Aus dem Reisenotizbuch [4]

6. April 2007 9:25
California 280 Richtung Redwood City. Friedhofsfelder, Kriegsgefallene über einen riesigen Hügel verteilt. In der Mitte ein Monument und oben drauf die Flagge auf Halbmast.
6. April 2007 10:00
Redwood City, dem Mann sein Daheim von 1976 – 1977. Die Schule sehe immer noch gleich aus, bloss kleiner. Es fährt ein Bus mit der Aufschrift vorüber:

Love is fleeting
Knowledge lasts.

Selby Lane School April 2007
6. April 2007, Themen im SFC:

  • Die Filiale von Cody’s Books in der Stockton Street schliesst nach einem Jahr.
  • Die Lehrer in Hayward streiken für mehr Lohn. Schule findet nicht statt.
  • Tanisha Tobie hat sich erschossen. Sie war 14 Jahre alt und spielte bei der Beerdigung ihres Grossvaters mit einem Gewehr.
  • Nancy Pelosi ist in Saudi-Arabien. John Kerry kritisiert Nancy Pelosi.
  • Cherry Blossom Festival in Japan Town April 2007
    6. April 2007 19:00
    Japan Town, Restaurant „iroha“. Endlich Grüntee, endlich Essen. Der lange Marsch durch SF hierhin führte uns am UN-Civil-Center vorbei. Keine besonders gute Idee, da es in einer für SF ungewohnt slummigen Gegend liegt, wo weit und breit kein ÖV fährt. Es war sehr kalt und zugig.
    Der Anblick Drogensüchtiger, die sich einen Schuss setzen, ist für ein Berner Kind nichts Ungewöhnliches. Aber der Einbeinige, der sich vom Rollstuhl aus auf die Parkuhr stützte und sein Gemächte unter den Boxers raushängen liess um ungehinderter zu pissen, war schon beeindruckend.
    UN in SF April 2007

    arg um ente

  • weil mich ein Hans schon zum Frühstück zum Lachen gebracht hat
  • Weil meine Eherenamtssitzung von heut‘ auf morgen verschoben wurde
  • weil ich nun wirklich die kreative Herstellung sämtlicher Prüfungen hinter mir habe
  • weil ich zwei Stunden Interview mit dem scheidenden Chef auf acht Seiten heruntergebrochen und seinen Segen bekommen habe
  • weil ich für das nächste Schuljahr genau die richtigen Zimmer und das richtige Büro für die Abteilung erhalten habe
  • weil ich und das Kind uns geeinigt haben über die Nussgipfel, die ich nicht in die Landschulwoche schicken werde und über seinen Aufsatz, in dem jährlich kleine Kinder entführt und ertränkt wurden und das immer am 24. Dezember
  • gehe ich zeitig und zusammen mit dem passenden Buch ins Bett:
    staat
    sex
    amen
    Die 81 Sprachbeobachtungen von Beat Gloor (Titel dieses Beitrags ist eine von ihm). Denn man sollte einfach auch das Gute sehen bloggen.

    französische Zustände

    In der Sonntags-, Alltags- und Wochenpresse (besp. dem heutigen SPIEGEL) habe ich gelesen, dass Arnaud Lagardère seine Journalisten entlässt, wenn deren Äusserungen nicht mit dem gefühlten Bild des neuen Präsidenten korrespondieren. Ob’s nun um einen Schnappschuss von Cécilias Lover ging oder darum, dass sie die Wahl schwänzte: Dass in Frankreich italiensiche – oder gar russische! – Zustände denkbar wären, war der hiesigen Presse einige Meldungen und sogar ein paar entsetzte Analysen wert.
    Ich habe 2003 zusammen mit unserer Französischlehrerin eine damals gut recherchierte Liste erstellt, mit der wir den Schülerinnen darlegen wollten, dass weit über die Hälfte des französischen Verlagsumsatzes von Lagardère-Töchtern erwirtschaftet wird (durch EU-Eingreifen im selben Jahr hat sich das dann wieder geändert). Leider ist es uns damals nicht gelungen, auch noch alle Printmedien und TV-Sender zuverlässig zuzuordnen.
    Wenn ein französischer Politiker also mit diesem Giga-Unternehmen Kollateralschäden und -nutzen teilt (Lagardère macht Flugzeuge und musste in PR-mässig schlechten Phasen auch schon mühsame Fragen zur Rüstung beantworten), hat er den Grossteil seiner ohnehin beschränkten politischen Freiheit eingebüsst.
    Ich bin daher erstaunt zu lesen, diese Vorkommnisse demonstirerten Sarkozys Macht. Wie erbärmlich muss der Wirkungskreis eines Politikers sein, wenn er schon vor Amtsantritt vor einem Medienerben die Hose runterlassen muss, um ein paar Spazierfotos und eine Information aus dem öffentlich zugänglichen Wahlregister zu verhindern? Und dies offensichtlich ohne Erfolg und obwohl er im Moment zu den besten Pferden im Verlagsstall gehört. Denn die XO Editions, bei denen Sarkos Bestseller „Ensemble“ erschienen ist, sind selbstverständlich Lagardères Töchter. (Auch Max Gallo, der meine Favoritenliste der Wahlkommentare anführt, ist im Moment in XOs Werbe-Gnaden. Gallos Statement zu Sarko: „Er ist der Nation dankbar, er ist stolz, Franzose zu sein. Und vielleicht ist es letztlich wichtiger für die Zukunft unseres Landes, dass ein Immigrantenkind Präsdident geworden ist als eine Frau.“)
    Viel mehr als an einen Mächtigen erinnert mich Sarko an Heines „Ein Haar in der Milch“. Das ist aus den Briefen, die Heine aus Frankreich schrieb und die unter dem Titel „Über die französische Bühne“ meines Wissens schon im 19. Jahrhundert veröffentlicht worden sind:

    Frankreich ist das Land des Materialismus, er bekundet sich in allen Erscheinungen des hiesigen Lebens. Täglich steigert sich meine Angst über die Krisen, die dieser soziale Zustand Frankreichs hervorbringen kann. Wenn die Franzosen nur im Mindesten an die Zukunft dächten, könnten sie auch keinen Augenblick mit Ruhe ihres Daseins froh werden.
    Und wirklich freuen sie sich dessen nie mit Ruhe. Sie sitzen nicht gemächlich am Bankette ihres Lebens, sondern sie verschlucken dort eilig die holdesten Gerichte und stürzen den süssen Trank hastig in den Schlund und können sich dem Genusse nie in Ruhe gewahr werden.

    (Bemerkung für Nicht-Heine-Leser: Heine liebte Frankreich. Und Heine schrieb über Deutschland oder England auch nicht freundlicher. Nur anders.)

    Aus dem Reisenotizbuch [3]

    Golden Gate Bridge on 6th of April 2007
    Aus dem Fotonotizbuch: Aufnahme vom 6. April 2007.
    Mit Brücken verbindet mich eine Hassliebe. Ich mag die Leere darunter nicht. Ich verabscheue sie als Reiseziel für Lebensmüde. Aber ich bewundere die Architektur, denn die Brücke als Bauwerk ist immer und überall eine Herausforderung.
    Und ich liebe ihren Ton.
    Jede Brücke klingt anders.
    Happy Birthday GGB.

    Maaam…?

    Kind:
    … hast du mir ‚was mitgebracht?
    Mutter:
    Ja.
    Kind:
    Was?
    Mutter:
    Ein Buch.
    Kind:
    Oh. Ein Buch.
    Mutter:
    Ja. Es ist neu und ich dachte es passt zu dir.
    Kind:
    Ahaa.
    Mutter:
    Komm schon, ich zeig’s dir.
    Kind:
    Also halt.
    Mutter:
    Hier. Mich haben schon die ersten Seiten gepackt, es geht darum, dass jemand versucht – man weiss nicht wer – einen Jugendlichen als labil hinzustellen. Ein sehr fieser Anfang. Aber du brauchst es ja nicht jetzt zu lesen. Ich leg’s hier hin.
    Kind [eine halbe Stunde später]:
    Das ist ja wirklich mega-neu. Die CD die der hier kauft, ist erst vor einem halben Jahr erschienen!
    Kind [kurz vor Mitternacht]:
    Fertig! Uff!
    Mutter:
    Und – ?
    Kind:
    Sehr gut.
    Abgerechnet
    Natürlich ist Leseförderung nicht immer so einfach. Doch ich habe fünf goldene Regeln, die ich im Laufe der Jahre bei veschiedenen Kindern angewendet und als Buchhändlerin oft weiter empfohlen habe. Viele haben mir zurückgemeldet, dass es ganz gut funktioniert:

  • Lassen Sie Kinder selber Bücher auswählen und kaufen Sie ihnen regelmässig ein nigelnagelneues Buch. Nostalgie („Das hat mir schon meine Omi vorgelesen!“) kann bei einem Kinderbilderbuch zwar schön und traditionsbildend sein, aber Kinder von heute sind in erster Linie Kinder des 21. Jahrhunderts.
  • Drängen Sie Bücher nicht auf. Lassen Sie die Bücher und Zeitungsartikel und Zahnhygienebroschüren und Cannabis-Leporellos, die die Kinder lesen „sollen“, einfach herumliegen. Auf dem Teppich, im Klo, vor dem Schuhgestell und neben allen Sofas und Betten. Räumen Sie nicht ständig auf! Lassen Sie die Kinder lesen, wenn sie mal dran sind!
  • Sprechen Sie über das Lesen und nicht über das Nicht-Lesen. Selber herauszufinden, aus welchen Zutaten Gummibärchen genau gemacht sind, ist interessanter, als ständig „wenn du nur endlich ein richtiges Buch lesen würdest“ zu hören.
  • Hängen Sie die „Rechte des Lesers“ von Daniel Pennac auf. (Die verlinkte englische Kurzversion hat der grossartige Quentin Blake illustriert und das Original wurde in etliche Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche.) Das kann im Badezimmer oder im Kleiderschrak sein, irgendwer wird früher oder später schon darauf zu sprechen kommen.
  • Werten Sie nicht. Mickyheft-Jahre sind wertvoll, Comics sind gesund. Lesen ist lesen ist lesen.
  • Abgerechnet 2

    Aus dem Reisenotizbuch [2]

    5. April 2007 13:00 [Zeitzonen habe ich nie ganz verstanden.]
    Fast Food in China Town. Budget 20$. Kostet insgesamt nur 14$.
    Kind nimmt sich noch übrig gebliebene Nudeln zum Zvieri mit.
    Warten vor der Kirche auf Cable Car.
    Kind gibt „John Sick From Aids Need Food“ einen Quarter vom Taschengeld. John bleibt stumm, seine Augen sind geschlossen.
    Als ein anderer Tourist ihn heimlich fotografieren will, springt er auf, verdeckt das Gesicht mit den Händen und ruft „No! No!“. Der Unanständige erschrickt, als wäre ein Toter auferstanden.
    ***
    Zusatzeintrag des gleichen Tages aus dem Fotonotizbuch:
    Dieses Bild wurde mit vorherigem Einverständnis aufgenommen. Es zeigt einen weiblichen Tourist Guide in China Town. Sie erklärt der Reisegruppe, dass dieses Denkmal auf die erste kalifornische Volksschule hinweist, welche vor 160 Jahren auf heutigem China-Town-Boden gebaut worden war. Zum Vergrössern anklicken.
    First Public School in California

    Tischgespräch [26]

    Mutter:
    Ich finde, wir sollten uns weniger aufregen über die Verschleierten, so einfach dürfen wir doch nicht zu provozieren sein! Wir sollten das lockerer nehmen, ganz anders anschauen, wie kleine Kinder halt. Oder in die Mode einfliessen lassen, die Verschleierung übernehmen? Das wäre doch auch etwas für die Metrosexuellen?
    Vater:
    Ja, ein feines diagnoales Streiflein auf schönem Stoff über zarten Männerhäuptern. Firmen wären viel freier als beim klassischen Anzug, ihre Firmenfarbe ins ganze Tenue einfliessen zu lassen. Polizisten würde man in straffes Blau einschleiern, das Personal von Bernmobil in Weinrot. Die könnten bestimmt auch vom Gesichtsschleier profitieren, dann können sie fahren wie sie wollen.
    Die Männer würden die falsche Frau küssen und sich in den Polizisten mit dem schönen blau-weissen Tschador verlieben.
    Kind:
    Und die Sportler-Tenues, alles in Schleier. Puma-Schleier, Nike-Schleier, das würde doch passen. Und YB-Schleier mit der Dreizehn und Schwegler drauf.
    Vater:
    Ja, ihr habt mich überzeugt, ich begrüsse den Schleierzwang für alle und für Hunde. Ich kann diese sabbernden Hundegesichter in der Stadt nicht mehr sehen, ein Schleier wäre eine Wohltat.
    Kind:
    Aber Diebe könnten profitieren, je nach Schleier würde man sie kaum noch sehen.
    Vater:
    Genau, Tarnschleier für die Armee. Streifen kann man ja aufnähen.
    Kind:
    Und die Punks! Sie bräuchten eine Extra-Vorrichtung für ihren Irokes.
    Vater:
    Die bekommen einen Reissverschluss. Aber was ist mit den anderen? Sollen die Juden ihr Chäppli drunter oder drüber tragen? Und die Christen das Kreuz?
    Kind:
    Schreibt doch einen Leserbrief!
    Mutter:
    Genau. Das ist eine gute Grundlage für die nächste Toleranz-Debatte.

    mausarm

    manchmal macht es einfach knack. wenn ich mich über die schülerinnen beuge und am ihrem laptop etwas erkläre und einen buckel mache aber doch die hand nach der maus ausgestreckt halte und noch einmal und noch einmal und hurtig das und jenes online nachsehen aber sich nicht gerade hinsetzen für kein mail und der chef will, dass ich ihm dem memory-stick fülle, weil er schon wieder vergessen hat, wie es geht und er hat seinen pc schräg und einen rosenquarz darauf gestellt, wie das viele menschen tun, die den computer eher als zwang oder doktrin empfinden. wie gesagt, plötzlich ist einfach genug, obwohl ich doch gerade erst ferien hatte, und nun kann ich nur noch mit wenigen fingern schreiben und schlafen sowieso nicht mehr und das ganze rückentraining und üben von mauslosen kurzbefehlen ist wieder zunichte. allerdings wer weiss schon wie oft ich ihn ohne hätte, diesen rechten mausarm, der gar nicht mehr zu mir gehört sondern amputiert. schreiben mit adler, triumph über die maus.