How to: Artikel lesen

Letzte Woche habe ich die hier erwähnte Methode ausprobiert und bin sehr begeistert. Denn in meinem Untericht müssen Lernenden sehr oft Artikel lesen und manchmal auch solche, deren Terminiologie sie im ersten Moment etwas überfordert.
Mein Unterricht ist abhängig von Trends, von Medienmitteilungen und gerade im Moment stark geprägt von Änderungen in der Buchhandelslandschaft. Teils wegen der Filialisierung, teils wegen der Diskussion um die Preisbindung. Kurz gesagt, kann ich nicht davon ausgehen, dass das, was ich heute lehre, morgen noch seine Gültigkeit hat.
Die Methode mit Expertinnen und Experten kann so angewendet werden, dass ich als Lehrperson einen vollständigen Artikel abgeben, aber ihn doch aufteile. Wenn ich beispielsweise vier sinnvolle und ungefähr gleich lange Teile habe, nummeriere ich à la Turnlehrerin die Lernenden mit 1-4 durch, bis alle eine Nummer haben. Dann lasse ich die Lernenden mit der „1“ den ersten Teil in Einzelarbeit lesen, die Lernenden mit der „2“ den zweiten Teil und so weiter. Nachdem die vorgegebne Zeit abgelaufen ist, weise ich allen „1ern“ und „2ern“ und „3ern“ und „4ern“ einen Platz im Schulzimmer oder gar Schulhaus zu, an dem sie ihre Erkenntnisse besprechen und zusammenfassen können. Wenn das druckreif wird, lasse ich jede Gruppe ihre Zusammenfassung formulieren und mache daraus schöne Merksätze auf der Folie oder an der Tafel. Wenn ich beobachte, dass das noch nicht so ganz druckreif wird, dann mache ich noch einmal Gruppen, in denen je ein Mensch von Gruppe 1-4 drin ist und lasse diese die Folie/die Tafel/das Flipchart-Bild selber machen. Am Schluss wählt die Klasse die brauchbarste Zusammenfassung und die wird dann von allen übernommen.
Im dritten Lehrjahr hat eine Kurzvariante problemlos funktioniert. So: Alle lesen den ganzen Artikel in Einzelarbeit. Ich formuliere auf dem Hellraumprojektor die essentiellen Fragen (rot), z.B. bei einem Artikel über die Preisbindung in der Schweiz:
1. Was ist der Auslöser, warum ist das Thema auf dem Tisch?
2. Welches sind die Befürchtungen und was wären im Gegenzug die Lösungen?
3. Wie läuft es in anderen Sprachregionen der Schweiz?
Die Lernenden erarbeiten in den Expertinnen-Gruppen je eine Antwort auf die Fragen. Die schreibe ich dann in blau ebenfalls auf die Folie und schon ist die Essenz da und kann entweder auf der Rückseite des Artikels oder gleich im Artikel selbst notiert oder markiert werden. Zusätzliches Papier ist nicht nötig.

SAE mit K-Stufen

In einer (etwas gereizten) Gruppenarbeit gestern habe ich versprochen, dass ich nachgucken werde, was „SAE“ bedeutet. Die Abkürzung steht für „Society of Automotive Engineers“, aber das scheint ziemlich unwichtig zu sein. Ich musste eine Weile suchen, vor allem weil Wikipedia in Deutsch ein ganz anderes Resultat geliefert hat. (Weiss man, dass DIN = Deutsche Industrienorm? Oder OPEC = Organisation of Petroleum Exporting Countries?)
Ich habe noch ein bisschen weiterrecherchiert und viel Interessantes über diese US-Gesellschaft, die strenge Normen für die Automobilindustrie stellt, gefunden. Vor allem Historisches. Grosse Städte wie Detroit sind ja rein um die Automobilindustrie herum entstanden und wie es heute dort aussieht, darüber gibt es sogar Filme. Weil die SAE 2005 ihr 100. Jubiläum feiert, hat sie eine Geburtstags-Site kreiert.
Wenn ich den gestrigen Kurs verstanden habe, war das jetzt eine Reise durch die verschiedenen Taxonomiestufen (K1 bis K6). Denn wenn ich nicht hätte beurteilen (K6) können, wäre ich schon beim Eintrag im Wiki (grösstes interaktives Internetlexikon) gescheitert und alles Auswendiglernen (K1) hätte nichts gebracht, weil ich nämlich das Falsche gelernt hätte.
Ich meine aber: Ziel erreicht. Ich weiss, was SAE ausgeschreiben heisst, weiss aber auch, dass es eine unwichtige Information ist. Und nebenbei habe ich noch eine Menge Branchenfremdes gelernt.

Schwerpunkt?

Ich habe gleich am Anfang eine Kategorie „Schwerpunkt“ eingerichtet, ohne zu wissen, was das werden wird. Wie funktioniert das? Wenn ich einen Beitrag besonders wichtig finde, wenn er meinen Ideen zur Arbeit am Unterricht nahe kommt, schicke ich ihn (zusätzlich) noch in diese Rubrik. Inzwischen kristallisiert sich etwas an Schwerpunkt heraus:
Zwischenräume, in denen es manchmal an Kommunikation fehlt. Verbindung zwischen dem Unterrichten und dem Leben, Informationsaustausch zwischen den Lernenden aller Positionen, Alters- und Erfahrungsklassen. Zwischen dem was war, was heute ist und was daraus werden könnte. Zwischenräume, in denen ich etwas lernen, verändern und vielleicht sogar Lücken füllen kann.
Verknüpfen, vernetzen.

Kollektiv-Weblogs

Kollege Stefan hat mich gefragt, ob ich ihm Tipps für ein Weblog geben könnte. Es soll eine Linksammlung, an der Lernende mitarbeiten, werden. Wir haben die Möglichkeiten kurz mündlich besprochen, aber hier noch zwei Beispiele von Weblogs, die Vorbild sein könnten:
Das Kollektiv: Hier werden Links zu Medien- und Technikgeschichte gesammelt. Auf der linken Seite des Weblogs sieht man die Kategorien, denen die Links/Einträge zugeordnet werden. Berechtigte können die Kategorien laufend ergänzen und unten gibt es eine Suche, damit auch weitere Stichworte nicht zu kurz kommen.
NETBIB: Das NETBIB Team führt seine Sammlung von bibliotheksrelevanten Meldungen sehr ähnlich. Allerdings haben sie für ihre Kategorien keine Liste auf der linken Seite gewählt, sonder ein Dropdown-Menue. Auch die Suchmöglichkeit fehlt nicht. Das wäre ebenfalls eine Option für die Arbeit mit einer Klasse, die ortsunabhängig Ergänzungen vornehmen möchte.
Kleine Anmerkung zur Weblog-Geschichte: Genau da kommen sie her. Weblogs sind aus kommentierten Linksammlungen heraus entstanden.

Kinderlesesachen 2

In der Parallelklasse heute hatte ich drei Freiwillige für Bilderbuch und Märchen (auch Theorie). Es war ganz anders als gestern, aber trotzdem unglaublich gut. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass man so spontan zusammen mit Schülerinnen drei Lektionen bestreiten kann. Und das erst noch in der Mittagszeit von 11:20 bis 13:50. Ich bin sehr stolz auf die klasse Klassen.
Ich selber habe die ganzen drei Lektionen vorbereitet und einfach in jeder Klasse das unterrichtet, was nach den Erklärungen, Erzählungen und Überlegungen der Lernenden noch nicht zur Sprache (sprich: zu Notizen) gekommen war.
Abgegeben habe ich: Eine Märchenbibliografie, Beispiele von Tiergedichten, Empfehlungen zu originellen Kindergedichten und alten Rätseln aus Lesebüchern, wegen ihres schönen Metrums (Thama hatten die Lernenden in Literaturkunde).

Kinderlesesachen

.. und ich kann auch gleich weiterfahren mit dem, „was Schülerinnen können“. Ich hatte heute drei Lektionen mit einer Klasse des 2. Lehrjahres. Wir hatten ein volles Programm und dieses gemeinsam gemacht (was eine Premiere für mich war). Es ging darum, die Themen:

1. Märchen
2. Bilderbücher
3. gebundene Sprache für Kinder (Mundartverse, Abzählreime, Kinderlyrik)

in drei Lektionen unterzubringen. Die Schülerinnen wünschten keine Gruppenarbeiten. Ich muss noch sagen, dass es ausser den regelmässigen Tests und zwei Semesterarbeiten in meinem Fach keine Aufgaben gibt. Hausaufgaben bei mir sind, in der Buchhandlung und im Leben die Augen offen zu halten. Wo war ich? Eben, nicht Gruppenarbeiten, lieber Frontalunterricht. Ich hingegen hatte Zweifel geäussert, dass drei Lektionen frontal erträglich und lehrreich sein würden. So einigten wir uns auf eine Mischform mit Freiwilligen, die etwas vorbereiten würden. Von 21 Nasen wollten zwei.
Und es war genial! Ich habe mit Märchen begonnen (Rotkäppchen, ein wenig Freud und Jung und dann Verena Kast). Bevor wir den Rotkäppchentext lasen, gab es eine Paararbeit von 2×5 Minuten. Eine erzählt das Märchen aus eigener Erinnerung, die andere fährt nach fünf Minuten fort. Klar, dass WEG – WALD – WOLF bei allen vorkam.
Dann folgte die fulminant vorgetragene Bilderbuchstunde der beiden Schülerinnen. Keine Lektion, nein, eine Stunde und zum Abschluss zwei Bilderbuchgeschichten, die uns alle ins Kindergartenalter zurückkatapulitert haben, was einfach nur gut war.
Die letzten zwanzig Minuten habe ich dann mit den uralten Dialektversen wie „Rössli bschlaa“ und den gereimten Rätseln aus den Lesebüchern bestritten. Zum Ausklang haben wir ein Lied des autonomen Kindertheaters GRIPS der frühen Achzigerjahre gehört und gelacht (sofort wollte jemand die CD ausleihen, was die Lehrperson besonders freut).
Zuerst sah es aus, als würde es schwierig. Wenig Zeit pro Thema, Gruppenarbeiten wollten sie nicht, haben sie sowieso immer, für Frontal war es zu lange und zu viel. Und mit „nur“ zwei Freiwilligen läuft es dann wie am Schnürchen. Werde ich mehr machen so Sachen.

Unsere Indikatoren

Jürg hat die Indikatoren für den guten Unterricht zusammengetragen, die wir im Kurs aufgrund unserer eigenen Erfahrungen rausgesiebt hatten. Er hat dazu gemeint, dass man das keiner angehenden Lehrperson unter die Nase halten könne, ohne dass die sofort den Hut nähme. Das denke ich auch. Aber selber sehe ich die Liste eher als Ideal, nach dem zu streben bestimmt nicht falsch ist. So betrachtet demotiviert mich das auch nicht.

Mein Stundenplan

Stundenplan 7. Klasse, Steiner-Schule Ittigen
Ich bin eine Steiner-Schülerin (oder Waldorfschülerin, wie man das in Deutschland nennt). Und das war mein Stundenplan der 7. Klasse. „HU“ bedeutet soviel wie „Hauptunterricht“. Das war der (ca. pro Quartal) wechselnde Schwerpunkt-Unterricht und der umfasste Fächer wie „Menschenkunde“, „Sternkunde“ oder „Pflanzenkunde“. Nach Rudolf Steiner können Kinder so besser lernen. Je älter sie werden, desto weniger sind sie auf diese Schwerpunkte angewiesen, darum taucht „HU“ in der 7. Klasse nur noch eine Lektion am Morgen auf. Wir waren zu diesem Zeitpunkt vierzig Schülerinnen und Schüler und wenn es A/B heisst, waren wir immer noch zwanzig. Ausweichen konnte man (in Platz-Not) auf die „Aufgabenstunde“ oder „Musikinstrument üben“. Eurythmie ist etwas antroposphisches, das müsste ich erklären.
Naja, das war in Ordnung mit der Rudolf-Steiner-Schule, ich habe keine Schäden und eine Menge Nutzen davongetragen. Die späteren Noten (das System kannte ich von der Steiner-Schule her nicht) habe ich gut verkraftet und doofe Lehrer vermochten mich nicht zu schockieren, die gab es da auch. Ich begegne im Schulzimmer immer wieder Steiner-Schülerinnen und auch sie fallen mir höchstens angenehm auf.
[Der Comiczeichner Jamiri war neulich sehr geschockt über die unerwartete Weltoffenheit seiner ehemaligen Lernstätte. Das waldorfsche Bekenntnis zum Neuen war ihm so suspekt, dass er sofort Meldung machen musste. Erklärung für Aussenstehende: Die Rudolf-Steiner-Schule, die meine und Jamiris Generation besucht haben, war das Gegenteil von aufgeschlossen und flexibel. Das hatte aber auch gute Seiten, z.B. dass die unterbezahlten Lehrpersonen unsere Pulte selber gezimmert haben, damit wir immer altersentsprechenden am Kirsch-, Birnbaum- oder Buchenholz-Pult sitzen konnten, weil Rudolf Steiner das halt mal so vorgesehen hatte.]

Kopf, Herz, Hand

Nach unserer Experten- und Expertinnenrunde letzen Donnerstag haben wir ein Papier [Quelle unklar, ursprünglich nach Klaus. W. Dörig, von dem ich kaum etwas finde] bekommen. Es fasste zusammen, was wir herausgefunden hatten und auch das, was andere vor uns schon herausgefunden hatten. Das Paper hat am Ende noch einmal eine Zusammenfassung seiner selber. [Wenn es nach mir ginge, würden Zusammenfassungen grundsätzlich immer am Anfang stehen. Aber weil dem nur bei Offerten oder Verträgen so ist, beginne ich – in der Hoffnung auf Abkürzung – meistens hinten mit dem Lesen.]
Nun denn, die Zusammenfassung der Zusammenfassung ist mir jedenfalls nützlich und darum wird sie hier gebloggt, mit meinem Senf weiterhin in eckiger Klammer.

Lernen als ein aktiver, verbindlicher Prozess der Verinnerlichung ist mehr als nur passives Zuhören. [Genau, vom Zuhören allein hat noch kaum einer was gelernt. Und der Redner hat meistens die Wahnsinnsidee, er könnte seine Ausführungen einfach einer Gruppe einpflanzen und die würden dann von selber in die richtige Richtung weiter spriessen. Gottseidank funktioniert das nicht. Würde mich wundern, wenn Fidels Achtstünder noch etwas wert wären, würden die zusätzliche Repressalien wegfallen.] Dieses neue Verständnis vom Lernen hat für das Lehren weit reichende Konsequenzen. [O-Ton Jürg: „WAS? WIE? WARUM? Bedeutsamkeit. Sachen lehren, die sind.“] Wir [?] haben sie in den Grundzügen in fünf Schritten skizziert:
1. Lernen ist ein ganzheitlicher Vorgang [Steiner hats gesagt]
2. Kopf, Herz und Hand sind dabei beteiligt [Pestalozzi hats geschrieben]
3. Verschiedene Aktiviäten sind zur erfolgreichen Verinnerlichung erforderlich
4. Dabei sind mehrere Anläufe nötig [eben, Steiner, Pestalozzi, Montessori]
5. Unterrichtliche Hilfsmittel sind unentbehrliche Helfer der Lehrkraft
(…) Der entscheidende Unterschied zwischen altem und neuem Modell besteht in der Betonung des Unterrichtsprozesses mit möglichst abwechslungsreichen Abläufen zur Bewältigung des Lerngegenstandes. [Das klingt ein bisschen, als müsste jeder Herkules oder Siegfried sein, um den Lerngegenstand zu bewältigen. Und das ist vielleicht gar nicht falsch. Lernen geht nicht immer spielend, das kann auch ganz höllisch sein. Und weil die Lehrpersonen ihr Zeugs ja können müssen, wenn sie vor der Klasse stehen, vergessen sie manchmal, dass das Aneignen eine ziemliche Herausfoderung sein kann. Ich auch.]
Solche Prozesse nennt man „Interaktions- und Kommunikationsprozesse“ und meint damit: vortragen, diskutieren, erklären, aufschreiben, zeichnen u.s.w.
Lernen heisst: Opitmale [optimal = best möglich] Realisierung intensiver Aneignungs- und Internalisierungsprozesse [internalisieren = sich unbewusst zu Eigen machen].