner bevorzugten Lyrikerinnen – Eva Strittmatter – kannte und sie besitzt erst noch die gleiche längst vergriffene Ausgabe „Beweis des Glücks“. Es entspannte sich darob eine kleine Mailkorrespondenz, in welcher sie mich auch auf Erwin Strittmatter, der Lyrikerin verstorbener Gatte, aufmerksam machte. Ich kannt ihn aus dem Regal, aber gelesen hatte ich von ihm noch nichts.
Inzwischen habe ich. Und bin in einem Tagebucheintrag aus den Sechzigern auf das gestossen, was ich im „früher-waren-die-Schüler-besser“-Zusammenhang schon länger suchte. Ich bat den Verlag um ein einmaliges Publikationsrecht, welches er uns freundlicherweise völlig hürdenlos erteilte.
Und so hat Frau Schmitt, die wegen unseres ähnlichen Lyrikgschmacks mein vollstes Vertrauen geniesst, mir einen Autoren empfohlen, welcher mir posthum zu Klarheit verhalf. Der sehr lesenswerte Abruck ist „Hilflos“.

Testbeispiel

Weil die Notenarbeiten vom Semesterende nun durch und die Bewertungen gemacht sind (jedenfalls mehrheitlich – Nachholtests gibt es bis zur letzten Minute), hier wiedermal ein konkretes Beispiel meines Tuns.
Ich finde Erfolgskontrollen herausfordernd und habe lange nicht begriffen, wie viel Zeit sie brauchen. Ich erstelle von einer thematischen Serie mindestens zwei, oft aber vier Tests, weil wir Parallelklassen und enge Schulzimmer haben.
Inzwischen bereite ich die Testfragen laufend nach einzelnen Unterrichtsstunden vor und beginne nicht wie einst im Papierberg nach Ideen zu wühlen, wenn ein Thema abgeschlossen ist. Nur so ist die „Auftragstreue“ – wie das ein geschätzter Kollege nennt -einzuhalten. Denn Unterricht läuft nie genau so, wie man das geplant hat. Hier wird ein Blatt weniger abgegeben, da geht ein Fachwort unter, dort überspringt man einen Abschnitt, weil irgend etwas Aktuelles wichtiger ist.
Wenn ich sage, ich teste in der nächsten Stunde dies und jenes, was wir in der Zeit von dann bis dann durchgenommen haben, ist das nämlich ein Auftrag, den ich erteile und der stimmen muss. Mit mündlichen Noten nicht minder: wenn ich den Auftrag gebe, ein Referat über ein Thema zu halten, dann muss ich die Kriterien vorher mitteilen und mich bei der Bewertung daran halten. Nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch, um mir Diskussionen zu ersparen.
Sicher zeigen Studien, dass altgediente Deutschlehrer mit Kriterienblatt und nach Gefühl auf die gleichen Noten kommen – aber ich bin ja leider kein altgedienter Deutschlehrer.
Testbeispiel.
Mit Lösungen.

Begrüssungsfrage am Montag

Manchmal, sonntagabends, wünsche ich mir still, ich würde an einer Unterstufe unterrichten. So könnte ich montagmorgens mit einem ermunternden Lächeln auf meinem frischen Gesicht vor der Klassentür stehen und jedes Kind ansprechen und durch Händeschütteln begrüssen. Die Kinder strahlten, schenkten mir Schneckenhäuschen und schilderten begeistert die Erlebnisse ihrer Freizeit.
In der Berufsfachschule habe ich am Montag die erste Stunde (seit Ewigkeiten schon, und Montagabend sowie Freitagnachmittag gehören mir ebenso – kaum zu glauben, doch darum reisst sich einfach keiner). Und ich mache Montag gern, ich weiss, es ist für die Lernenden die erste Begegnung der Woche und ich möchte, dass sie gut beginnt.
Aber was ist gut bei einer Ansammlung von Leuten, die oft gähnend und etwas antriebsschwach in den Pulten hängen und sich eigentlich weg wünschen? In der Lehre hat man wenig Freizeit und die vielen Menschen, die befugt sind über einen zu urteilen, ermatten einen. Jedenfalls bei mir war das so. Was passt also?
„Guten Morgen!“ „Willkommen in einer neuen Woche!“ „Sind Sie alle da?“ „Hat jemand etwas von X gehört und ist Y immer noch krank?“ Für einen Wochenbeginn kläglich, ist es nicht?
Die Woche hindurch schiebe ich mich zwischen die anderen Fächer, die Leute sind ja schon verschiedentlich begrüsst worden und mehr oder weniger eingelebt. Und wie man Stunden gut beginnt, darüber sagt die Fachliteratur weissgott genug. Nur der Montag sollte irgendwie würdiger sein. Doch Beten und Fahnengruss fallen wohl weg. Ein Korb mit Montags-Äpfeln? Ein Montagsrätsel? Ein Montagswitz? Ein Montagsblues?